Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl
Manfred Rebhandl
Sommer ohne Horst
Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle
Krimi
Manfred Rebhandl
Sommer ohne Horst
Über den Azoren hatte sich ein stabiles Hoch gebildet, und ein stabiles Hoch über den Azoren war das mindeste, was ich mir von einem gelungenen Sommer erwartete. Da wollte ich meine Ruhe haben und eben mein Azorenhoch, denn mit diesem Hoch über den Azoren stand oder fiel jedes Jahr mein Glück.
Ein Hoch über den Azoren bedeutete Sonne, Hitze, kühle Drinks und heiße Mädchen, und es war das genaue Gegenteil eines Tiefdruckwirbels über dem Atlantik, den ich hasste. Da schwappte das Wasser hinunter in den Keller meines Kumpels Lemmy, aus dem heraus er traditionell sein Gras verkaufte; und es schwappte Wasser von der Alten Donau hinein in den Garten meines Kumpels Dirty Willi drüben in Neu-Brasilien, der dort traditionell seine Tage mit einer fröhlichen Kartenrunde verbrachte; und das Ottakringer Bad, in dem mein Kumpel Horst Bademeister war und auf der Liegewiese, auf der ich traditionell meine Beine hochlegte, für Anstand und Ordnung sorgte, hatte bei einem Tiefdruckwirbel über dem Atlantik geschlossen, weil Bäder bei Starkregen einfach nicht öffnen. Und wenn es ganz schlimm herging, dann stand bei einem Tiefdruckwirbel über dem Atlantik mein Freund Kubelka, der Psychofuzzi, in seinem Regenmantel der Marke Derrick vor meiner Bude und wollte mit mir über Ladys reden, die er gerne flachlegen würde, die sich von einem Krummrücken wie ihm aber natürlich nie im Leben flachlegen lassen, weil er einfach überhaupt nichts Geiles an sich hatte.
Daher hasste ich diese Sommer mit ihren Tiefdruckwirbeln über dem Atlantik, und ich liebte die wenigen mit ihrem Hoch über den Azoren. Ich stand dann immer eine gute Stunde nach Mittag auf, hüpfte in die enge Badehose der Marke Fila und zog darüber die grüne Rapid-Hose der Marke Adidas aus den Achtzigerjahren an, die meine strammen, gut gebräunten und ausreichend behaarten Schenkel gut zur Geltung brachten. Anschließend bedeckte ich die behaarte Brust mit einem weißen Unterhemd, hängte mir ein löwenzahngelbes Hawaiihemd mit grün-weißen Einsprengseln über die Schultern, schlüpfte in die Adiletten, schob mir die Siebzigerjahre-Sonnenbrille der Marke Carrera auf die Nase und setzte mir am Ende noch einen kleinen Trilby-Strohhut aus dem Ein-Euro-Shop auf den Scheitel, der meinen Kopf gegen die Sonne schützen sollte.
So fuhr ich hinaus ins Bad zu Horst, der dort an jedem verdammten Tag, an dem die Sonne schien, kurz nach Mittag in der Kantine auf mich wartete, um mit mir zusammen ein erstes Herrengedeck einzunehmen und über die Frauchens zu reden, die ihm ihre Nummer gegeben hatten, damit er sie eincremte und anschließend flachlegte. Danach leerte er die Mülltonnen aus und wies ein paar zugewanderte Rotzlöffel darauf hin, dass sie keinesfalls seitlich ins Becken springen durften, damit ich wieder in Ruhe die Beine hochlegen und gar nichts machen konnte.
Es hätte also einer dieser herrlichen Sommer werden können, in denen wirklich alles passte. Aber natürlich kam wieder einmal alles ganz anders.
***
Die Sonne stand noch lange nicht im Zenit, da lenkte ich meinen mintgrünen Datsun 280ZX schon in Richtung Busbahnhof draußen in St. Marx. Mein Freund Guttmann, der Bulle beim Wiener Kommissariat Mord-West war, saß neben mir und hatte eine alte Ledertasche zwischen seine fleischigen Waden geklemmt, die ihrerseits in schwarzen Stutzen steckten, welche er wiederum samt seinen riesigen Füßen in alte Sandalen gespannt hatte. Und dann trug dieser Fleischberg seit ein paar Tagen auch noch eine gelbe Warnweste der Größe XXL über seinem kurzärmeligen, beigen Hemd, weil ihm plötzlich irgendetwas mit „der Welt“ und „dem Klima“ wichtiger war als die Filme mit Big Mama Joy. Manchmal glaubte ich selbst nicht, dass ich mit dem befreundet war!
Gutti war nämlich das genaue Gegenteil von einem gelungenen Sommer, er war tiefster Winter. Seine hundertfünfzig Kilo wuchtete er am liebsten auf seinen Massivstahlsessel in seinem stickigen, fensterlosen Büro in der Mordkommission, wo er seit dreißig Jahren arbeitete. Oder waren es fünfzig Jahre? Was weiß ich! In diesem Loch hatten sie ihn untergebracht, seit der neue Innenminister nur noch welche in schlanken Anzügen haben wollte. Gutti hatte sich dort für die Tage des Azorenhochs, das er hasste, einen Ventilator auf den Schreibtisch gestellt, der ihm verlässlich gegen die riesigen Schweißflecken an seinem Hemd blies. Ohne diesen Ventilator klebte sein Hemd an ihm wie eine Tapete an einer sehr dicken Wand in den Tropen.
Ich kannte ihn aus Dirty Willis Swedish Pornhouse, wo er immer in der letzten Reihe Mitte saß und sich jeden Mittwoch Big-Mama-, Biggest-Mama- oder Bigger-than-Big-Mama-Filme anschaute, eben mit Big Mama Joy in der Hauptrolle. Die längste Zeit gefielen ihm nur Filme mit Ladys, an denen richtig viel Fleisch dran war. Das hatte etwas mit seiner Mutter zu tun, hatte mir Kubelka einmal erzählt, entweder war Gutti zu lange gestillt worden oder eben zu kurz. Keine Ahnung! Aber gegen die wirklich sehr heiße, sehr gut gebräunte und von oben bis unten sehr gut eingeölte Bunny Beach hatte er am Ende auch nichts einzuwenden. Nur, dass er halt seit ein paar Wochen diese Warnweste trug und immer wieder sagte: „Ihr mit euren Scheißpornos! Ist das wirklich alles, was euch interessiert?“ Und ich ihm dann immer sagen musste: „Das ist natürlich nicht alles, was uns interessiert, Gutti. Aber das ist doch schon mal etwas!“
Es musste also dringend etwas passieren in seinem Leben, denn diese Weste war der letzte Hinweis darauf, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Kubelka, Lemmy, Willi und ich setzten uns also bei Jolanda im Hard & Heavy zusammen, bestellten feurige Gulaschsuppe und warfen zehn Euro in die Mitte, jeder zwei Euro fünfzig. Dann überlegten wir, wie wir Gutti damit eine Freude machen könnten, aber mit zehn Euro ging sich keine Freude aus! Gott sei Dank hatte Lemmy immer die neueste Ausgabe der Gosse mit dabei, weil er das Papier brauchte, um darin sein Gras zu portionieren. In diesem Drecksblatt fanden wir schließlich ein Gewinnspiel, mit dem man ein Wochenende inkl. zwei Übernachtungen beim Beachvolleyballturnier unten in Podersdorf am Neusiedlersee gewinnen konnte, und Glückskinder, die wir nun mal waren, gewannen wir zwei Wochen später auch!
Die heißen Girls dort unten sollten Guttis Hose wieder unter Spannung setzen, wenn er im Sommer schon nicht ins Bad ging, um sich dort die heißen Ladys anzuschauen und sie zu einer Eincremesession zu überreden. Anfangs hatte er noch gezögert, unser Geschenk auch anzunehmen, aber dann überraschte er mich mit der Frage: „Kommen dort auch viele reiche Säcke mit ihren vollkommen überdimensionierten, viel zu teuren Autos hin?“ Und ich antwortete ebenso überrascht: „Natürlich, Gutti! Aber das ist doch hoffentlich nicht das Einzige, das dich daran interessiert? Beim Beachvolleyball geht es um die Girls, und nicht um teure Autos!“
Ich sparte dann auch nicht mit Glitter und Girlanden, als ich versuchte, ihm diese Girls beim Beachvolleyball schmackhaft zu machen: „Die tragen dort wirklich sehr kurze Höschen. Und die Tops sind wirklich sehr eng.“
Aber er fragte nur: „Was sind Tops?“
Wie alle Männer in seinem Alter kriegte er nicht mehr viel mit von der Welt. Und in seinen beigen, gebügelten Khakihosen stand er schon ein wenig verloren in den neuen Zeiten.
Nachdem ich es ihm erklärt hatte, wollte er es noch einmal ganz genau wissen: „Da stecken also ihre Titten drin?“
„Und wenn du Glück hast, dann rutschen sie sogar raus! Und weil immer die Sonne scheint, wenn sie spielen, cremen sie sich am ganzen Körper ein, und dann glänzen sie! Und weißt du was? Der feine Sand bleibt auf ihrer Haut kleben, wenn sie sich darin wälzen!“
„Sie wälzen sich im Sand?“
„Na, was denkst du denn?“
„Aber warum?“
„Weil es geil aussieht, verdammt! Kannst du dich denn nicht mehr an die Beachbunny-I–IV-Filme erinnern, mit Bunny Beach in der Hauptrolle? Wo sie auch immer voll mit Sand ist, bevor sie der Rettungsschwimmer ins Hotel trägt?“
Natürlich konnte er sich erinnern! Aber jetzt, da wir uns dem Busbahnhof näherten, fragte er mich nur, wie er dieses Hotel in Podersdorf finden solle. Ich sagte: „Herrgott, dieser Neusiedlersee kann doch nicht so groß sein, dass du dort dieses Scheißhotel nicht findest! Wie heißt es denn?“
Er sagte: „Zur Braunen Sau.“
Das