Tage mit Felice. Fabio Andina
Ehe er den Stall betritt, spuckt Felice einen grünen Brei aus. Die Latsche. Mittlerweile melkt die Melkmaschine auf vollen Touren, und Sosto steht da und kontrolliert die Höhe der Milch in einer Kanne.
Fleißig, fleißig, ruft Felice ihm zu, worauf der Bauer mit Jo antwortet, den Blick fest auf die Literzahlen gerichtet.
Sosto, begrüße auch ich ihn. Er dreht sich um und taxiert mich mit seinen Äuglein. Ich will ihm sagen, dass es die Gumpe wirklich gibt, dass sie oben hinter dem Selvaccia-Wald liegt, im Gurundin, aber Felice wirft mir einen strengen Seitenblick zu. Bòn, sagt er. Auf.
Ciao, dann.
Ciao, Sosto.
Also ciao.
Draußen vor dem Stall steht sein Haflinger-Geländewagen mit dem kleinen Anhänger für den Transport der Milchkannen. Ohne Kennzeichen, vor Jahrzehnten von seinem seligen Vater Anselmo bei einer Auktion der Schweizer Armee in Thun erstanden. Wir gehen im Marschschritt hinunter ins Dorf. Ich stampfe mit den Schuhen auf, um den Schlamm abzuschlagen. Felices Füße waschen sich von allein im nassen Gras am Straßenrand.
Floro, scheint es, schläft immer noch, nichts regt sich, nicht mal im Schornstein. Inzwischen ist seine Hütte, der notdürftig ausgebesserte Stall, gut sichtbar. Hingespuckt zwischen vier Ferienchalets mit geschlossenen Fensterläden, Parabolantennen auf den neuen Dächern aus gleichmäßig zugeschnittenen Natursteinplatten, Lattenzäunen aus Kastanienholz und Schutzdächern für die Autos. Wieder einmal denke ich, dass Floros Behausung wirklich das schwarze Schaf von Leontica ist.
Das in der beißend kalten Luft dampfende Muli kommt erneut auf uns zu, um sich streicheln zu lassen. Wir tun ihm den Gefallen. Aus seiner Nase schnaubt es übel riechende Wassertropfen.
Im Dorf angekommen, verschwindet er in seinen Schuppen, um Holz zu holen, und ich gehe auf einen Sprung zu mir, um etwas Trockenes anzuziehen, dann bin ich wieder bei ihm. Er sitzt auf einem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen und den Blick auf einen Riss in der kalkverputzten Wand geheftet. Ich sage nichts, rücke einen Stuhl an den kleinen Tisch ohne Tischdecke und setze mich. Der Sparherd ist angefeuert. Das Holz knistert, und es ist angenehm warm.
Als das Wasser in einem Töpfchen überkocht, steht er auf. Er nimmt eine Handvoll getrocknete Kräuter aus einer Pappschachtel und wirft sie hinein. Öffnet dann eine Schublade des Küchenschranks und holt einen Schokoriegel heraus. Aus der anderen Schublade nimmt er ein in Zeitungspapier eingewickeltes Stück Brot, packt es aus und legt das Papier mitten auf den Tisch, um geröstete Marroni aus einer weiteren Pappschachtel darauf zu verteilen. Er macht ein Fenster auf, nimmt einen Joghurt im Glas von der Fensterbank und stellt ihn vor mich hin. Gießt den dampfenden Aufguss in eine Tasse, sagt bòn, dreht den Stuhl um und setzt sich mir gegenüber. Im Nu hat er mir Frühstück gemacht. Kräutertee, Nussjoghurt, dunkle Schokolade, Brot und ein paar Marroni, kalt und hart wie Stein. Der Tee ist bitter, wärmt aber immerhin und vertreibt sofort das innere Frösteln, das ich noch im Körper hatte. Während ich mir eine zweite Tasse einschenke, legt er ein Scheit in den Herd, regelt mit dem Hebel den Rauchabzug und geht hinaus, lässt die Tür offen.
Der Himmel hat sich jetzt völlig aufgeklart, der Wind sich gelegt. Die milde Sonne steht eine Handbreit über dem Simano. Ich schiebe meine Pulloverärmel hoch und mache es mir auf der Granitbank rechts der Haustür bequem. So sitzen wir da, still und stumm wie zwei Eidechsen. Die Rücken an die unverputzte Steinwand gelehnt.
Ein Nebelstreif unten im Tal verbirgt die Dörfer Dongio, Acquarossa und Lottigna. Hinter uns bellt der Hund der Lehrerin Sabina, weiter entfernt antwortet ihm ein anderer. Auch heute über unseren Köpfen ein ständiges Hin und Her und Gezwitscher von Mehlschwalben. Hunderte und Aberhunderte. Sie bilden Kolonien zum Wegzug. Von unsichtbarer Hand gelenkt, lassen sie sich alle auf einmal auf den Stromleitungen nieder, fliegen dann auf, drehen eine Runde knapp über den Steindächern und kehren schließlich auf die Leitungen zurück. In den letzten Jahren sind sie immer später aufgebrochen. Die Erderwärmung ist auch hier oben in Leontica angekommen.
Felice sitzt auf der linken Bank, die geschlossenen Augen zur Sonne gehoben. Das alte Gesicht von den Jahreszeiten gezeichnet, die Arme kräftig und die Füße schwielig und rau wie die Rinde der Alten Lärche. Vielleicht weil er meinen Blick spürt, bewegt er die Lippen und sagt, die Kälte ist da, als würde er laut denken. Ich sehe weg. Der Schnee ist im Anzug, höre ich ihn sagen, der Winter ist da. Ich betrachte den grauen Gipfel des Simano, dann wieder den Flug der Mehlschwalben mit ihrem kreischenden Zwitschern und schließlich seinen Gemüsegarten. Ein gut gepflegter Garten mit rechtwinklig gestochenen Beeten, Gemüsepflanzen mit gesunden Blättern und fetter, aufgelockerter Erde, die feucht riecht. Salat, Radieschen, Lauch, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie, Sellerie, Mangold, Rosmarin, Salbei, Lavendel, Minze, Thymian, Malven. Birken- und Buchenlaub, wo im Sommer die grünen Bohnen wuchsen. Ich hatte ihm ein Tütchen Samen geschenkt, aus denen so viele Pflanzen gesprossen waren, dass er herumging und die Bohnen in alten Farbeimern verschenkte. An der Gartenmauer der Komposthaufen. In der linken Ecke steht ein alter Birnbaum, der sich zum Tal hin neigt. Oben etwa ein Dutzend Birnen. In der rechten Ecke ein schöner Kakibaum, so voll mit Früchten, dass manche Äste fast den Boden berühren. Ich stehe auf und pflücke mir eine. Esse sie, wobei ich achtgebe, mich nicht vollzukleckern.
Möchtest du was aus dem Garten?, fragt er mich, regungslos bis auf den Mund.
Von hier aus sieht man ein Stück von meinem Haus. Die Eingangstür und die des Holzschuppens, das Steindach, den Schornstein. Das Haus war einmal die Käserei. Da wurden früher, vor dem Krieg, Käse und Butter gemacht. Nach Kriegsende war es dann nur noch die Milchsammelstelle. Die Milch aller Kühe des Dorfes kam dorthin, in einen riesigen Kühlbehälter, doch alle sagten weiterhin die Käserei. Bis heute, da ich dort wohne.
Emilio hat mir einmal erzählt, dass es früher hier in Leontica überall Kühe gab. Ställe an jeder Ecke. Hinter dem Dorfplatz. Unterhalb des Friedhofs. Hinter der Bar. An den Hängen hinauf zum Nara, auf der Sella-Ebene und bis hinüber nach Negrentino. Überall. Auch wer kein Bauer war, hatte mindestens eine Milchkuh hinterm Haus. Und Mastschweine. Und Schafe und Ziegen und Kaninchen und Hühner. Von September bis Juni, wenn die Kühe nicht auf der Alp waren, wurden bis zu tausend Liter Milch am Tag zur Käserei gebracht. Tausend. Emilio hat viele Jahre dort gearbeitet. Von Ende der fünfziger Jahre bis Anfang der siebziger fuhr er die Milch von Leontica nach Biasca. Ein Lieferwagen. Hin und her. Zweimal am Tag. Bis fast das Dach der Käserei auf ihn herunterkrachte und meine Eltern das Haus kauften. Um in den Ferien hier heraufzukommen. Felice hat es renoviert, als ich noch ein Kind war. Jetzt ist es eine Edelhütte. Und seit einem Jahr wohne ich darin, geflüchtet aus der Stadt.
Die Milchsammelstelle hat man dann an ihren heutigen Platz verlegt, ein Raum im Erdgeschoss des Gemeindehauses. Viel moderner, viel hygienischer. Vorschriftsmäßig. Isothermischer Kühlbehälter aus Edelstahl, viertausend Liter Fassungsvermögen. Ein Kühlwagen kam zwei- bis dreimal die Woche von Biasca herauf, um ihn zu leeren. Heute kommt er nur noch montags und nur für die Milch von Sosto. Und Emilio, der seine Anstellung verloren hatte, verkaufte den Lieferwagen und schlug sich bis zur Rente durch, indem er zusammen mit Felice Hütten und Ställe renovierte, Mauern hochzog und Steindächer reparierte.
Felice hat sein ganzes Leben lang als Maurer gearbeitet, das Bleniotal rauf und runter. Eine seiner letzten Arbeiten war das Dach des alten Waschhauses hier vor seiner Hütte. Das Wasser läuft darin das ganze Jahr, auch im Winter. Es gefriert nie. Hin und wieder wird es noch von jemandem benutzt, um Decken zu waschen, die zu groß für die Waschmaschine sind. Als Kind habe ich zusammen mit den anderen Dorfkindern den Abfluss verstopft und zum Spaß dort drin gebadet.
Nein, antworte ich ihm und schaue wieder in den Garten. Ich brauche nichts. Sonst frage ich dich.
Da holt er tief Luft und sagt, weiter gehts. Er macht drei Schritte und fängt an, das Lauchbeet mit bloßen Händen aufzulockern, benutzt die Finger wie eine Harke. Präzise und methodisch, von links nach rechts, gräbt er um jedes Pflänzchen einen Kreis. Bevor er sich wieder aufrichtet, nimmt er ein wenig Erde in die Hand und presst sie zusammen. Öffnet die Faust und begutachtet die dunkle, feuchte, feste Kugel, schnuppert daran, lässt sie zerkrümelnd fallen. Schließlich reißt er ein Unkraut aus, das einzige,