Gott suchen in der Krise. Отсутствует
Winter-Bronchitis. Das Schlimmste ist die Psyche, die Vorstellungen und Ängste. Aber Christel bekommt Fieber: Ist es der Versorgungs-Stress wegen Gordon? Mit Stefan Bieber vom Willow-Büro reorganisieren wir Gordons Rückflug. Das Gesundheitsamt zeigt viel Verständnis und stellt rasch Bescheinigungen aus für etwaige Grenz-Probleme. Nervöse Stimmung im Haus: Schafft er es noch zurück, bevor die USA dichtmachen? Müssen wir ihn weitere Wochen in unserem angeschlagenen Zustand versorgen?
Die Macht der Bilder
Genau am letzten Tag vor der Schließung der US-Flughäfen schafft er es. Eine Last fällt ab, wir sind wieder frei für uns. Aber jetzt geht es meiner Frau immer schlechter, hohes Fieber – trotz mittlerweile zweimal negativem Test. Und immer wieder verfolgen uns die Bilder in den Medien, die Särge, das Leid auf den Krankenstationen, die Ohnmacht. Das Corona-Wort hat Macht, produziert Bilder. Die Infektion verläuft in Wellen. Man denkt, es geht wieder besser, aber dann wird es deutlich schlechter – und man kassiert alles positive Denken und die leichten Worte von gestern schnell wieder ein. Sorge und Angst übernehmen erneut – wo genau wird das enden? Haben wir wirklich dieses Corona, das wir da in der Tagesschau sehen? Was macht dieses große unheimliche C mit uns?
Als mich das Gesundheitsamt schließlich wieder gesundschreibt und ich endlich wieder das Haus verlassen darf, muss ich meine Frau Christel ins Krankenhaus bringen – der dritte Test und ein Lungen-CT bringen Gewissheit: Doch positiv, wohl schon länger. Und deswegen dazu jetzt eine virale Lungenentzündung, die man nur begleitend behandeln kann. Sie bekommt ein Malaria-Mittel zum Unterdrücken der Viren und Antibiotika – und erneut zieht die Angst ein bei uns. Was soll ich ohne sie? Ich lebe mein Leben so sehr zusammen mit ihr, bin so bezogen auf sie – was tue ich hier allein im Haus?
Gute Worte von Familie und Freunden sind da. Und wir beten und beten und beten. Täglich kann ich am Krankenhaus etwas abgeben, aber hinein komme ich nicht, Quarantäne-Station. Wie gut, dass es Facetime gibt! Schließlich entdecke ich ihr Fenster und winke ihr einige Male von draußen zu. Meine Tagesstimmung schwankt im Takt ihres Ergehens auf und ab. Und – danke, Gott! Nach acht Tagen kann sie das Krankenhaus verlassen. Wir sind wieder beieinander. Angeschlagen, noch geschwächt. Und nachdenklich – dem allen nach-denkend. Es wird dauern, ehe wir das alles verarbeitet haben. Und Corona gibt mir eine Erinnerung mit – ich kann nicht mehr riechen und wenig schmecken. Aber wir sind dankbar. Unendlich froh über jeden neuen Tag, den wir gemeinsam haben. Zeit ist kostbar …
Was hilft in der Krise?
Man wird hellhörig in Krisensituationen. Man hört und liest so viel gut Gemeintes. Und spürt heraus, was davon unter der Last eigener Erfahrung gesagt wird und was nur an-empfindend, in guter Absicht – aber ohne tieferes Verstehen. Manch frommen Spruch empfinde ich als aufgesetzt und billig. Weit weg von der realen Not. Bei manch zitiertem Bibelvers riecht man den pädagogischen Impetus – was aber nützt es mir, wenn ich höre, dass Gott uns keinen Geist der Furcht gegeben hat (vgl. 2. Timotheus 1,7) – ich aber gerade mitten in Angst und Sorge lebe?
So war das schon damals, als unsere erste Tochter starb. Ja, alles kann uns zum Besten dienen, was uns passiert (vgl. Römer 8,28), aber deswegen ist noch lange nicht alles gut! Seit diesem Sterben ist mir klar, wie ambivalent viele Verheißungen der Bibel verstanden werden können – und wie oberflächlich oft über die Liebe Gottes und unser Leben gesprochen wird.
Ja, Gott schützt, trägt, hält uns – und ich bin unendlich dankbar für all das, was es in meinem und unserem Leben Gutes gibt. Aber manches Gute ist durch das Schwere hindurch gewachsen. Denn nein, Gott schützt uns eben nicht vor allem Bösen – aber er trägt und hält uns darin. Und nein, nicht alles Böse endet gut. Ja, »alle Eure Sorge werft auf ihn« (1. Petrus 5,7; LUT) – nur stimmt eben nicht, dass (wie gerade in einem Corona-Ermutigungstext gelesen) »… er sich um alles kümmert«. Nein, das tut er nicht – zumindest nicht in jenem oberflächlichen Trost-Sinn, wie dieses Wort wohl verstanden werden sollte. Leben und Glaube sind komplizierter, ambivalenter, geheimnisvoller als wir es gerne hätten. Gott und mein Glaube sind keine Anti-Schmerz- und Leid-Versicherung, das Gebet kein Verhinderungsautomat für alles Ungute. Wenn Sturm kommt – stürmt es auch bei Christen.
Und genau das blenden wir so gerne aus. Denn darin begegnen wir der Unverfügbarkeit Gottes und der Ambivalenz von Leben und Tod. Der uns das Leben gab – kann es auch wieder nehmen. Kann zulassen oder wegschauen, wenn Leben bedroht ist – oder genommen wird. Warum Gott das zulässt, ist eine der bohrenden Fragen des Glaubens. Die Quelle immerwährender Zweifel. Eine fest eingebaute Ohnmacht vor dem Geheimnis Gottes – oder, ehrlicher: vor unserem Nichtverstehen Gottes. Wir können an ihn glauben, wir können ihn suchen, uns an ihn halten, den Glauben an ihn nicht aufgeben – aber wir können ihn nicht verstehen, in den Griff bekommen, unsere Ohnmacht in unangefochtene Fraglosigkeit verwandeln.
Kämpfen in der Krise
Und das macht Glaube anspruchsvoll – gerade in Krisen. Denn es ist ja gerade das Wesen der Krise, dass wir sie eben nicht im Griff haben. Sondern dass sie uns im Griff hat. Sie definiert sich geradezu durch unsere Ohnmacht und Einsicht, dass wir – jetzt gerade oder auch generell und letztlich – hilflos sind gegenüber den großen Zumutungen von Leid, Schmerz, Sterben und Tod. Dass Gott etwas zulässt, das wie ein Felsblock in unser Leben ragt, an dem wir nicht vorbeikommen. Der schmerzt und wund reibt und unverrückbar ist für uns.
Kein Leben ohne Krisen-Erfahrung. Kein Glaube – ohne dass wir den Kampf aufnehmen, auch in Krisen zu glauben. Denn es ist ein Kampf. Weil dieser allmächtige Gott doch all das mit einem Fingerschnipsen wegnehmen könnte, was er da gerade in meinem – oder im Leben eines geliebten Menschen – zulässt … es aber nicht tut! Und das als guter Vater und als unendliche Liebe, wie die Bibel sein Wesen beschreibt. Zu dem ich »Papa« sagen darf und mich kindlich vertrauend flüchten soll. Der mich kennt und geschaffen hat und bejaht. Der aber trotz all seiner Liebe, Güte und Allmacht ganz offensichtlich zulässt, dass mir oder anderen dies oder das passiert. Wie soll ich da glauben? Wie soll ich da mein Vertrauen bewahren? Wer ist dieser geheimnisvolle, unverständliche, liebende Gott, wenn es so wehtut und lebensgefährlich wird?
Glaube in der Krise ist ein Kampf. Ein Kampf, ob auch jetzt, wo der Himmel dunkel ist und meine Angst und Verzweiflung groß – stimmt und wirksam bleiben soll, wozu ich mich entschlossen habe: Ich will glauben! Denn das ist meine Einsicht: Ich muss und will den Kampf aufnehmen! Ich will festhalten an dem, der mir das Leben gegeben hat. Ich lasse ihn nicht los, auch wenn ich ihn gerade nicht verstehe. Ich halte die Hand fest, die mich doch gerade zu schlagen scheint. Ich habe mich entschieden dafür – und habe es in guten Tagen eingeübt, was jetzt in schlechten Tagen gelten soll: Gott ist Gott. Und ich bin sein Kind. Und er ist meine Zuflucht, auch wenn ich ihn gerade nicht verstehe.
Dennoch-Glaube
Ich bin froh, dass die Bibel neben unzähligen schönen Verheißungen eben auch die Tiefpunkte des Lebens schon mitdenkt: »Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat« heißt es in Hebräer 10,35 (LUT). Warum steht solch ein Vers in der Bibel? Eben weil wir durch die Wirklichkeit und Härte des Lebens immer wieder dieser Versuchung begegnen, unser Vertrauen wegzuwerfen. Weil unser Vertrauen so sehr von dem Guten und Schönen lebt – und das Finstere ausblenden will.
Aber der Kampf um meinen Glauben – um bleibendes Vertrauen – ist unser Überlebensmittel! »Dennoch bleibe ich stets bei dir; denn du hältst mich an deiner rechten Hand«, sagt Psalm 73,23 (LUT). Dennoch? Ja, weil es unter unseren Dächern auch schon vor und jenseits von Corona immer wieder Leid und Schmerz und Zerbruch und Verzweiflung gibt, mit denen wir leben müssen. Gott ist mittendrin – aber nicht die Versicherung dagegen! Er lässt oder mutet zu – und ich werde gerade dann nicht weglaufen, sondern mich an ihm festklammern. Das ist es, was ich will! Das ist Kern meines Glaubens.
Das ist es, wozu ich auch in dieser Corona-Krise Zuflucht genommen habe: Mich festzuhalten an ihm! Meine Sorge, Angst und meine Bitten auf ihn zu werfen – ich habe nichts Besseres! Und ich habe es wieder erlebt: Mein größtes C ist nicht Corona, sondern Christus, zu dem ich fliehe und zu dem ich bete. Christus