Insel der verlorenen Träume. Karin Waldl

Insel der verlorenen Träume - Karin Waldl


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dir sein, dich küssen und spüren, so wie damals. Ich schäme mich dafür, weil es unrecht meinem Mann und meinen Töchtern gegenüber ist, aber mein Herz kann nicht anders. Nie hätte ich gedacht, dass es möglich ist, zwei Männer zu lieben, wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Und dadurch, dass wir getrennte Wege gehen mussten, ist meine Liebe zerrissen, unvollständig. Die Vernunft sagt mir, dass ich es nicht ändern kann, aber mein Herz will nichts davon wissen.

      Deine Desiree.

      Elias sah seine Mutter an. Eine einzelne Träne rann über ihr ansonsten ausdrucksloses Gesicht. „Du hast ihn nie abgeschickt, oder?“, wollte Elias wissen.

      Desiree nickte kaum merklich.

      „Und du fühlst immer noch so, wie du es beschrieben hast? Nach, lass mich überlegen, vierundzwanzig Jahren?“

      Wieder stimmte sie lautlos zu.

      Elias rückte nun ganz nah an sie heran. Er strich ihr sanft über den Arm. Es fiel ihm schwer, diese heikle Frage zu stellen. „Möchtest du ihn noch einmal sehen, bevor du stirbst?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er hat auch eine Familie. Aber er soll dich kennenlernen, denn ich bin bald nicht mehr da. Ich hoffe, seine Ehe ist gefestigt genug, um dein Auftauchen zu verkraften.“ Nun konnte Desiree nicht mehr anders, sie brach in Tränen aus.

      Elias wartete geduldig, bis sie wieder ruhiger wurde. „Wer ist er?“, wollte er schließlich wissen.

      „Alles der Reihe nach. Ich möchte dir die Geschichte von Anfang an erzählen. Aber du musst mir zwei Dinge versprechen.“

      So nah am Ziel war Elias bereit, alles zu geben. „Was möchtest du, Mama?“

      „Erstens möchte ich, dass du dir alles anhörst, ehe du dir eine Meinung über deinen Vater und mich bildest. Vielleicht verstehst du dann auch deinen Stiefvater besser. Stefan hat sich deine aufrichtige Liebe verdient. Vergiss das nie, auch wenn du Kontakt zu deinem leiblichen Vater aufnimmst.“

      „Natürlich“, antwortete er knapp, um ihren Redefluss nicht unnötig zu unterbrechen.

      „Und die zweite Bedingung ist, dass du erst Kontakt zu Elias aufnehmen darfst, wenn ich schon tot bin. Ich brauche dich jetzt an meiner Seite und ich möchte seine Ehe nicht aufs Spiel setzen. Tot bin ich keine Gefahr mehr.“

      „Okay, das leuchtet mir ein. Ich möchte auch bei dir bleiben, so lange, wie es mir möglich ist.“

      „Danke, Elias, du bist ein guter Sohn. Manchmal denke ich, ich habe es gar nicht verdient, dass du mich so sehr in dein Herz geschlossen hast.“

      „Doch, Mama, du hast mich gelehrt, dass niemand perfekt ist. Und dass dies kein Grund ist, eine Person deshalb weniger liebenswert zu finden.“

      „Ja, da hast du recht. Bist du bereit? Ich zähle auf deine Versprechen“, sagte sie mit Nachdruck.

      Elias nickte. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“

      Als sie den Mund öffnete, um zu sprechen, sprang sein Herz schneller vor Aufregung. „Sein Name ist Elias Faber.“

      Der junge Mann bekam große Augen. „Aber nicht der Elias Faber?“

      „Doch. Der Schauspieler Elias Faber ist dein Vater.“

      „Aber der wohnt doch hier in München“, rief Elias entsetzt.

      „Ich weiß.“

      „Und du willst mir weismachen, ihn nie wieder gesehen zu haben?“ Erneut stieg Zorn in Elias auf. Es war schrecklich, wie sehr ihn dieses Gefühl momentan beherrschte. Mit aller Gewalt versuchte er, es zu unterdrücken. Er wollte Desiree nicht erschrecken. So sprang er auf und ging im Zimmer auf und ab, verbannte seine überschüssige Energie in seine Beine.

      „München ist groß. Es leben zu viele Menschen hier, um sich regelmäßig zu begegnen“, erwiderte Desiree.

      „Aber er spielte in manchen deiner Theaterstücke. Waren da nicht sogar Filme mit ihm, deren Drehbücher du geschrieben hattest?“

      „Ja, aber es hat Vorteile, wenn man die Vorarbeit zu einem Projekt leistet. Ich hielt mich einfach, so gut es ging, von den Proben und Dreharbeiten fern. Ich ging nur zu den Premieren, wo wir beide von Tausenden Menschen umgeben waren. Unsere einzigen gemeinsamen Gespräche waren für Interviews vor der Kamera. Ich bat Stefan, mich immer abzuschirmen, damit ich nicht mit ihm reden musste. Und das hat fast immer perfekt geklappt.“

      Elias ging noch schneller auf und ab, er rannte schon fast. „Das heißt, ich war oft in seiner Nähe und habe nie gewusst, dass er es war.“

      Desiree schaute weg, ihre Antwort war halbherzig. „Ja, wenn du es so siehst.“

      „Ich glaube dir das nicht“, sagte er überaus nervös.

      „Beruhig dich, Elias. Wir wissen beide, dass das nicht leicht ist.“

      Elias blieb stehen. „Ich muss kurz hinaus. Ich komme in fünf Minuten wieder.“

      ***

      Kaum war Elias zur Tür hinaus, rannte er los. Er sprintete um den Häuserblock, so schnell ihn seine Füße trugen. Sein Herz hämmerte, weil er sich so sehr verausgabte. Sein Zorn schien langsam zu schwinden, ehe er ganz verebbte. Er blieb stehen und atmete tief durch, bevor er umkehrte. Er wollte wieder zu seiner Mutter, um mehr zu erfahren.

      Doch als er am Krankenbett stand, war sie eingeschlafen. Es strengte sie anscheinend sehr an, mit ihm zu sprechen. Elias wollte sie nicht wecken, aber er musste mit irgendjemandem sprechen. Nur mit wem? Er hatte versprochen, sich die Geschichte erst einmal anzuhören. Die Identität seines Vaters jetzt preiszugeben, wäre mehr als unklug. Er würde seine Mutter verletzen, jetzt da sie ihm endlich alles erzählen wollte. Es erschien ihm zu riskant, jemanden anzurufen, der in München wohnte.

      Plötzlich kam ihm eine Idee. Er schnappte sich sein Smartphone und wählte Michaelas Nummer.

      „Hallo Elias. Was gibt es?“, fragte sie höflich.

      „Stell dir vor, meine Mutter hat mir endlich verraten, wer mein leiblicher Vater ist“, frohlockte er.

      „Oh, das ist ja toll für dich“, gab sie zur Antwort.

      „Schatz, mit wem telefonierst du?“, erklang es bei Michaela im Hintergrund.

      „Nur jemand, der eine Umfrage starten möchte“, log sie.

      „Dann sag, dass du keine Zeit hast. Wir müssen los“, wandte die eindeutig männliche Stimme ein.

      „Ja, gleich“, gab Michaela zurück.

      Als sie nun endlich wieder mit Elias sprach, krampfte sich dessen Magen vor Eifersucht zusammen. Er hörte sie sagen, als käme es von ganz weit weg: „Elias, bitte, ruf nicht mehr an. Ich wollte nur höflich sein, als ich dir das beim letzten Mal anbot. Du hast keinen Platz mehr in meinem Leben. Ich bin jetzt mit jemand anderem zusammen. Du musst das verstehen. Ich werde nicht mehr abheben, wenn du es versuchst. Auch Nachrichten werde ich ungelesen löschen. Glaub mir, es ist besser so. Leb wohl.“

      Elias stammelte ebenfalls ein „Leb wohl“, ehe ihm das Smartphone aus den Fingern glitt. Schnell hob er es auf, aber das Gespräch war beendet. Warum war er nur so dumm gewesen, sie anzurufen? Er wusste, dass sie nie wieder gemeinsame Wege gehen würden. Doch wann würde der Schmerz endlich verebben?

      Unbeobachtet ließ er seinen Tränen freien Lauf. Er weinte allen guten und schlechten Erinnerungen an Michaela nach. Die Tränen waren heilsam, sie begannen, seine Seele zu reinigen. Das verkrampfte Gefühl in seinem Herzen wurde eine Spur erträglicher. Vielleicht konnte die Zeit doch Wunden heilen. Er hielt sich an diesem Strohhalm der Hoffnung fest, ehe er selbst kurz einnickte.

      Seine Blase weckte ihn. Er ging Richtung Badezimmer, um sich zu erleichtern. Als er fertig war, streifte er seine Ärmel nach oben. Sorgfältig wusch er mit Flüssigseife und Wasser seine Hände. Er blickte in den


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