Tage mit Felice. Fabio Andina

Tage mit Felice - Fabio Andina


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den Ohren hatte. Und dass der selige Kaminfeger wohl kaum der leibliche Vater von Floro war, denn wie zum Teufel soll diese Frau einen so großen und so blonden Sohn zur Welt gebracht haben, der aussieht wie ein Deutscher, während wir hier im Tal alle klein und schwarzhaarig sind? Felice wirft mir einen ernsten Blick zu, seufzt und steht auf, geht mit seinen kräftigen, schwieligen Füßen über die Kieselsteine des Pflasters.

      Ich beobachte, wie Vittorina mit zwei Zucchini unter ihren zarten Flügeln ins Haus zurückkehrt, und folge ihm dann hinter den Schuppen. Dort, unter einem Schutzdach, gibt es einen Holzstapel. Dicke, lange Scheite. Damit sie in die Sarina passen, muss er sie zersägen und dann mit der Axt spalten. Es gibt eine Säge, und es gibt eine Axt. Wortlos machen wir uns an die Arbeit.

      Einen halben Kubikmeter Feuerholz später sagt Felice bòn, legt die Säge ab und geht zum Waschhaus. Er zieht sein Hemd aus, wäscht sich und trinkt. Dann geht er tropfend los, das Hemd über die Schulter geworfen. Ich hinterher. Wir erreichen die Piazza gleichzeitig mit dem Schulbus aus Acquarossa. Grundschule und Mittelstufe. Am Steuer sitzt Giovanna, Titos Tochter, von den Dorfjungen Giovanna Tutta Panna genannt, reinste Sahne, womit sie recht haben.

      Duska und Priska, acht Jahre alt, steigen aus. Zweieiige Zwillinge. Duska, immer den Inhalator für ihr Asthma in der Hand, die arme Kleine, ist oft krank, und das sieht man ihr an. Sie wiegt ein paar Kilo weniger als ihre Schwester und geht langsam. Es sind die Töchter der Lehrerin Sabina, Teilzeitlehrerin im Kinderhort von Acquarossa.

      Auch Giulia und der kleine Elia steigen aus, dreizehn und neun Jahre alt, die Kinder von Sosto und Paolina. Der kleine Elia ist ein aufgewecktes Kind, das Brot und Fuchs gefrühstückt hat, wie man im Dorf sagt. Giulia dagegen, mit ihrem Metallica-T-Shirt, den zerrissenen Jeans, langen Haaren und Ohrstöpseln, ist ein Fall für sich mit einem Faible für Heavy Metal. Sie redet kaum, noch weniger als Marietto. Manche sagen, dass sie nicht ganz dicht ist wegen der Musik, die sie hört. Andere behaupten, dass sie mal eine Künstlerin wird, vielleicht Musik macht so wie Floro oder malt wie Orazio Picasso, ein Landschaftsmaler, der im Dorf lebt. Wieder andere befürchten, dass sie schon auf dem besten Weg ist, wie die Stumme zu werden, eine alte Frau, die nie spricht. Eine mürrische Einsiedlerin.

      Wir gehen weiter, überqueren die Tito-Brücke, die Brücke über den Gurundin, der das Dorf in zwei Teile teilt, und schlagen einen steil bergan führenden Weg ein. Früher war das mal ein Maultierpfad, der das Dorf mit der Sella-Hochebene verband, aber jetzt ist er fast zugewuchert. Wir kommen bei der Alten Lärche heraus, die jetzt fast völlig golden ist und sich mit ihren klauenartigen Wurzeln an den Fels der Kehre klammert wie ein alter Gebirgler an seine Heimaterde, seine Gewohnheiten. Und betrachten das Dorf von oben. Die Stromleitungen scheinen ein Eigenleben entwickelt zu haben, sind dicht besetzt von Aberhunderten Mehlschwalben, alle zwar ordentlich nebeneinander, aber unruhig wegen des bevorstehenden Aufbruchs. Vielleicht morgen bei Sonnenaufgang.

      Wir gehen zum Parkplatz der Sesselliftstation hinunter und trinken dort am Brunnen. Das Wasser ist so kalt, dass es die Zähne spaltet. Dann laufen wir über eine Wiese. Ein Spaziergang ums Dorf, um noch ein Stündchen draußen zu sein. Meistens ist das Gehen für Felice nicht unbedingt eine Fortbewegung, sondern ein Zeitvertreib.

      Wieder zu Hause, nimmt er einige geröstete Kastanien und setzt sich an den Tisch. Wir essen ein paar, aber die meisten sind zu hart. Er bringt sie zum Komposthaufen. Derweil kommt Emilio mit einem großen orangefarbenen Kürbis auf der Schulter. Felice dankt ihm, mèrsi, packt den Kürbis mit seinen starken Händen, setzt ihn sorgsam auf dem Tisch ab, schneidet ihn entzwei und holt eine Menge Kerne heraus. Die er auf einem Blatt Zeitungspapier verteilt und zum Trocknen auf die Fensterbank legt.

      Emilio mit seiner dichten, nach hinten gekämmten Silbermähne wohnt schon seit einer Ewigkeit allein in einem geräumigen Haus hinter dem von Felice. Massive Mauern, kleine Fenster mit abgeblätterten Rahmen und ein baufälliges Steindach. Die beiden Alten kennen sich von klein auf. Sie sind zusammen in Leontica zur Schule gegangen, dort, wo jetzt das Gemeindehaus ist.

      Zu unserer Zeit gab es nur eine Lehrerin für alle, haben sie mir mal in der Bar erzählt. Die Elvira aus Prugiasco. Eine echte Betschwester. Boshafter als der Teufel, wenn du mich fragst, vorausgesetzt, den Teufel gibt es wirklich, sagte Felice und brachte Emilio damit zum Grinsen. Wir waren mindestens dreißig, vielleicht auch ein paar mehr. Jungen und Mädchen, alle zusammen im selben Klassenzimmer. Damals gab es überall Kinder, hier in Leontica.

      Ah, Felice, aber damals waren die Leute auch wie die Karnickel, immer scharf aufs Rammeln, sagte Emilio und brachte Felice damit zum Lachen.

      Dann waren da noch die Rosalba, und die Evelina, und dann der Fosco, begann Felice, sich zu erinnern.

      Ja, der selige Fosco. Und die selige Angiolina.

      Angiolina?

      Aé, Felice. Erinnerst du dich nicht an die Angiolina? Und dann der Olmo.

      Der Olmo, wiederholte Felice, sein Blick leuchtend vor Erinnerungen.

      Emilio ist im Tal dafür bekannt, dass er fast jeden Nachmittag in der Bar Gallo Cedrone von Leontica Scopa spielt und schwer zu schlagen ist. Abstinenzler von jeher, Junggeselle, dem ein Elefantengedächtnis gegeben ist, auch wenn er behauptet, dass die eigentliche Kunst des Merkens in der Aufmerksamkeit liegt. Nicht selten sieht man ihn gegen Leute von außerhalb spielen, die extra nach Leontica kommen, um ihn herauszufordern. Das Drei-Ferkel-Turnier im Cedrone gewinnt immer er. Dieses Jahr hat er in der Endrunde den bärtigen Pep aus Castro geschlagen, einen pensionierten Mittelschullehrer. Und im Halbfinale hat er einen Typ fertiggemacht, der, wie es hieß, unten in Malvaglia das ganze Jahr noch nicht verloren hatte.

      Die drei Ferkel verschenkt Emilio jedes Mal, weil er schon genug anderes zu tun hat. Er züchtet haufenweise und wie besessen Kaninchen. Die Kinder im Dorf nennen ihn Emilio Coniglio, Karnickel-Emil. In einem Stall hinter seinem Haus hält er immer einen Rammler und fünf bis sechs Häsinnen, die er abwechselnd decken lässt, und laufend isst und verschenkt er Kaninchen. Seine Tierchen füttert er mit ausgesuchten Kräutern, die er auf den Wiesen sammelt. Einmal habe ich ihm einen Sack mit gemähtem Gras aus meinem Garten gebracht, aber er meinte, dass seine Kaninchen das nicht fräßen, weil es mit der Motorsense geschnitten sei und sie den Abgasgestank riechen würden.

      Jetzt sitze ich mit Felice in der Küche. Er öffnet die Ofenklappe der Sarina, sodass sein Gesicht orange erstrahlt, kneift die Augen zusammen, während er Holz nachlegt. Dann gibt er zwei Stück Kürbis zu bereits in Wasser kochendem Rosmarin und weiß Gott welchen anderen Kräutern hinzu. Er nimmt eine Zeitung aus einer der Schubladen des Küchenschranks und geht hinaus. Setzt sich auf die linke Granitbank und beginnt, von hinten in dem zwei oder drei Tage alten Giornale del Popolo zu blättern. Den er von der Wirtin des Cedrone bekommt. Felice hat weder Fernseher noch Radio noch Telefon. Er hat noch nicht mal einen Briefkasten. Die Postbotin Alfonsa bringt ihm seine wenigen Briefe persönlich oder legt sie mit einem Stein beschwert auf die Bank oder bei Regen drinnen auf den Tisch, denn die Tür ist immer offen.

      Der Himmel hat sich vor einem Weilchen zugezogen und färbt die Kakis braun, die im von Norden herabwehenden Abendwind schwanken. Die Straßenlaterne unten flackert ein wenig auf ihrem hohen Tannenmast und geht an. Hier oben in Leontica erlischt Ende November der Tag schon um kurz nach fünf, und im Nu wird es Nacht.

      Ich recke den Hals und sehe ihn in dem wenigen Licht lesen, das aus dem Fenster hinter ihm fällt, und mit dem Wind kämpfen, der ihm die Seiten umblättert. Die vom Lukmanierpass herunterströmende Luft gewinnt an Kraft und weht immer hefiger. Doch Felice hält bis zur letzten Seite durch. Als er die Zeitung zusammenfaltet, rüttelt der Wind die Zweige des Kakibaums und schlüpft sogar hier herein und rüttelt auch mich, der ich mit dem Kopf auf dem Tisch schon fast am Einnicken war. Ich habe gar nicht bemerkt, dass es in der Küche kälter geworden ist. Er schließt die Tür hinter sich, drückt mir die Zeitung in die Hand und legt ein Buchenscheit in die Sarina. Während ich mich aus meiner Schläfrigkeit reiße, nimmt Felice einige Kastanien aus einer Plastiktüte und beginnt, sie fürs Rösten einzuschneiden. Ich fische ein Messer aus der Schublade und helfe ihm. Nach einer Weile sagt er, dass es reicht, und öffnet, ehe er die Kastanien auf die Herdplatte legt, die kleinen vorhanglosen Fenster und die Tür.

      Der Rauch zieht ab,


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