Insel der verlorenen Träume. Karin Waldl
um sie und küsste sie am Hals. Desiree zuckte unbewusst zusammen.
„Du bist schön, so wie du bist“, flüsterte er ihr ins Ohr.
„Du hast leicht reden. Du musst ja nicht die Konsequenzen einer Schwangerschaft mit dir herumtragen. Die Zwillinge haben mich ganz schön ausgebeult. Und man sieht das nach zehn Jahren immer noch“, gab Desiree ärgerlich zurück.
„Dafür hast du zwei wunderbare Töchter. Das gehört dazu. Wenn du mich fragst – was du ja nicht tust –, finde ich dich sehr anziehend. Deine Rundungen machen dich sehr weiblich“, wollte Stefan sie beschwichtigen.
„Du hast recht, dich frage ich bestimmt nicht. Du würdest mir auch noch schöntun, wenn ich wie die Venus von Willendorf aussähe“, erwiderte Desiree nun richtig patzig.
„Aber das heißt doch nur, dass ich dich liebe, so wie du bist“, versuchte es Stefan erneut.
„Also macht Liebe doch blind“, antwortete Desiree, diesmal schnippisch.
„Und wenn es so ist, dann ist es doch gut so. Ich mag dich und da gehört dein äußeres Erscheinungsbild dazu.“
„Egal, wie ich aussehe?“, stellte sie Stefan auf die Probe.
„Na ja, würdest du dich nicht mehr waschen und am ganzen Körper stinken, deine Zähne wären verfault und du hättest Läuse in deinen vor Fett triefenden Haaren, dann würde ich etwas sagen. Versprochen!“ Stefan grinste.
Desiree drehte sich zu ihm um. Sie musste ebenfalls lachen über seinen Kommentar. Sie wusste, wie sehr er sie liebte. „Danke, Stefan, für deine große Liebe zu mir.“
„Bitte“, flüsterte er, ehe er sie an sich zog und lange küsste.
Desiree ließ ihn gewähren. In seiner Nähe fühlte sie sich beschützt und geborgen.
Lautes Geschrei beendete abrupt die Kuschelminute. Die feindlichen Laute drangen bis ins erste Stockwerk zu den Eltern, deren Zweisamkeit wie so oft ein schnelles Ablaufdatum hatte.
„Mama, Nele hat mein Tagebuch gelesen“, kreischte es im Erdgeschoss.
„Aber Nala hat vorher meines gestohlen“, brüllte Nele noch etwas lauter.
Desiree seufzte abermals, diesmal wegen der sinnlosen Streiterei ihrer Sprösslinge.
„Ich mach das schon“, sagte Stefan und bewegte sich in Richtung der Störenfriede.
Desiree wandte sich wieder dem Spiegel zu. Nachdem sie sich zweimal hin und her gedreht hatte, beschloss sie, dass es sowieso keinen Sinn hatte. Nichts würde sie heute zu einem positiven Urteil über sich selbst bringen, mit dem sie sich aufheitern konnte. Das Argument von Stefan bezüglich der zwei liebenswerten Kinder zog im Moment auch nicht. Dafür war das Gezanke, das noch immer im Gange war, zu ohrenbetäubend. Sicher liebte sie ihre Töchter, aber manchmal musste man sich das stärker ins Gedächtnis rufen als in den friedlichen Momenten. Vor allem, wenn sie sich unnötig in die Haare bekamen, stieg Desiree die Galle hoch. Wie konnte man tagaus, tagein wegen Nichtigkeiten streiten, als würde die Welt untergehen? Manchmal fühlte sie sich hilflos. Ihr gutes Zureden schien nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Gut, dass Stefan da war. Er nahm oft der Situation den Wind aus den Segeln. So wie jetzt, angenehme Ruhe breitete sich im Haus aus. Desiree atmete tief ein und aus. Sie schloss die Augen, genoss die Stille, die mit zwei Kindern sehr rar war. Wie schön wäre es, ein paar Tage Urlaub von dem turbulenten Familienleben zu haben. Nur ein paar Tage, um Kraft zu tanken und danach entspannt zu Kindern und Ehemann zurückzukehren. Das würde ihr gefallen. Sie wünschte sich, den Augenblick der Ruhe verlängern zu können, ehe es an der Tür läutete.
„Ich mach auf!“, schrie eines der Mädchen.
„Nein, ich mach auf! Ich bin sowieso schneller als du“, übertrumpfte die andere Halbwüchsige ihre Schwester.
Ein drittes Mal seufzte Desiree wegen der erneuten Unruhe. Sie machte sich auf, um ihre Töchter zu bremsen, damit der unangekündigte Besuch nicht zurückschreckte.
Doch da rief Stefan schon: „Desiree, es ist für dich, eine Frau Eisenschmidt von der Storyboard Filmproduktion.“
Desiree erschrak ob der Worte so sehr, dass sie auf der Treppe ausrutschte und unsanft auf dem Hintern landete. Ein brennender Schmerz zog sich vom Gesäß den Oberschenkel hinab. Sie unterdrückte einen lauten Aufschrei. Schnell stand sie auf, rieb sich die wunde Stelle und setzte ihren Weg fort.
In dem Moment betraten Stefan und ihr unerwarteter Gast das Wohnzimmer. Im Stillen bedankte sich Desiree, dass niemand etwas von ihrem peinlichen Sturz mitbekommen hatte.
„Frau Benjamin?“, erkundigte sich die Fremde.
„Ja“, antwortete Desiree.
„Ich bin Frau Eisenschmidt“, stellte sich die Frau vor.
Desiree schüttelte ihr höflich die Hand. Gemischte Gefühle stiegen in ihr auf, Angst kombiniert mit Neugierde. Erwartungsvoll blieb sie stumm, bemerkte nicht, wie ihr Gegenüber auf eine Geste der Gastfreundschaft wartete.
„Können wir uns setzen? Ich bin den ganzen Tag schon auf den Beinen“, versuchte der Besuch höflich zu klingen.
„Natürlich“, stammelte Desiree beschämt, wies Frau Eisenschmidt in Richtung Esstisch und bot ihr einen Stuhl an.
Stefan bugsierte inzwischen die Mädchen in Richtung Kinderzimmer. Als er sicher war, dass diese darin verschwunden waren, trat er an die beiden Frauen heran. „Darf ich einen Kaffee bringen?“, übernahm er die Gastgeberrolle für die perplexe Desiree.
„Bitte, mit Milch, wenn es keine Umstände macht. Und ein Glas Wasser dazu“, sagte der Gast.
Dankbar schaute Desiree ihren Ehemann an. „Für mich dasselbe, bitte.“
Stefan steuerte in die Küche, um den Kaffee herzurichten.
„Frau Benjamin, die Storyboard Filmproduktion ist an Ihrem Drehbuch ,Perlmuttfarbene Sehnsucht‘ interessiert. Ich bin hier, um einen Vertrag auszuhandeln, wenn Sie nach wie vor mit uns zusammenarbeiten wollen“, erklärte die Geschäftsfrau.
„Ja, natürlich“, stotterte Desiree aufgeregt.
„Ist das Ihr erstes Drehbuch, das verfilmt wird?“, fragte Frau Eisenschmidt vorsichtig.
Die Autorin nickte, ehe sie erklärte: „Bis jetzt habe ich nur ein paar kleine Theaterstücke verkauft.“
„Das habe ich gehört. Sie werden in Fachkreisen schon als vielversprechender Newcomer gehandelt.“
„Echt?“ Desirees Stimme überschlug sich beinahe vor Überraschung.
Frau Eisenschmidt bejahte. „Ich glaube ernsthaft, dass es an der Zeit ist, Desiree Benjamin bekannt zu machen. Ihr Drehbuch ist genial.“
Die derart Gelobte zitterte vor Freude und Aufregung gleichzeitig. Ihr Gast musste schmunzeln wegen ihrer Verlegenheit und Nervosität.
„Vielleicht sollten wir es uns gleich einfacher machen miteinander. Stört es Sie, wenn wir uns duzen?“
„Natürlich nicht. Ich bin Desiree.“ Sie gewann allmählich etwas von ihrer Fassung zurück.
„Ich bin Barbara“, erwiderte die andere.
Pro forma schüttelten sich die beiden Frauen noch einmal die Hände. In dem Augenblick erschien Stefan mit Kaffee und ein paar Schokoladenkeksen. Er stellte alles ab und verschwand wieder, um nach seinen Töchtern zu sehen.
„Es gibt nur einen Haken an der Sache. Die Zeit ist knapp. Wir bräuchten dich sofort an Bord, Desiree. Wir müssten schon in drei Monaten zu drehen beginnen. Denn der Schauspieler, der die Hauptrolle übernehmen soll, hat nur ein knappes Zeitfenster, in dem der Film im Kasten sein muss. Er ist gerade sehr im Kommen und vielseitig in der Schauspielbranche beschäftigt.“
Desiree