Safe Harbor. H.J. Welch

Safe Harbor - H.J. Welch


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»Für den Fall, dass es wieder passieren sollte. Jetzt wissen Sie, was Ihnen das kleine Lämpchen sagen will.«

      »Das bedeutet das Licht also.« Die Frau schüttelte bestürzt den Kopf. »Ich dachte, es… Nun, mir war nicht klar, dass es dringend ist. Ich komme mir so dumm vor.«

      »Schon gut«, sagte Dair beruhigend. »Das kann jedem passieren.«

      »Aber ich musste den Wagen abschleppen lassen. Und jetzt die Reparatur. Was wird das alles kosten? Mein Mann wird so wütend werden. Oh Gott, was soll ich nur tun? Ich bin so dumm.«

      Dann ist dein Mann ein Arschloch, dachte Dair bei sich. Warum sollte ein Mann seiner Frau Vorwürfe machen für eine Sache, über die sie nichts wusste? Nicht jeder war ein Autonarr.

      Dairs geschulte Beobachtungsgabe setzte ein, bevor er sich dessen recht bewusst wurde. Das Handy der Mom war mindestens vier Jahre alt. Ihre Sneakers waren abgelaufen, ihre Jeans ausgefranst und ihr Pulli hatte einige kleine Löcher. Das Auto war auch schon einige Jahre alt und nicht in bestem Zustand. Das Kind lief erst in die eine Richtung, dann in die andere. Die Laufleine zog und zerrte am Arm der Frau, die sie fest umklammert hielt. Sie war so besorgt, dass sie es kaum zu merken schien.

      Dair sah sich in der Werkstatt um. Als er seinen Chef nicht finden konnte, stand sein Entschluss fest. »Machen Sie sich keine Sorgen. Für die Kleinigkeit müssen Sie nichts bezahlen. Ich musste nur den Schlauch wieder anbringen und das Abschleppen gehört zum Kundendienst. Ich erledige nur schnell die Formalitäten.«

      Die Freude in ihrem Gesicht war unbeschreiblich. »Sind Sie sicher? Oh, ich… vielen Dank. Vielen herzlichen Dank. Ich schwöre, ich werde das kleine Lämpchen nie wieder ignorieren. Ich werde das Auto rechtzeitig warten lassen.«

      Dair lächelte. Er wusste noch nicht, wie er die Sache abrechnen sollte, aber die Tränen der Erleichterung in ihren Augen waren es wert. »Ich habe auch Öl und Wasser nachgefüllt. Jetzt können Sie unbesorgt losfahren.«

      Das ließ sich die Mom nicht zweimal sagen. »Ich muss wirklich nach Hause und mich um das Abendessen kümmern. Vielen, vielen Dank. Sie sind der Beste. Ich wette, Ihre Frau hat diese dummen kleinen Probleme nicht.«

      Dair lächelte trotz der Melancholie, die ihn bei ihren Worten erfasste. »Fahren Sie vorsichtig, Ma'am«, sagte er, während sie das Kind auf den Rücksitz packte. »Kommen Sie rückwärts raus oder soll ich Ihnen helfen?«

      Nachdem sie das zappelnde Kind in seinem Kindersitz festgeschnallt hatte, drehte die Frau sich zu Dair um. Die Schlüssel hielt sie mit beiden Händen umklammert. »Nein«, sagte sie entschlossen. »Das kann ich selbst. Nochmals danke. Sie haben diesen Tag für mich gerettet.«

      Dair winkte ihr lächelnd nach. Dann machte er sich auf den Weg ins Büro, um eine Lösung für die Abrechnung zu finden. Wenn er seine Zeit nicht in Rechnung stellte (was sowieso nicht viel war), konnte er den Abschleppwagen als Betriebskosten abrechnen und die Kosten selbst übernehmen und…

      »Hey, Double Dair!«

      Der Ruf wurde von Gelächter begleitet und Dair verdrehte die Augen. Wenn die Jungs in seiner Einheit ihn so gerufen hatten, dann aus Freundschaft und Respekt. Die Idioten, mit denen er hier zusammenarbeiten musste, benutzten den Spitznamen – nachdem sie ihn herausgefunden hatten – mit unverkennbarem Spott in der Stimme.

      Dair wusste, dass er sich damit abfinden musste, auch wenn er es kindisch und ärgerlich fand. Andernfalls würde sie ihn Sissy nennen oder sich irgendeinen anderen erbärmlichen Mist ausdenken.

      Der Typ, der nach ihm gerufen hatte, spielte mit seinem Handy, obwohl er keine Pause hatte. »Hast du vor, den Gratisservice, den du gerade verschleudert hast, von deinem Lohn abziehen zu lassen?«

      Dair biss die Zähne zusammen. Er hatte gehofft, er würde damit durchkommen, auf seinen Lohn zu verzichten und die Abschleppkosten zu übernehmen. Jetzt musste er der Werkstatt auch noch den Verdienstausfall ersetzen. »Natürlich«, rief er zurück. Gute Taten blieben eben nie ungesühnt.

      »Du bist ein solcher Schlappschwanz, Mann. Hast du dir wenigstens ihre Nummer geben lassen? Sie war auf ihre hilflose Art recht heiß. Ich wette, die lässt dich allen möglichen Scheißkram machen.« Damit brachte er die anderen wieder zum Lachen.

      Dair verzog das Gesicht. »Es war nur eine einfache Reparatur. Ich wollte ihr helfen.«

      »Oh, der würde ich auch jederzeit helfen!« Einige der anderen fingen zu johlen an und machten obszöne Gesten, während sie mit den Hüften nach vorne stießen. Dair verdrehte die Augen und überließ sie ihrem Spaß.

      Während seiner Zeit in Afghanistan war auch viel Scheiße geredet worden, aber das hier war anders. Wenn man jeden Tag dem Tod ins Auge sah, war es in Ordnung, sich gegenseitig mit geschmacklosen Bemerkungen zu überbieten, um Dampf abzulassen.

      Aber die Kerle hier? Waren einfach nur Idioten.

      Dair machte sich seufzend an die Arbeit und stellte sich den gesamten verdammten Auftrag in Rechnung. Mist. Damit wurde das Geld in diesem Monat etwas knapp. Egal. Er würde einen Weg finden, um damit auszukommen. Davon war er überzeugt. Er hätte nie das Geld der Werkstatt genommen, sondern nur auf sein eigenes verzichtet. Die gesamten Kosten zu übernehmen, machte vermutlich keinen großen Unterschied mehr. Es zeigte lediglich die Geschäftsmoral dieser Werkstatt in klarem Licht.

      Profit geht vor Menschlichkeit.

      Dair wünschte, seine Kollegen wären nicht solche unreifen Idioten. Zumal er freitags und samstags oft für sie einsprang und länger arbeitete, damit sie ausgehen oder früher bei ihren Familien sein konnten. Er hatte gehofft, ihnen damit ein Vorbild sein zu können und einen guten Einfluss auszuüben. Aber nach zwei Jahren hatte sich immer noch nichts zum Besseren geändert.

      Er bedauerte nicht, die Marines verlassen zu haben. Es war der richtige Zeitpunkt für ihn gewesen, ein neues Leben zu beginnen. Dachte er damals. Nachdem er nach Seattle zurückgekehrt war, hatten er und seine Freundin sich ausgesprochen. Solange er oft für lange Zeit auf Auslandseinsätzen war, war in ihrer Beziehung immer alles gut gelaufen. Nach seiner Rückkehr hatte sich das jedoch geändert. Er wollte Kinder. Sie nicht. Für dieses Problem gab es keine Kompromisslösung. Wenigstens hatten sie sich als Freunde getrennt.

      Dair war naiv gewesen. Er hatte gedacht, seine Kollegen in der Werkstatt könnten die Lücke füllen, die entstanden war, als er die Marines verließ. Da er keine eigene Familie hatte und zum ersten Mal seit seiner Schulzeit Single war, hatte er gehofft, hier seinen Platz zu finden.

      Wieder schallte derbes Gelächter durch die Werkstatt und erinnerte ihn daran, dass seine Hoffnungen vergebens gewesen waren.

      Und dann dachte er an zu Hause.

      Dair lehnte sich lächelnd in seinem Stuhl zurück. Er hatte seine Mitbewohner, nicht wahr? Es war nicht das Gleiche wie eine Freundin oder eine Frau, aber es war schon so eine Art Familie. Peyton war echt cool, aber Robin mochte er besonders gut leiden. Vielleicht, weil er ruhiger war und es zu einer größeren Herausforderung machte, ihn besser kennenzulernen.

      Nach seinem Einzug hatte Dair einen ganzen Monat lang gedacht, Robin würde ihn nicht mögen. Er war sich immer noch nicht ganz sicher. Sie hatten sich gut verstanden, als Dair sich ihm und Peyton vorstellte. Doch dann schien Robin sich in eine Maus verwandelt zu haben, die erschrocken quiekte und davonrannte, wann immer Dair zu Hause war.

      Langsam, aber sicher hatte Dair ihn aus der Deckung gelockt. Zuerst mit den Spezialrezepten seiner Mutter – Käsenudeln und Hühnerbrust Kiew. Dann hatte er Robin gefragt, ob er mit ihm auf der PlayStation Black Ops 4 spielen wollte. Dair hatte sich gedacht, dass ein Softwareentwickler wie Robin bestimmt auch gerne Computerspiele mochte. Er hatte sich nicht getäuscht.

      Robin war immer noch extrem schüchtern, aber wenn er sich vergaß und aus sich herausging, öffneten sich die Schleusentore und er legte los. Dair fand ihn lustig und verdammt liebenswert. War es zu viel verlangt, wenn er hoffte, sie könnten mit der Zeit gute Freunde werden? Dair war überzeugt, dass Robins Arbeitskollegen wesentlich klüger sein mussten als er selbst. Doch obwohl sie wenig gemeinsam hatten, konnte er das Gefühl


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