Gott suchen in der Krise. Отсутствует
Warum ich so schwarz male? Weil man ein Wunder wohl erst dann erkennen kann, wenn man vorher am Boden ist. Obwohl ich mich sonst eher als nüchternen Journalisten denn als einen euphorisch veranlagten »Wundergeschichten-Erzähler« beschreiben würde.
Das Wunder beginnt mit einer mutigen und einfallsreichen Frau: Meine Musikerkollegin Judy Bailey erlebte im März die gleiche Krise wie ich: Absagenflut, ausbleibende Einnahmen, finanzielle Unsicherheit. Und auch ihr stellten sich die Fragen: Was bleibt uns christlichen Künstlern, wenn wir unsere Lieder von Glauben und Trost, Hoffnung und Zukunft nicht mehr singen dürfen? Oder noch anders, etwas frommer ausgedrückt: Welchen Beitrag könnte Gott von uns in einer solchen Situation erwarten?
Judys Antwort darauf: Sie singt. Am 14. März, abends um halb acht. Mit der ganzen Familie. In der heimischen Küche. Persönlich. Mutmachend. Mitreißend. Und sie überträgt das fröhliche Küchenkonzert in die große weite Medienwelt hinaus. Via »Facebook live«.
Judy und ihr Mann Patrick heben bei der Gelegenheit eine Veranstaltungsform aus der Taufe, die für mein Empfinden in die Kirchengeschichte eingehen sollte: Die »Hopesongs from my kitchen«. Geistliche Konzerte voller Rhythmus, Freude und Kreativität, die damit zugleich den Gemeinschaftsgeist fördern, Einsamkeit aufbrechen und Hoffnungslosigkeit dämpfen, gute Ideen verbreiten und Blicke über den Tellerrand ermöglichen, zum Mitmachen einladen und den Blick weglenken von den Sorgen des Tages auf den Auferstandenen: Jesus Christus.
Dabei macht Judy eigentlich gar nichts Besonderes: Sie setzt sich mit ihrem Mann Patrick und ihren drei Jungs in die Küche, steckt ihr Handy auf ein Stativ und geht auf »Facebook live«. Kurz darauf ist sie live im Internet zu erleben. Mit mäßigem Sound und manchmal stotternden Bildern. Aber eben live, echt, persönlich. Und einfach wohltuend. Schon nach kurzer Zeit haben sich etliche Zuschauerinnen und Zuschauer vor ihren Computermonitoren und Handydisplays versammelt. Sie erleben den Start von Judys Reihe »Hopesongs from my kitchen«.
Wenige Tage später klinke ich mich ein. Baue meinerseits mit zitternden Fingern ein ausgeliehenes Stativ in unserer Küche auf, kämpfe damit, mich nicht seitenverkehrt und auch nicht um 90 Grad gekippt in Szene zu setzen, und mein Gesicht mithilfe einer Stehlampe wenigstens einigermaßen auszuleuchten. Als alles vorbereitet ist, so gut ich es eben kann, betet meine Frau Ingrid mit mir und segnet mich für diesen »Spezialeinsatz«. Dann lege ich los. »Hopesongs from my kitchen« aus Triefenstein in Unterfranken, am 23. März im Corona-Jahr 2020, um 19.30 Uhr.
Warum ich mir das so genau gemerkt habe? Weil mich das, was ich bei diesem ungewöhnlichen Konzert erlebt habe, schier wegbläst. Nach wenigen Minuten schon werden mir 100 Teilnehmer gemeldet. Dann haben sich 200 zugeschaltet, dann 300. Nach etwa 20 Minuten sitzen an bis zu 670 Standorten schätzungsweise 1.000 Menschen und erleben meine Hopesongs live mit. Einfach so. Unfassbar.
Klar, die Leute sind in diesen Tagen ausgehungert. Sie lechzen nach sozialen Kontakten. Nach einem kleinen Scherz und einem Lächeln. Nach einem Bibelvers, der Mut macht. Nach einem Segenswort für die schwere Zeit. Fast alle sitzen in diesen Zeiten ja zu Hause und müssen sich auf die wenigen Kontakte innerhalb der Familie beschränken. Beim Facebook-Live-Konzert erleben sie direkt-indirekt gemeinsames Lachen und Singen, können per Knopfdruck mitgestalten (indem sie als »Applaus« Herzchen oder hochgestreckte Daumen auf den Displays nach oben steigen lassen). Viele Zuschauerinnen und Zuschauer spüren dabei: Ich bin nicht allein. Auch wenn ich hier allein vor dem Monitor sitze – ich bin verbunden mit Hunderten von Menschen dort draußen, die jetzt genau das Gleiche erleben, spüren, genießen wie ich. »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte«, hat Jesus versprochen (Matthäus 18,20). Hier sind erheblich mehr Menschen versammelt – und er ist mittendrin. In diesen Tagen im März haben Kirchen, Gemeinden und Verlagen erst zaghaft begonnen, ihre Medienangebote an die neue Situation anzupassen und zu erweitern.
Und so empfehlen viele noch während des Konzerts die »Hopesongs« ihren Freunden. So regnet es in der knappen Stunde des Konzerts Hunderte begeisterter Kommentare wie »Was kann das Internet für ein Segen sein – ich ziehe gestärkt in den Abend« oder »Solang so viele Menschen in dieser Krise zusammenhalten, überstehen wir das mit Gottes Hilfe gut«. So werde ich regelrecht bestürmt, bald schon wieder »live zu gehen« und zu singen.
Erst nach der Aufregung des Konzerts realisiere ich: Mein erstes Konzert dieser Art erlebten live auch etliche Nachbarn aus meiner Straße mit – und sogar Menschen in Italien, Indien, Südafrika, Paraguay, Argentinien und Israel. Nach dem Live-Konzert sehen sich viele andere im Nachhinein den Mitschnitt an – insgesamt interessieren sich mehr als 4.000 Menschen für meine kleinen Lieder zur Klampfe.
Ich rechne durch: Hätte meine Tournee mit sieben Konzerten wie geplant stattgefunden, hätten wir dabei vermutlich nicht einmal halb so viele Menschen erreichen können wie mit diesem Live-Konzert aus der Küche – mit einfachsten Mitteln und doch gewaltiger Reichweite. Unfassbar.
Aber es sind in erster Linie gar nicht die großen Zahlen, die mich begeistern. Es ist die Tiefe der Reaktionen, es sind die vielen Dankesmails, die kleinen und großen Aktionen, die durch mein Konzert angeregt und in die Wege geleitet wurden.
Ein paar Beispiele gefällig?
Eine Zuschauerin bastelte spontan nach dem ersten Konzert Windlichter mit der Aufschrift »Hoffnungsschimmer« und verteilte Dutzende davon an Menschen, die in der Corona-Krise Zuspruch und Zuversicht brauchen. Bei einem zweiten Konzert erzähle ich davon – und sofort finden sich Nachahmer. Eine Zuschauerin berichtet mir, dass sie während des Konzerts tröstliche Postkarten an Bekannte schreibt. Etliche andere nähen in dieser Zeit Atemschutzmasken für Pflegeheime. Insgesamt drei Sponsoren melden sich bei mir und vertrauen mir Geld für meine Künstlerkollegen an, die sonst keinerlei Einnahmen mehr haben – und die wiederum überglücklich das als ein Geschenk des Himmels entgegennehmen.
Wunderbar, oder?
Judys Idee zieht Kreise. Jeden Abend um halb acht gibt’s ein »Hopesongs«-Konzert im Internet. Viele Kolleginnen und Kollegen steigen ein: Sefora Nelson, Andi Weiss, Njeri Weth, Andrea und Albert Frey, Carola und Ebi Rink, Samuel Rösch und Jan Jakob präsentieren ihre »Hopesongs«. Samuel Koch, Schauspieler und Autor, steuert an einem Abend Texte aus seinen Büchern bei. Musiker aus Kolumbien, Kenia, Indien, Neuseeland, England, Italien und den USA singen ihre Lieder von Glaube, Liebe und Hoffnung. Seit dem 14. März Abend für Abend um 19.30 Uhr, ergänzt durch »Hopesongs specials«. Grob geschätzte Gesamtzuschauerzahl – sicher mehr als 100.000 Menschen! Oder noch mehr?
Gerade in dieser Krise und der Ungewissheit sind menschliche Kontakte ganz wertvoll – keimfreie, versteht sich. Bei den »Hopesongs« beobachte ich auf eindrückliche Weise: Die sozialen Medien bieten eine Riesenchance für gegenseitige Ermutigung, für Stärkung und Hoffnung. Ich erlebe: Die unkomplizierte, spontane Art der Hoffnungslieder-Reihe tut mir selbst gut. Mal ist es die lockere Art des Interpreten, mal eine Textzeile, die mich Gott näherbringt, mal ist es ein Witz oder ein schräger Akkord, der mich aufhorchen lässt und etwas Gutes in mir auslöst. Gott beschenkt und segnet mich durch das, was ich da direkt miterleben kann.
Und umgekehrt wünsche ich mir ja genau das für all meine Zuhörerinnen und Zuhörer da draußen: Ich will ihnen mit meinen Liedern vom Glauben guttun. Will ihren Blick von der Sorge hin zu Jesus, dem sicheren Halt unseres Lebens lenken. Will mit ihnen singen: »Bist zu uns wie ein Vater, der sein Kind nie vergisst« (übrigens nicht nur auf Deutsch …). Will mit ihnen darüber nachdenken, worauf es jetzt wirklich ankommt im Leben. Will mich mit ihnen gemeinsam zu Gott aufmachen: »Wir suchen deine Nähe, wir sehnen uns nach dir. Und spüren doch, wir sind nicht offen dafür.« Will ihnen Mut machen zu Gebet und Stille. Aber auch aktiv zu werden für Menschen, die dringend Unterstützung brauchen, z.B. durch ein Telefongespräch, eine Postkarte, eine Mail oder ein Geschenk.
Als Christ möchte ich gerade jetzt Hoffnung verbreiten, wo die Stimmung von Angst geprägt ist. Bei den »Hopesongs« gelingt das bereits außerordentlich gut. Vielleicht gerade weil sie so spontan, unkompliziert und ungeplant daherkommen. Mehr und mehr verbreitet sich der gute Ruf dieser besonderen Konzerte. Die Medien berichten staunend über das Phänomen.
Dass wir uns