Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl

Sommer ohne Horst - Manfred Rebhandl


Скачать книгу
mit herzlichem Gruß. Er aber grüßte nicht zurück, sondern sagte nur: „No pasarán!“

      Alter Kämpfer.

      ***

      Vor drei Tagen hatte ich auf der Wiese im Bad eine angefilmt, die keine Kinder bei sich am Badetuch sitzen hatte – ein seltenes Glück in diesen Tagen! –, und verdammt noch mal: Sie hatte sogar zurückgefilmt. Aber dann war ich eingeschlafen, bevor ich sie eincremen konnte, vielleicht wegen des dritten Bieres, das ich in der heißen Sonne getrunken hatte, vielleicht aber auch einfach, weil ich die Nacht davor wegen der stehenden Hitze nicht schlafen konnte. Und die Tage darauf war ich nicht da, um mit ihr etwas ins Laufen zu bringen, weil ich Willi, das Schwein, in seine Datscha draußen an der Alten Donau bringen musste.

      Nun aber lenkte ich den Datsun endlich wieder beschwingt hinaus zum Bad, das an den Ausläufern des Wienerwaldes lag und von dem aus man einen schönen Blick auf die Stadt hinunter hatte. Ich parkte in einer engen Lücke vor dem Eingang, die dort immer für mich freigehalten wurde, drehte den Motor ab und stieg aus. Die Schlüssel klirrten in meiner Hand, als sie gegen das falsche Gold meiner Armbanduhr schlugen. Vor dem Kassenhäuschen blieb ich stehen, schob meine Brille hinauf und sagte freundlich: „Guten Morgen, Friederike, wie geht’s denn heute so?“ Wer wie ich mit Friederike eng befreundet war, der musste im Bad keinen Eintritt zahlen, jedenfalls nicht in diesem. Darüber war ich ganz froh, denn die verdammten Schnüfflergeschäfte liefen schlecht in diesen Tagen. Und mein Kumpel Willi zögerte, mir sein Pornhouse-Imperium zu überschreiben, was mir ein Überleben auf immerhin niedrigem Niveau gesichert hätte. Mit anderen Worten: Ich war pleite. Und so eine Saisonkarte hätte unnötig auf die Ausgabenseite gedrückt.

      Friederike arbeitete hier seit über zwanzig Jahren, vielleicht auch seit über dreißig. Was weiß ich! Und früher … naja. Früher war sie ein echtes Rennpferd gewesen, aber heute war natürlich auch sie weitgehend verwelkt. Ihr Dekolleté zog sich zwischen ihren fleischigen Oberarmen zusammen wie ein Zigeunerakkordeon, und ihr Arsch glich einer zweihundert Euro teuren Wurstsemmel. Alles, was sie zu bieten hatte, steckte in einem viel zu engen, viel zu blauen Badeanzug, über den sie immerhin ein weites Tuch warf. Mit anderen Worten: Das Rennpferd lahmte schon gewaltig. Aber die Erinnerungen an sie waren immer noch süß. Meinen freundlichen Guten-Morgen-Gruß erwiderte sie stets mit einem neckischen „Aber Rocky! Es ist doch schon nach vierzehn Uhr!“ Und ich antwortete dann jedes Mal: „Aber Friederike! Sag doch bitte nicht Rocky zu mir. Ich heiße Rock wie der Felsen und nicht Rocky wie das Felschen. Aber das weißt du doch, nicht wahr?“

      Und natürlich wusste sie es.

      Außerdem sagten mir ihre Augen, dass ihr der Felsen immer noch gut gefiel. Ihre lüsternen Blicke landeten auf meinen Brusthaaren ebenso wie auf meinen Schenkeln, und irgendwann natürlich auch an der Stelle dazwischen. Ich musste dann immer wieder mal streng mit ihr sein und sie an den Zahn der Zeit erinnern: „Wie alt bist du eigentlich, Friederike? Ha?“

      „Bald fünfzig …“

      „Friederike!“

      „Zweiundfünfzig … Also gut, vierundfünfzig.“

      „Friederike!“

      „Okay, achtundfünzig.“

      „Und wie heißt es weltweit zum Thema?“

      „Fick nicht deinen Offizier?“

      „So ungefähr.“

      Dann bat ich sie, mir endlich mein gelbes Casali-Badetuch sowie meine Eincremehilfe der Marke Tiroler Nussöl zu geben – beides hatte ich bei ihr im Spind deponiert –, bevor ich mich mit den immer gleichen Worten von ihr verabschiedete: „Ich geh dann mal hinüber zu Horst.“ Zu meinem Freund Horst nämlich, dem Bademeister, der um diese Zeit des Tages immer schon drüben in der Kantine saß, wo wir bei Kantinenwirt Erwin ein Herrengedeck als spätes Frühstück zu uns nahmen. Aber Friederike schaute mich plötzlich mit besorgtem Augenaufschlag an und sagte: „Horst ist doch heute gar nicht da!“

      Und ich sagte, als es mir den Sack in der Hose zusammenzog: „Machst du Witze? Horst ist doch immer da!“

      ***

      Es war, als wäre die Sonne in ein tiefes Loch gefallen! Weder hatte Horst Friederike angerufen, dass er nicht kommen würde, noch war er drangegangen, als Friederike ihn anrief, um zu fragen, wann er denn kommen würde.

      Dabei stand Horst seit gut dreißig Jahren verlässlich jeden Tag hier als Bademeister in der Wiese herum, vielleicht sogar seit vierzig Jahren. Was weiß ich! Mit einem Körper, der ein streng nach der Form eines Cornettos gemeißelter Stein war. An seinem mächtigen Schädel hingen bis halb zum Arsch lange blonde Haare, die er sich freilich mittlerweile nachfärben lassen musste. Unter seiner mächtigen Nase trug er einen blonden, festen, unfassbar männlichen Schnauzer. Die in Bademeisterkreisen vorgeschriebene braune Lederhaut bildete die Grundlage für die in Bademeisterkreisen ebenfalls vorgeschriebenen Goldkettchen über den wiederum dazu passenden Brusthaaren und die das Gesamtbild perfektionierende weiße, enge Badehose, in der sich sein mächtiges Teil deutlich abzeichnete. Horst sah aus wie der große Bruder von Hulk. Mit der kleinen Einschränkung vielleicht, dass an der Rückseite dieses gewaltigen Körpers die Haut auch schon ein wenig faltig geworden war und dass aus dem engen Bademeistertanga heraushing, was früher mal an seinem steinharten Arschmuskel klebte. Aber eben jetzt nicht mehr, wo auch er schon Mitte fünfzig war. Und okay, das ehemals steinharte Brustfleisch bewegte sich auch schon ein wenig in Richtung Süden. Aber insgesamt war er natürlich immer noch eine Toperscheinung, die von allen im Bad „Blondie“ genannt wurde. Und jeder konnte sich vielleicht denken, warum. Die schlanken, braungebrannten Ladys der Bauart Bunny Beach klebten jedenfalls an ihm und wollten nichts anderes, als von ihm eingecremt zu werden und dann …

      Ich hatte auch Blondie in Dirty Willis Swedish Pornhouse kennengelernt, wo ich für Willi im Nebenjob das Mädchen für alles spielte: die Filme einlegen, die Plakate aufhängen, die Sportgummis verkaufen und die verdreckten Taschentücher wegräumen, sobald die letzten Kunden das Kino irgendwann nach Mitternacht verlassen hatten. Horst war dort regelmäßiger Gast während der ausgedehnten Swimmingpool-, Summersplash- oder Wet-T-Shirt-Sommerfestwochen. Alles mit Wasser gefiel ihm halt. Aber vor allem gefielen ihm die Frauchens, und er liebte es, sie einzucremen, er liebte es wirklich.

      Da war ich mir sicher.

      Eincremen war vielleicht das, was er in seinem Leben am liebsten tat und am besten konnte, besser sogar noch als Schwimmen. Und natürlich hatte auch ich von Horst gelernt, wie man die Ladys fachmännisch eincremte: Man fing immer unten bei den süßen Zehen an und arbeitete sich dann langsam nach oben bis hin zum ebenso süßen Arsch. Bevor man aber dort in der Mitte angekommen war, verlegte man seine Finger hinauf zu den süßen Ohrläppchen und arbeitete sich von dort wieder nach unten, abermals bis zum süßen Arsch. Erst dann schob man die Hand dorthin, wo die Freude wohnte, und fragte mit säuselnder Stimme: „Na?“ So jedenfalls hatte er mir erklärt, dass man es machen müsse. Zuschauen ließ er mich dabei aber natürlich nie, Betriebsgeheimnis.

      Leider hatte sich das Publikum im Bad in den letzten Jahren ganz schön verändert, und Sätze wie „Am Abend schon was vor, Beste?“ fielen heute deutlich seltener als früher. Das lag aber nicht an Horst oder an mir oder gar an unserem langsamen Verwelken. Das lag an einer Entwicklung, die ganz und gar unerfreulich war: Früher kamen nämlich hauptsächlich Frauchens zu Horst ins Bad und wollten ihren Spaß haben. Nun aber waren es hauptsächlich Mütter, die noch nie etwas von Spaß gehört hatten und schon gar nichts von Spaß verstanden. Sätze wie „Böser, böser Onkel, weg, weg, weg!“ hörte man heute deutlich häufiger als „Zu dir oder zu mir?“, knapp gefolgt von „Lass dir von dem Onkel ja kein Eis schenken!“ in Richtung der Kinder.

      Und dann gab es auch noch diesen neuen Trend, dass sich alle sofort sexuell belästigt fühlten, sobald man sie auch nur ein wenig länger und ein kleines bisschen geiler anschaute, als die Ladys es von ihren Milchshaketrinkern zu Hause gewohnt waren. Immer öfter gab es daher auch für Horst einfach mal ein paar Stunden lang überhaupt nichts zu tun – weder etwas zu schauen, weil man sofort schroff angegangen wurde, noch etwas zum Eincremen, weil sich diese Mütter nicht von uns eincremen lassen wollten,


Скачать книгу