Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl

Sommer ohne Horst - Manfred Rebhandl


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nichts sehen konnte. Außerdem: Was sollte man mit einer auch machen, die im Sommer unter einem Baum lag und Chips futterte? Über Bäume reden vielleicht? Sie war weiß wie ein Eisbär und schwer wie Blei, also nicht ganz mein Typ. Okay, wer es darauf anlegte, der konnte mit der einen schönen Tag hier verbringen und sie eincremen. Er brauchte dann nur genug Creme!

      Sie kicherte zu uns herüber und meinte: „Ich weiß, ich bin euch wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, no problem, das passiert mir öfter. Und Kerstin Block, die Lehrerin mit dem Blog, kennt das Problem auch. Aber, he! Wir nehmen das locker.“

      Sie wurde nicht einmal rot, als sie hysterisch lachte, und auch nicht, als sie weiterredete: „Ich habe halt irgendwie das Talent, dass man durch mich hindurchschaut, aber das passiert Kerstin Block auch …“ Sie kicherte weiter wie eine Dreijährige, die gerade einen hat fahren lassen, zuckte dabei mit den Schultern und meinte wieder: „Kerstin Block? Die Lehrerin mit dem Blog? Noch nie gehört? Sie postet auf Youtube und auf Insta über die Themenbereiche Resilienz, Achtsamkeit und …“

      Ich unterbrach sie und fragte: „Was war das Zweite?“

      „Achtsamkeit.“

      Dann herrschte Schweigen, bis sie „… gesunde Ernährung“ sagte.

      Kubelka und ich schauten uns an, aber es fiel uns beiden nichts ein, was wir darauf hätten sagen können, außer vielleicht: „Gesunde Ernährung für Dicke?“

      Auch diesen Treffer steckte sie weg, klang aber schon ein wenig verzweifelt, als sie weiterredete: „WWW – Punkt – kerstinblock – klein und zusammengeschrieben – Punkt – com. Nie gehört?“

      Da wollte es eine unbedingt wissen, aber wir wussten es halt nicht. Und uns fiel auch nichts ein, was wir darauf hätten antworten können, also redete wieder sie: „Manchmal kommt sie sogar hierher. Ich kann euch ihre Nummer geben, wenn ihr mit ihr reden wollt. Ich habe euch vorhin ein wenig zugehört, und ich denke, ihr habt ein paar echte Probleme.“

      Endlich stieß ich Ku ins schwabbelige Bauchfleisch, weil er ja auf solche mit Dachschaden spezialisiert war und uns jetzt aus dieser Scheiße herausboxen musste: „Sag doch du mal was!“

      Und er sagte: „Ich hab von ihr gehört.“

      Das war wie ein Schlag in mein Gesicht: „Was!?“

      Aber der Plus-Size-Lady ging ein breites Grinsen über die Lippen: „Echt? Von Kerstin Block, der Lehrerin mit dem Blog?“

      Schon filmte sie Ku an, als wäre er der Letzte mit einem Schwanz auf einer Insel und sie die Letzte mit dem dazu passenden Gegenstück. Dass er ein Psychofuzzi war („Gestatten, Dr. Kubelka, Psychotherapeut mit Schwerpunkt Systemische Analyse“), schien sie obendrein schwer zu beeindrucken. Vielleicht hatte sie aber auch einfach nur Mitleid mit seinem Gesicht. Diese Dicken haben ja häufig Mitleid und sind auf Kümmern aus, damit sie selbst etwas zurückkriegten.

      Ku hätte jetzt Schluss machen müssen, den Pflock einschlagen, der das Ende des Gespräches bedeutet hätte. Stattdessen legte er noch eins drauf und sagte: „Tut mir übrigens wirklich leid, dass ich sie nicht richtig sehen kann …“

      Da hatte eine doppeltes Pech: Alle schauten ohnehin schon durch sie hindurch. Und dann konnte einer nicht einmal das richtig, weil er auf einem Auge gar nichts mehr sah!

      Ich wollte weg von hier, aber zwischen Ku und der Achtsamen schien es zu knistern. Dabei war er doch gerade erst wegen einer anderen, die er „Traumfrau“ nannte, verprügelt worden. Er tastete sich von meinem Tuch weg hinein in die Wiese halbwegs in ihre Richtung, verlor aber bald die Orientierung. Also stand sie auf – versuchte es, scheiterte, versuchte es wieder, schaffte es endlich –, holte ein Taschentuch aus ihrer riesigen Tasche, führte es zum Mund und machte es nass. Es war also höchste Zeit davonzulaufen, bevor sie ihm das getrocknete Blut mit ihrer Spucke aus seinem Gesicht wischen konnte. Ich sagte, und ich sagte es deutlich: „Was ist jetzt eigentlich mit dir und dieser Lehrerin? Wolltest du auch sie nur ficken? Ganz ohne Gefühle, wie du das mit allen machst? Du mit deiner Sucht nach gefühllosem Ficken!“

      Dieser Treffer zeigte Wirkung. Die Achtsame verlor das Gleichgewicht und fiel mit ihren zwei gewaltigen Milchdrüsen voran auf sein Gesicht. Das konnte geil sein, man konnte aber auch daran ersticken.

      Als die Zugewanderten mit ihren eigenen Fettbrüstchen das sahen, lachten sie nicht nur über uns, sondern hielten auch längst ihre Scheißphones in unsere Richtung und filmten den Ringkampf, der sich da unter dem Baum abspielte. Da lagen zweihundert Kilo Schwabbelmasse auf einem Haufen zusammen, und der weibliche Teil davon schnaubte den männlichen wütend an: „Ohne Gefühle also?“

      Sie versuchte aufzustehen, was ihr nach einigen Anläufen auch gelang, und verpasste ihm eine dorthin, wo er ohnehin schon nichts mehr sehen konnte. Wütend stapfte sie zurück zu ihrer Decke, schnappte sie samt mitgebrachter Futterboxen, packte alles zusammen und marschierte davon. Schneller war sie in den letzten Jahren nicht gewesen, und wütender hatte sie noch nie geschrien: „Ich werde mich beschweren!“

      „Am besten bei Horst!“, rief ich ihr nach.

      Als sie „Horst“ hörte, stolperte sie und kam dann fast nicht mehr auf die Beine.

      „Der weiß am besten, wie man mit solchen wie dir umgeht!“

      ***

      Als die Dicke endlich weg war, wollte ich hier nicht länger gesehen werden, jedenfalls nicht zusammen mit Ku. Daher warf ich aus Gründen des Anstandes und des Restes an Ansehen, das ich hier vielleicht noch genoss, mein Casali-Badetuch über ihn, schaute ihn streng an und sagte: „Du weißt also, was Youtube ist?“

      „Naja. Dort höre ich mir die alten Beatles-Nummern an von den Platten, die ich mir jetzt nicht mehr kaufen möchte, nachdem ich die Erstpressungen auf Vinyl alle weggeschmissen habe, ich Volldepp.“

      „Und Kerstin Block, die Lehrerin mit dem Blog, von der hast du auch schon gehört?“

      „Natürlich nicht! Aber sie schien mir ein wenig Aufmerksamkeit zu brauchen, darum gab ich sie ihr, ist doch nichts dabei. Außerdem beschäftige ich mich nun mal selbst mit den Themenbereichen Resilienz und Achtsamkeit, ich habe sogar Horst schon mal Tipps gegeben, wie er resilienter werden kann.“

      „Horst?“

      „Ja, Horst, den du ständig nur idealisierst.“

      „Tu ich nicht!“

      „Tust du doch!“

      „Nein!“

      „Vor einem Monat“, erzählte er mir, als ich die Faust auf seine Eier sacken ließ, „saß Horst in einem dieser Summersplash-Filme und war echt durch den Wind, schaute in seinen Popcornsack und wirkte, als würde er unter einem nicht näher definierten Druck bald zusammenbrechen. Hat er dir nie von seinen Versagensängsten erzählt? Herrgott, wo ist er denn überhaupt?“

      Ich lachte ein wenig unsicher, dann sagte ich: „Naja, er ist … nicht da.“

      Während ich noch überlegte, ob Horsts Verschwinden etwas damit zu tun haben könnte, dass er „den Druck“ spürte (oder vielleicht noch schlimmer: dass er „Versagensängste“ hatte?), nutzten die zugewanderten Jugendlichen seine Abwesenheit, um mit uns Streit anzufangen. Sie riefen „Spasti!“ und „Opfer!“ in unsere Richtung, und manche von denen nannten uns sogar „Schwulis!“.

      Da fiel natürlich auch mir auf, dass Kubelka und ich die ganze Zeit wie zwei Hausfrauen, die ihre Häkelarbeiten austauschten, miteinander redeten, und ich überlegte, wie das wohl auf andere wirkte: Ein bisschen peinlich vermutlich schon!

      Ku war mittlerweile von deren Scheißmusik so genervt, dass er nun zurückschrie: „Hallo! Habt ihr noch nie etwas von dem Philosophen Pfaller gehört?“

      Das war die Frage des Tages: Hast du noch nie von dem gehört, schon mal von der?

      Die Fetten lachten so sehr über ihn, dass ihre Brüstchen auf und ab hüpften, und dann zeigten sie uns den Finger. Aber nicht den Daumen als Zeichen dafür, dass sie von dem Typen schon


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