Tage mit Felice. Fabio Andina

Tage mit Felice - Fabio Andina


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darauf kommt er mit der zusammengerollten Zeitung und dem kleinen Topf wieder heraus und wirft die Marronischalen und die für den Tee verwendeten Kräuter auf den Kompost. Dann geht er wieder hinein. Nach einem Moment folge ich ihm, mache die Tür hinter mir zu.

      Er sitzt am Tisch und hackt den Rosmarin auf einem Brett und mit einem vom vielen Schleifen ganz abgenutzten Messer. Ich setze mich, um ihm zuzusehen. Den zerkleinerten Rosmarin gibt er in das fast bis zum Rand mit Wasser gefüllte Töpfchen und fügt eine Prise Salz hinzu. So, nicht zu viel, weil zu viel Salz nicht gut ist, denkt er laut. Er stellt den Topf auf die weniger heiße Seite des Herds, wäscht Messer und Brett im Spülbecken ab, holt einen Reisigbesen hinter der Tür hervor und fegt den Steinplattenboden, dann sagt er, auf, und verlässt das Haus.

      Im Garten ist Emilio aufgetaucht, achtundachtzig Jahre alt, distinguierte Erscheinung, der mit einem Salatblatt in der Hand herumgeht und den Boden mustert, als suche er etwas. Felice beobachtet ihn interessiert, sagt dann, bisschen kühl heute Morgen, worauf Emilio antwortet, schon, aber einen werde ich schon finden.

      Felice geht los. Ich hinterher. Rechts von seinem Haus ist der Schuppen, in dem er das Holz stapelt und sein Auto abstellt. Einen alten Suzuki, blau, klein und schmal, mit dem er zwischen den Häusern hindurch die enge Gasse entlangfahren kann, um an meiner Hausecke auf die Gemeindestraße abzubiegen.

      Wir steigen in den Suzuki, schnallen uns an, Felice steckt den Zündschlüssel ins Schloss und dreht ihn auf der ersten Kerbe. Mit einer Hand am Lenkrad und der anderen an der Handbremse sieht er mich an und fragt, schiebst du? Ich öffne den Gurt und steige aus. Felice löst die Handbremse, woraufhin das Auto langsam rückwärts aus dem Schuppen rollt. Mit einem Schub helfe ich ihm, die richtige Richtung einzuschlagen, mit einem nächsten, dass es Fahrt aufnimmt, er legt den Gang ein, und der Motor springt an. Ich werfe noch einen Blick auf Emilio, der weiter irgendetwas zwischen den Beeten im Garten sucht. Dann steige ich ein, und wir fahren los. Ich frage mich, wohin. Lehne mich zurück.

      Wir fahren vielleicht dreihundert Meter und parken auf dem Dorfplatz. Am Brunnen füllt ein Radfahrer seine Wasserflasche auf. Er ist verschwitzt und rot im Gesicht. Gerade vom Tal heraufgestrampelt. Etwas über vier Kilometer enge, in den Fels gehauene Serpentinen. Vor der Bar Gallo Cedrone, Zum Auerhahn, stehen zwei, drei Bauern mit einem Rotwein in der einen Hand und einer Zigarette in der anderen. Wir grüßen sie und gehen in den Laden von Marietto Del Negozietto.

      Er ist fast fünfzig und wohnt unten in Corzoneso mit seiner Mutter Giacinta, verwitwet, schwerbehindert und ans Bett gefesselt, nahe achtzig. Seit jeher arbeitet er im Dorfladen, den einst sein seliger Vater Evelino eröffnet hat. Er ist ein bisschen begriffsstutzig, der Marietto. Gibt nichts von sich preis und redet wenig. Und wenn er Schinken schneidet, redet er gar nicht mehr. Obendrein steht ihm der Ruf einer Tranfunzel auf die Stirn geschrieben.

      Das Messinglöckchen an der Tür kündigt uns bimmelnd an. Ein Touristenpaar aus Luzern, das in einem Chalet oberhalb des Parkplatzes der Sesselliftstation wohnt, lässt sich gerade belegte Brötchen machen. Er ein unauffälliger Vierzigjähriger, Trekkingschuhe und Rucksack. Sie eine üppige Blondine, ganz Beine und Hintern. Marietto tut so, als hätte er uns nicht hereinkommen sehen, und hält den blöden Blick mit dem rechten Auge auf die Schneidemaschine gerichtet, während er mit dem linken auf die Arschbacken der Deutschschweizerin schielt. Felice stellt seine Einkäufe auf der Kassentheke ab. Schokolade, Joghurt, Brot, Streichhölzer und eine kleine Seife und wartet. Die Zubereitung der Schinkenbrötchen zieht sich in die Länge, also holt er einen Zwanzigfrankenschein aus seiner Shortstasche, legt ihn neben die Kasse, nimmt seine Sachen, und wir lassen wieder das Glöckchen bimmeln.

      Er hat den Suzuki leicht abschüssig geparkt. Gurte, Zündschlüssel, Kupplung, er schaltet in den Zweiten und löst die Handbremse, wir rollen, er lässt die Kupplung kommen, und der Motor springt an. Wir lassen Leontica hinter uns und fahren talwärts. Nach ein paar Kehren aber fährt Felice rechts ran, stellt den Motor ab, zieht die Handbremse und steigt aus. Entlang eines schon seit ewigen Zeiten trockenen Bachbetts stehen ein paar hundertjährige Kastanienbäume. Ich beobachte, wie er zum ersten geht, eine Plastiktüte aus der Hosentasche zieht und beginnt, Kastanien aufzusammeln, wobei er darauf achtet, nicht mit seinen bloßen Füßen auf eine der stacheligen Schalen zu treten. Ich steige ebenfalls aus und helfe ihm. Ich sammle eine Handvoll, betrachte sie. Sie sind klein. Zu klein, sage ich mir.

      Das hier sind die mickrigen, die nach den anderen fallen. Sind späte Marroni, das hier, sagt er. Als hätte er meine Gedanken gelesen.

      In Corzoneso halten wir und parken hangabwärts vor der Kirche. Felice nimmt die Tüte mit den Spätmarroni und läuft los. Ich folge ihm wortlos. Zwei alte Frauen mit ihren an den Ellbogen abgescheuerten und vorn etwas speckigen Kittelschürzen sitzen auf einer Bank und sehen dem Flug der Mehlschwalben zu. Wie im Theater.

      Wir gehen am Gemeindehaus vorbei, im vergangenen Jahr pastellgelb gestrichen, und biegen in eine gepflasterte Gasse ein, die zu einem Grüppchen Natursteinhäuser führt. Die ersten drei sind neu hergerichtet und gut gepflegt, exotische Gärtchen mit Pergolen voller Kiwis, dazu Palmen und Olivenbäume, ich frage mich, wie die den Winter hier oben überstehen. Die Zäune aus gedrechselten Lärchenpfählen, die geschlossenen Fensterläden blau und rot und gelb lackiert, Parabolantennen auf den neuen Steindächern, Überdachungen für die Autos, Briefkästen. Ich lese Van Basten, Hitz und Windmüller. Deutsche und holländische Urlauber. Wir gehen weiter. Die letzten beiden Häuser sind alt und heruntergekommen, aus den Schornsteinen steigt eine Rauchfahne auf, und Briefkästen gibt es nicht.

      Felice klopft bei dem schäbigeren an. Nach langem Warten öffnet uns eine alte Dame mit dunkelblauer Schürze.

      Bondì, grüßt Felice sie und gibt ihr die Tüte, die sie nimmt und sich mit mèrsi bedankt. Wir verabschieden uns und kehren zu dem Suzuki zurück, er legt den Gang ein, der Motor springt auf Anhieb an, und wir fahren los. Hier im Tal sagt man mèrsi statt grazie. Eine Abwandlung des französischen Worts, mitgebracht von ausgewanderten Kaminfegern, die mit etwas Geld aus Paris zurückkehrten. Einige kehrten zurück. Von anderen hingegen verlieren sich die Spuren, und niemand weiß, auf welchen Friedhöfen sie nun begraben liegen, hat Felice mir mal erzählt.

      Im Talgrund angekommen, fahren wir am Restaurant Valle del Sole in Acquarossa vorbei und halten an der Kreuzung zur Kantonsstraße. Felice blickt nach rechts zur Pizzeria Da Beppe und der Praxis von Doktor Gianmaria, dann nach links zur Brücke über den Brenno. Die Straße ist frei. Wir biegen nach links ab, überqueren die Brücke und fahren gemächlich in nördliche Richtung. Wir kommen am Museum von Lottigna vorbei, dann an der alten Schokoladenfabrik Cima Norma in Torre, dann an Aquila.

      Felice, wohin gehts?

      Rivöii.

      Eh?

      Rivöii, wiederholt er entschiedener, glaubt wohl, ich hätte ihn nicht gehört.

      Wir erreichen Olivone, Rivöii, und parken leicht abschüssig vor der Bar Posta. Auch hier sammeln sich die Mehlschwalben zum Abflug und machen ein Heidenspektakel. Wir betreten die Bar. Die junge Bedienung kennt ihn. Buongiorno, Felice.

      Bondì.

      Wie gehts?

      Na, solange man sich plagt, gehts weiter. Wenn man sich nicht mehr plagt, amen.

      Amen, wiederholt die junge Bedienung und legt ihm La Regione und einen Beutel Pfefferminztee auf den Tisch. Felice beginnt, in der Zeitung zu blättern, wobei er sich den Finger leckt und bei der letzten Seite anfängt, wie es die Alten machen. In dieser Bar bin ich bestimmt schon zehnmal gewesen, aber die junge Kellnerin habe ich noch nie gesehen. Ich mache ihr ein Zeichen und bestelle einen Kaffee. An den Tresen gelehnt trinken drei Bauern mit mistbeschmierten Gummistiefeln einen Roten und reden laut übers Wetter.

      Der Erste fragt die anderen beiden, und ihr, was meint ihr, ist der Winter da, he?

      Der Zweite antwortet, hm, weiß nicht, ist auch nicht einer wie der andere.

      Der Dritte fügt hinzu, klar, aber wer von euch beiden, du oder das Wetter, schlechter aussieht, weiß ich nicht, nè?

      Sie lachen glucksend.

      Ich angle mir den Giornale del Popolo vom Nachbartisch


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