Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl
sah ich plötzlich etwas Porzellanweißes auf mich zukommen, etwas, das sich orientierungslos herumtrieb. Wie viele Krebse ging es seitwärts, also im Krebsgang. Wenn es nicht aufpasste, dann würde es gleich ins Wasser fallen, was aber auf dieser Seite des Beckens verboten war.
Dieses Etwas fiel dann aber doch nicht hinein, sondern taumelte immer weiter auf mich zu. Und da hatte ich schon diese Befürchtung: Immer wieder kam es nämlich vor, dass ich irgendwo alleine herumsaß, und dann setzte sich jemand, den ich genau in diesem Moment nicht sehen wollte, genau neben mich. Der taumelnde Wackelpudding war nun schon so nahe an mir dran, dass er mich mit seiner Weißheit blendete. Dann hob er plötzlich die Arme und legte sich ungefragt neben mich – aber nicht so, als wollte er von mir eingecremt werden!
Ich sagte: „Verdammt, Ku! Was soll der Scheiß? Dich kann ich hier wirklich nicht brauchen!“
Es war nämlich mein Freund Kubelka, der normalerweise um diese Zeit des Tages in seiner Praxis herumsaß und dort irgendwelche Psychos hinter zugezogenen Vorhängen therapierte. Mit bis oben hin zugeknöpftem Hemd, den Ärmeln immer unten und die Hose auch nicht ganz selten.
Ich kannte auch ihn aus Dirty Willis Swedish Pornhouse, wo er sich am liebsten Filme mit Immanuela Cunt in der weiblichen Hauptrolle anschaute und mit Ziggy Joy in der männlichen. So einer kam selten in die Sonne. Und wenn ich mir anschaute, wie seine Kugelwampe den Krummrücken belastete, dann auch nicht zum Sport. Es sah wirklich abstoßend aus, wie er sich da neben mich fallen ließ, und das sagte ich ihm auch: „Dein Körper bedeutet dir wohl gar nichts?“
Er meinte: „Ihutinrnvrze.“
„Was?“
„Ic pnkte mt andrn Vrzügn.“
„Du punktest mit anderen Vorzügen? Im Ernst?“
„Ja.“
„Aber nicht mit deinem Gesicht, oder?“
Sein Gesicht war nämlich gerade der schwächste Teil an ihm. Das linke Auge war blau und grün und vollkommen geschlossen, das rechte nur blau und sogar noch ein wenig geöffnet, sodass er sich halbwegs orientieren konnte. Und die Nase war ganz sicher nicht mehr so gerade wie früher. Ich erkannte ihn eigentlich nur an seinem Herrenhandtäschchen, ohne das er nie außer Haus ging, weil da seine Visitenkarten drin steckten, die er ständig verteilte. Und an seiner linken Hand, an der er über die fünf Finger hinweg F-R-E-U-D tätowiert hatte.
Manchmal glaubte ich auch bei dem nicht, dass ich mit ihm befreundet war!
Mein Tag war jedenfalls ganz schön versaut, seit ich erfahren hatte, dass Horst nicht hier war. Aber jetzt lief er völlig aus dem Ruder, seit der neben mir saß und versuchte, sich hinter mir zu verstecken. Er wirkte nervös und fahrig. Die lockere Sommerstimmung war verflogen, und die Ladys, die nun langsam auftauchten und sich in die Nachmittagssonne legten, nachdem sie den Friseurbesuch und die Maniküre hinter sich gebracht hatten, machten einen weiten Bogen um mich. Aber nicht wegen mir, sondern wegen des weißen Monsters, das ich nun schon länger nicht mehr gesehen hatte.
Ku war letztes Jahr fünfzig geworden, was er nicht leugnen konnte. Seine Erfolgsgeschichten mit den Ladys waren zum Fünfziger hin immer weniger geworden, sodass er bei denen vorstellig werden musste, die wegen ihrer Probleme mit der Menopause oder dem ganzen frustrierenden Kram mit Mann und Kindern zu Hause bei ihm auftauchten. Oder er musste sich überhaupt um orangefarbene Hosen tragende, rothaarige Kindergärtnerinnen kümmern. Also echt nichts, womit man bei seinen Freunden angeben konnte. Vielmehr war es so, dass wir ihn wegen dieser Ladys immer auslachten.
Vor ein paar Wochen aber sagte er überraschend, er hätte „etwas Regelmäßiges“ mit einer „Perfekten“ laufen. Hörte sich an wie ein verdammter Angeber, der auch mal einen offenstehenden Mund bei seinen Kumpels sehen und ein „Respekt, Oida!“ hören wollte. Aber eine „Perfekte“ verziehen wir kaum mal einem unserer Kumpels, denn warum sollte man einem auch „etwas Regelmäßiges“ mit einer solchen gönnen, wenn es bei einem selbst immer holpriger lief?
Außerdem: Anders, als das die Hausfrauen untereinander machten, hatte uns Ku auch nie etwas Genaueres über seine neue Flamme erzählt, weswegen wir auch begründete Zweifel hatten, ob es diese „Perfekte“ überhaupt gab. Wenn er tatsächlich diesen dicken Fisch an der Angel hatte, warum erzählte er uns dann nicht, ob dieser Fisch schluckte oder spuckte? Er wollte schließlich nicht mehr verraten, als dass sie irgendwo „unterrichtete“.
Seither nannte ich sie: die Lehrerin.
Nachdem er sich halbwegs beruhigt hatte, fing er genau von der an zu reden: „Ich hab dir doch mal von Ludmilla erzählt.“
„Von der Lehrerin?“
„Sie ist doch keine Lehrerin, Herrgott! Sie kommt aus bestem Wiener Bürgerhaus und ist Professorin für Neurologie an der Universität Wien mit Gastprofessuren in Berkeley und Uppsala. Insgesamt ist sie weltweit führend auf ihrem Gebiet!“
Ich blieb dabei: „Als Lehrerin?“
„Verdammt, nein! Als Professorin!
„Als Lehrerin!“
„Professorin!“
„Lehrerin!“
Ich konnte da ziemlich stur sein, fast ein wenig kindisch. Dabei war „Lehrerin“ von mir gar nicht abwertend gemeint, im Gegenteil. Meistens sahen Lehrerinnen ja fantastisch aus. Jedenfalls auf der Leinwand im Pornhouse. Wie sie in Wirklichkeit aussahen, das wusste keiner von uns so recht, denn Lehrerinnen waren nicht die Sorte Mensch, mit der wir viel zu tun haben wollten. Hingegen liebten wir Lehrerinnenfilme, sie waren die Meisterschaft des Pornofilms. Jeder Heranwachsende fing mit Lehrerinnenfilmen an und schaute sich dann hoch bis zu den MILFs und später vielleicht sogar bis zu den Grannys, die aber natürlich nur etwas für Spezialisten waren. Also verdammt, ich liebte Lehrerinnen!
Darum blieb ich dabei: „Sie ist Lehrerin! Und überhaupt – idealisierst du sie nicht ein wenig? Sie muss doch auch Fehler haben!“
Mit „idealisiert“ wollte ich ihn an seinen eigenen Eiern packen, denn das war eines seiner verdammten Lieblingswörter: „idealisieren“. Immer wieder sagte er zu mir, dass ich Horst „idealisieren“ würde, was natürlich lächerlich war. Horst war schließlich so perfekt, dass er es nicht nötig hatte, sich von mir idealisieren zu lassen!
„Hat sie aber nicht!“, sagte er, ohne auch nur einen Augenblick lang zu überlegen. „Ludmilla ist und bleibt perfekt.“
Da war einer ganz schön verblendet, was diese Lady anging, jedenfalls, wenn man sich sein Gesicht anschaute. Denn ohne Zweifel musste das etwas mit dieser Lehrerin zu tun haben. Die Farben Blau, Gelb und Grün im Gesicht eines Mannes waren im besten Fall so etwas wie sein Ritterschlag: Wer wegen einer Lady so eine Visage hatte, der musste wirklich für Gefühle in ihrem Umfeld sorgen. Und Eifersucht war ein sehr starkes Gefühl.
Ich deutete also auf seine Nase und fragte: „Hat sie dich mit dem Lehrerinnenrohrstab so hergerichtet? Oder war es ihr Typ?“
Er drehte fast durch: „Es waren natürlich die Schläger von ihrem durch und durch eifersüchtigen Mann! Und sie ist keine Lehrerin!“
Und ich sagte: „Ist sie doch!“
***
Plötzlich hörten wir eine von unter dem Baum, neben dem wir saßen, „Ähem“ sagen. Und dann: „Es ist doch nichts schlecht daran, wenn man Lehrerin ist. Kerstin Block, die Lehrerin mit dem Blog, ist auch Lehrerin.“
Ich weiß auch nicht, wieso, aber ich sagte plötzlich: „Wer?“
„Kerstin Block, nie gehört? Die Lehrerin mit dem Blog. Sie ist ziemlich berühmt, also echt. Sie bloggt für Frauen mit Größe XL aufwärts, da geht es viel um Selbstbewusstsein und Selbstannahme: Wie steh ich zu mir? Sag ich Ja zu mir? Sag ich Nein? Das ist jeden Tag eine Entscheidung, verlangt jeden Tag eine Antwort …“
Heilige Scheiße. Da sprach uns also eine an, die mir überhaupt nicht aufgefallen war, als ich Ausschau nach einer gehalten hatte, die