Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl
Willis Datscha lag draußen an der Alten Donau in einer Gartensiedlung namens Neu-Brasilien. „Brasilien“ machte Willi irgendwie geil, obwohl man mit sechsundsiebzig die richtig geilen Jahre bereits hinter sich hatte. Daher bedeutete Gartensiedlung in seinem Fall: weiße Brusthaare auf braun gegerbten Männertittchen; ledrige Haut an klapprigen Kartenspielern; Duft nach Grill und Bier; enge, vielleicht zu enge Badehosen; und gequetschte Brüste in spitzen BHs. Alles war da draußen irgendwie ganz James Bond, aber halt James Bond 1954.
Ich hatte Willi also dorthin gebracht und ihm den Griller geputzt, bis ich aussah wie der eine von den Heiligen Drei Königen. Dann hatte ich noch den Schlauch an die Freilanddusche angehängt, weil Willi dazu neigte, in seinem Garten auch mal ganz nackt herumzulaufen, sich x-mal am Tag in der prallen Sonne zu duschen und dabei seinem weißbehaarten Glockenspiel alle Freiheiten zu gönnen. Als ich auch damit fertig war, hatte er noch meine Eselsgeduld getestet und gesagt: „Bringst du mir den Gelsenspray? Bringst du mir das Handtuch? Schraubst du mir die Birne rein? Und vergiss nicht die Grillkohle, wir haben keine Grillkohle!“ Und als ich dann endlich gehen wollte und schon beim Ausgang stand, machte er einen auf Pornokino-Vollchef und rief mir nach: „Weißt du überhaupt, wo der Schlüssel für den Vorführraum ist?“
„Natürlich.“
„Und weißt du auch, wohin du die Tageslosung geben musst?“
„Aber ja.“
„Und weißt du vielleicht auch, wie sehr mir der Arsch weh tut, wenn ich noch länger hier herumstehen muss? Also hol endlich die Polster für die Gartenmöbel!“
Während der letzten Jahre war es immer schwieriger geworden mit ihm, und ich musste mir einen immer strengeren Ton gefallen lassen, was nicht nach meinem Geschmack war.
Darum machte ich den Job bei ihm im Pornhouse eigentlich nur noch aus zwei Gründen:
– Die Superschnüfflergeschäfte liefen schlecht und immer schlechter.
– Irgendwann würde ich alles erben, was Willi sich aufgebaut hatte, und ich würde halbwegs davon leben können. (Wobei das eine gewagte Prognose war, wenn man bedachte, wie viele Leute mittlerweile Pornos lieber auf ihrem Scheißphone schauten als in Willis Pornokino!)
Seit gestern Mittag jedenfalls spielte er dort draußen Karten mit seinen drei Kumpels Fritz „Bauchstich“ Hawelka, Freddy „Benz“ Friedl und dem „Schlauch“, einem nigerianischen Pfarrer (oder was weiß ich, was er war!), der von dort, wo er herkam, flüchten musste und – vorübergehend!, wie er sagte – als gern gesehener Gast in irgendeiner Immobilie der Brüder vom Heiligsten Herzen Jesu untergekommen war. So lange, bis er halt wieder nach Nigeria zurückdurfte, was – wie er auch sagte – sein dringendster Wunsch war.
Mein Brotha Lovegod, der zwar nicht mein Bruder war, aber eben mein Brotha und der ebenfalls aus Nigeria stammte und drüben in Bratislava den Crystal-Meth-Markt beherrschte, hatte ihn letzten Sommer mal mit zu uns ins Kino genommen, wo wir extra für ihn Kerzen & Schmerzen auf den Spielplan setzten. Und als der Film dann vorbei war, hatte Willi ihn gefragt, ob er Tarock spielen könne.
Erwin „Fleischhaube“ Schnöll, der bis dahin zu Willis Kartenrunde gehörte wie der Senf zur Wurst, hatte nämlich im Winter davor einen Herzinfarkt erlitten, und zwar in Thailand. Und zwar auf einer Thailänderin, die einen Schwanz hatte! „Das ist so verdammt traurig“, hatte Willi in der Folge immer wieder gesagt. „Man fährt mit so viel Hoffnung dorthin, und kehrt ohne jede Hoffnung im Sarg wieder zurück. Und das Letzte, was man in seinem Leben sieht, ist eine Frau, die einen Schwanz hat!“ Und wirklich: Trauriger, als mit dem Blick auf eine Frau, die einen Schwanz hat, konnte das Leben eines Mannes nicht enden. Und hoffnungsloser als in einem Sarg konnte man danach nicht reisen. („Vielleicht hat sich die Fleischhaube ja einfach übernommen?“, hatte ich in einem Anflug von Vernunft und Wirklichkeitssinn, der mich nun immer öfter ereilte, je älter ich wurde, gefragt. Die thailändischen Bullen hatten die Fleischhaube nämlich im Hotelzimmer mit gleich drei Thailänderinnen gefunden, von denen eben zwei gleichzeitig auch Thailänder waren und sich über die Hosentaschen von Erwin hermachten, um dort nach Verwertbarem zu suchen, während die dritte Thailänderin ohne Schwanz ihn am Schwanz massierte. Nicht bis zum Happy End, sondern bis zum bitteren Ende.)
Der Pfarrer war gerne eingesprungen, und ich hatte dann wirklich gehofft, dass mit ihm am Kartentisch für die nächsten Jahre Ruhe einkehren würde, weil John James, wie er mit vollem Namen hieß, erst Anfang fünfzig war und somit noch ein paar Jährchen vor sich haben sollte.
Aber jetzt?
Es war wie im verdammten Kindergarten! Denn Willi sagte mir nun, dass ihn vorhin Trudi, die Gattin von Bauchstich-Fritz, angerufen und ihm mitgeteilt hätte, dass dieser während der letzten Nacht, als er wieder einmal pissen gehen musste, einfach umgefallen und gestorben war.
Ich fragte müde: „Ganz ohne Bauchstich?“
„Ganz ohne Bauchstich.“
Da baute man sich sein Leben lang einen entsprechenden Ruf auf, steckte zehn Bauchstiche weg wie nichts, und dann fiel man einfach beim Pissen um!
Müde fragte ich: „Und jetzt?“
„Jetzt musst du für Fritz einspringen!“
Sonst würde das bei ihm nämlich mit dem gelungenen Sommer draußen im Gartenhäuschen nichts werden, trotz Azorenhochs. Und mit sechsundsiebzig war natürlich immer die Frage, wie viele gelungene Sommer es insgesamt noch werden würden.
Ich kam für diesen Job aber nicht infrage, denn Kartenspielen interessierte mich einfach nicht, es interessierte mich noch weniger als Golfspielen. Ich hatte es letztes Jahr einmal versucht, als der Pfarrer irgendwo ganz dringend eine Messe lesen musste. Aber schon nach zehn Minuten hatte ich gesagt: „Pass mal auf, Willi, so geht das nicht. Ich bin zu jung für diesen Scheiß, ich muss noch etwas anderes erleben als hier mit dir im Gartenmobiliar herumzusitzen und Karten zu spielen. Ich fahre jetzt zu Horst hinaus ins Bad!“
Zwar hatte ich nichts gegen ein gutes Stück Steak am Abend, das auf dem Griller brutzelte, und ich schaute auch gerne mal zu den Sternen hinauf, wo ich diesen Großen Wagen suchte und dabei ein paar Gelsen killte, die ungefragt auf mir Platz nahmen. Aber ich wollte nicht Karten spielen untertags, wenn ich gleichzeitig bei Horst draußen sein und mit ihm zusammen die Frauchens in ihren knappen Bikinis anschauen oder sie vielleicht sogar zu einer Eincremesession nach dem Verzehr eines Eislutschers überreden konnte.
Ich hätte nun also meinen Kumpel Lemmy fragen können, ob er mit Willi und dem verbliebenen elenden Rest da draußen ein paar Runden Karten spielen wollte. Und Lemmy wäre im Prinzip sogar ideal dafür gewesen, da er den ganzen Tag lang nur auf seiner Couch herumsaß. Aber oft genug war er dabei so zugedröhnt, dass er alleine fürs Mischen der Karten drei Tage gebraucht hätte. Wenn er nämlich falsch dosiert war, dann bewegte er sich manchmal stundenlang überhaupt nicht. Und auch wenn Sitzen-bleiben-bis-die-Blase-Reißt beim Kartenspielen oberstes Gebot war, so musste man doch mit den Händen flink sein und im Köpfchen erst recht.
Daher kam Lemmy trotz aller Vorteile einfach nicht infrage.
Also drehte ich mich zu Kubelka, der gerade neben mir aufwachte, und fragte: „Kannst du eigentlich nur Scheiße reden und zuhören? Oder kannst du auch Tarock spielen?“
Er sagte begeistert: „Mit Willi, dem Schwein? Natürlich kann ich Tarock spielen! Es muss mich nur jemand fragen!“
***
„Glaubst du, er wird mich als vollwertiges Mitglied seiner Kartenrunde akzeptieren? Tarock spielen auf Augenhöhe? Von Mann zu Mann?“ Ku schien überglücklich, dass er mit Willi Tarock spielen durfte, war sich aber nicht ganz sicher, ob Willi das auch war. Der hatte nämlich seit jeher seine Vorbehalte gegen ihn, weil er ihm nicht männlich genug war und weil ihn die Weibergeschichten, die er immer erzählte, nicht interessierten.
Mir aber war scheißegal, ob Willi ihn akzeptierte. Mir war nur wichtig, dass er Ku im Geräteschuppen schlafen ließ, wo er vor den Schlägern dieses eifersüchtigen Chirurgen, der seine Lehrerin einengte, sicher sein würde. Das war mein Plan,