Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl
„Ganz sicher hat es eine Tiefgarage! Aber warum zum Teufel brauchst du denn eine Tiefgarage? Du fährst doch mit dem Zug!“
Dann schwieg er zufrieden, als hätte er plötzlich einen Plan. Eine genaue Vorstellung von etwas, was mit einer Tiefgarage zu tun hatte und mit überdimensionierten, teuren Autos. Bevor er dann doch noch fragte: „Und wo genau spielen sie Beachvolleyball?“
„He! Am Beach vielleicht?“
„Gibt es dort einen Parkplatz?“
Darauf wusste ich dann wirklich keine Antwort mehr, und es war mir auch scheißegal. Wenn die Worte nicht mehr purzelten, dann drehte man einfach das Radio lauter. Wir waren ja keine Hausfrauen, die Rezepte austauschten, wir waren Männer, die auch mal den Mund halten konnten. Aus den Lautsprechern hörten wir dann Summertime, das er leiser haben wollte und ich lauter. Darüber gerieten wir noch nicht in Streit, erst über Summer in the City, das er lauter haben wollte und ich ganz abgedreht.
„Lauter!“
„Leiser!“
„Lauter!“
„Leck mich!“
Erschöpft lenkte ich den Datsun zum Parkplatz vor dem Busbahnhof, wo er endlich ausstieg. Dann klemmte sich seine alte Ledertasche unter den Arm und schaute sich um. Die Tasche war so gut gefüllt, dass ich ihn das fragen musste: „Gutti, du hast doch nicht wieder Würfelzucker da drin?“
Würfelzucker war nämlich seine Leibspeise. Aber seit der Doktor ihm Zucker verboten hatte, tat ich mein Möglichstes, damit er die Finger davon ließ. Als er mir versicherte, dass er nur Wurst mithatte, bohrte ich nicht weiter, auch wenn ich ihm nicht glaubte.
Er sagte: „Diese verdammten SUVs! Und ist dir überhaupt schon aufgefallen, dass diese Idioten mit ihren Schwanzproblemen jetzt alle Pick-ups fahren? Als wären wir in Kansas und müssten den Mais in den Stall bringen! Greta hat recht! So kann das einfach nicht weitergehen.“
Während er ebenso wütend wie verloren dastand und nicht recht wusste, ob er diese abenteuerliche Reise zum Neusiedlersee jetzt auch wirklich antreten sollte oder nicht, hörten wir aus dem Radio die Nachrichten: Wahnsinn hier und Wahnsinn da. Wir hörten uns den täglichen Schwachsinn von diesem amerikanischen Idioten an und auch den täglichen Schwachsinn von unserem heimischen Schmalanzugträger, der wieder irgendeine Route schließen wollte. Was für ein Schließmuskel! Bis die sexy Nachrichtensprecherinnenstimme plötzlich meinte: „Während der letzten drei Nächte kam es in Wien-Meidling im Bereich der Schönbrunner Allee zu zahlreichen Angriffen auf sogenannte SUVs der Marken Porsche, BMW und Audi. Die Kraftfahrzeuge wurden mit Nägeln aus einem Druckluftnagler durchlöchert. Der Sachschaden ist enorm.“
Ich nickte zufrieden und sagte: „Bravo!“
Während ich mir einen Joint der Marke Vaya Con Dios aus der Produktion des Hauses Lemmy drehte, fragte ich Gutti beiläufig: „Wo wohnst du noch mal genau?“
Er wohnte im 12. Bezirk in der Gegend um die Schönbrunner Allee. Von dort hatte ich ihn nämlich vor einer Stunde abgeholt.
Plötzlich wirkte er müde und antwortete nicht mehr auf meine Frage. Stattdessen drückte er seine Tasche fester an sich und watschelte zwischen den Autos davon wie Homer Simpson, der eine gelbe Warnweste trug und dringend scheißen musste.
Ich rief ihm nach: „Wer ist eigentlich Greta?“
***
Meinem alten Kumpel Lemmy gehörte am Wiener Brunnenmarkt ein altes Haus, das er dort vor dreißig Jahren gekauft hatte, als die Häuser noch billig waren und die Gegend versaut und verdreckt. Im Souterrain dieses Hauses war früher eine Pizzeria untergebracht, aus der heraus er heute sein Gras verkaufte, das er weiter hinten im Keller anbaute. Im Hochparterre dieses Hauses hatte er mir eine kleine Wohnung samt Büro überlassen, für die ich nur unregelmäßig Miete zahlen musste. Dort hatte ich in den Staub einer Fensterscheibe, durch die ich auf den Brunnenmarkt hinausblicken konnte, mit dem Finger geschrieben:
Superschnüffler Rock Rockenschaub Löst auf alle Fälle alle Fälle 0–24 Uhr
Sobald die Sonne richtig am Himmel stand, konnte man das sogar von draußen lesen, wenn auch natürlich verkehrt herum. Und seit ein paar Tagen stand dort noch:
Im Urlaub!
Ich hüpfte hinunter zu Lemmy, der sich für die Freuden des Sommers noch weniger interessierte als Janis Joplin für ein gesundes und langes Leben. Bei Sonnenschein saß er am liebsten in seinem stinkenden, finsteren Loch auf seiner versauten Couch herum und portionierte sein Gras. Trotzdem versuchte ich ihn immer wieder mal für einen Badeausflug zu begeistern oder jedenfalls dafür, mit mir an die frische Luft zu gehen. Ich fragte: „Möchtest du mitkommen?“
„Wohin?“
„Zu Horst hinaus ins Bad, Lemmy! Ins Bad zu Horst! Weißt du denn nicht, dass sich endlich ein stabiles Azorenhoch gebildet hat?“
„Aber ich habe doch erst zu Weihnachten gebadet!“
Es war nicht einfach mit Leuten, die seit vierzig Jahren regelmäßig Gras rauchten, und das nicht täglich, sondern stündlich.
Trotzdem schaffte ich es nun, ihn hinauf in die Hitze der Stadt zu schleppen, ich sperrte den Laden hinter uns zu und setzte ihn in meinen Wagen. Wir drehten eine Runde entlang der Höhenstraße, wobei ich darüber redete, wie glücklich Horst im Vergleich zu ihm war und wie unglücklich er im Vergleich zu Horst. Aber er hielt nur seinen Schädel hinaus beim Fenster, und seine langen Haare der Marke Willie Nelson flatterten dabei ebenso im Fahrtwind wie seine Ohren der Marke Windhund. Immer wieder mal schaute ich zu ihm hinüber, und dabei merkte ich, was für eine alte Oma er geworden war. Ihm fehlten einfach die sinnlichen Erfahrungen, die einen jung hielten, die geilen Eindrücke, die einen im Leben ein bisschen anschoben. Die Karotte vor der Nase. Er war schon zufrieden, wenn er nur den Zungenlappen in den Wind hängen konnte, aber schon das Grün der Straßenbegrenzung, an dem wir vorbeirasten, interessierte ihn nicht mehr. Ich dachte: Der alte Lemmy braucht ganz dringend eine Beschäftigung! Eine andere jedenfalls, als Joints zu rauchen und Gras zu verkaufen. Aber welche? Wenn er so weitermachte, dann würde er im Alter zum Problemfall werden, und ich würde ihn pflegen müssen. Ich hatte aber genug andere Probleme am Arsch. Darum hätte ich es gerne gesehen, wenn er noch ein paar Jahre ohne Rollstuhl auskommen würde.
Ich fragte: „Lemmy, was interessiert dich eigentlich im Leben? Möchtest du noch irgendetwas tun? Eine Ausbildung machen?“
Aber er war Ende fünfzig, da war es schwierig mit Ausbildung. Und sein Hirn war nicht mehr ganz fabriksneu, er schien nicht einmal meine Frage zu verstehen. Also suchte ich den Zugang über sein Herz: „Hast du noch irgendwelche Träume?“
Aber auch hier: keine Antwort.
Ich drehte Suicide mit Dream Baby Dream auf, von dem ich dachte, dass es in ihm vielleicht irgendetwas auslösen würde, aber es kam einfach nichts. Bis er, und da waren wir schon richtig weit draußen in der Natur, plötzlich heftig anfing zu niesen und ihm die Augen tränten, als wäre gerade Neil Young gestorben. Es fehlte nicht viel, und es hätte ihn zerrissen. Besorgt fragte ich: „Verdammt, was ist denn mit dir los?“ Und er antwortete: „Das fragst du mich? Ich hab keine Ahnung! Vielleicht bin ich algerisch auf irgendetwas. Also bring mich endlich zurück!“
„Algerisch?“
Erst als ich den Datsun wieder in der Stadt vor dem Quattro Stazzione einparkte, war es vorbei mit Niesen. Und da war ich auch richtig froh darüber, weil er mein Wageninneres schon ganz schön vollgesaut hatte. Soll der doch in seinem Loch unten verfaulen, dachte ich, als wir ausstiegen. Ich fahre mit dem jedenfalls nicht mehr in die Natur.
Unten im Keller setzte ich ihn zurück auf die Couch. Ich stellte ihm den Trinknapf daneben, damit er nicht dehydrierte, während ich weg war, und zündete ihm einen Joint an, der so fett war, dass er den ganzen Tag lang daran nuckeln konnte. Den steckte ich ihm in den Kaubereich, und dann legte ich noch Made in Japan von Deep Purple aufs Vinylgetriebe, damit wenigstens seine