Insel der verlorenen Träume. Karin Waldl
auf.
Doch Elias war heute alles egal, er ignorierte die strengen Worte. Stattdessen spielte er Luftgitarre, was den komischen Gestalten ein weiteres tiefes Gelächter entlockte. Er drehte sich im Kreis und ließ die erdachte Gitarre am Boden zerschmettern. Fast hätte er dabei das Gleichgewicht verloren, aber das spornte ihn noch mehr an, etwas vollkommen Unüberlegtes zu tun. Ohne seine eigenen Grenzen richtig einzuschätzen, sprang er in Richtung Lampenschirm, der zerfetzt und verstaubt an der Decke montiert war. Wie ein Affe versuchte er sich an ihn zu hängen, um sich daran elegant herunterzuschwingen. Ein gelungener Showdown für seine Vorstellung. Dabei vergaß er, dass heute keine Eleganz und Ruhmeshymnen mehr für ihn übrig waren bei der Menge an Alkohol, die er in sich hineingeschüttet hatte.
Kaum hatte er den Leuchtkörper in Händen, riss er knirschend und bröckelnd aus der Decke. Mit schmerzverzerrtem Gesicht landete Elias rücklings am Boden, der Lampenschirm krachte mit aller Gewalt auf ihn und der Putz der Decke rieselte als Draufgabe herab. Die finsteren Gestalten sprangen von ihren Sitzplätzen in die Höhe. Aber das bemerkte Elias nicht mehr, Dunkelheit hüllte ihn ein. Die Welt um ihn herum wurde schwarz.
***
„Schatz, kommst du?“ Michaelas Gesicht erschien grinsend in der Tür des Badezimmers. Ihre kurzen blonden Haare waren perfekt gestylt. Dezent geschminkt und in einem olivgrünen Kleid, das ihre schlanke Figur gekonnt umspielte, sah sie hinreißend aus. Die Farbe des Kleides war exakt die ihrer Augen, was diese umso mehr strahlen ließ.
„Du bist wunderschön, mein Engel“, sprudelte es aus Elias’ Mund hervor, mit Zahnbürste und Zahnpasta darin.
Michaela hatte diesen liebevollen Blick aufgesetzt. Sie war ein besonderer Mensch. Er mochte ihre Fröhlichkeit, es war Gott sei Dank sehr schwer, sie zu kränken.
„Fünf Minuten, dann müssen wir aber wirklich los. Die Schauspieler im Theater werden nicht auf uns warten“, flötete sie.
„Ja, ich beeile mich schon“, presste er zwischen dem Ausspucken der Zahnpasta und Wassergurgeln hervor.
„Ich hab dir deinen Anzug für besondere Anlässe schon auf dein Bett gelegt.“
Elias verdrehte die Augen. „Muss das sein?“
„Darf ich dich erinnern, dass du der Ehrengast bist?“
„Aber nur, weil meine Mutter nicht mehr selbst hingehen kann“, protestierte er.
„Das Theaterstück stammt aus ihrer Feder. Du bist es ihr schuldig, sie würdig zu vertreten. Und jetzt zieh dich an, sonst kommen wir wirklich noch zu spät“, sagte Michaela nach wie vor fröhlich.
Dafür liebte Elias seine Freundin sehr, für ihre angenehme, leichte Art. Seit einem Jahr waren sie ein Paar und er hatte sie in dieser Zeit nur einmal zornig erlebt. Und das aus Ärger über sich selbst, weil sie ihren zwei Monate alten, feuerroten Seat Ibiza aus Unachtsamkeit zu Schrott gefahren hatte. Aber das passte zu ihr. Sie war ein strahlender Wirbelwind, der keine zwei Minuten stillstehen konnte.
Hastig zog er sich an, Michaela trippelte mit dem Autoschlüssel in der Hand den Flur entlang. Elias schnappte sich sein Portemonnaie und ergriff liebevoll Michaelas Hand, die bereits die Haustür aufhielt. Hand in Hand schritten sie durchs Stiegenhaus. Michaelas Lachen hallte durch das ganze Gemäuer. Ein Nachbar steckte, gestört von dem Lärm, seinen Kopf aus der Tür. Er schaute grimmig drein.
„Guten Tag“, rief Elias höflich, während sie an ihm vorbeiflogen.
„Deine Mutter ist echt ein Genie“, bemerkte Michaela, nachdem sie am Weinglas genippt hatte.
Elias steckte sich gerade einen Bissen der hervorragenden Forelle in den Mund. Langsam kauend, den runden Geschmack genießend, ließ er sich Zeit mit seiner Meinung.
„Wenn sie deine Loblieder auf sich hören könnte, wäre sie sehr stolz auf die Wahl meiner Freundin. Desiree Benjamin mochte es für ihr Leben gerne, wenn ihre Arbeit positiv gewürdigt wurde. Und wenn sie Kritik einstecken musste, hat sie sich stets beim nächsten Theaterstück oder Drehbuch noch mehr reingehängt“, erklärte er, ehe er erneut die Gabel zum Mund führte.
Michaela wollte gerade das Gespräch fortsetzen, als der Kellner mit ihrer Weinflasche zum Tisch trat. „Darf ich nachschenken?“, fragte er höflich.
Beide nickten und warteten ab, bis der Mann seine Arbeit getan hatte. Elias sog inzwischen die angenehme Atmosphäre des Restaurants in sich auf. Die Möbel waren teilweise aus knorrigen, verdrehten Holzstämmen gebaut. Auch die Bar war in diesem natürlichen Stil gehalten. Die cremefarbenen Wände waren unaufdringlich mit Bildern aus Holzelementen und integrierten lebenden Pflanzen verziert. Große, weiße Kerzen, optisch gut platziert, rundeten das Bild harmonisch ab und sorgten für den angenehmen Geruch nach brennendem Wachs, der alle an Weihnachten erinnerte. Es war eine gute Entscheidung gewesen, nach dem Theater hier noch etwas essen zu gehen.
„Du redest über deine Mutter, als wäre sie schon tot“, fügte Michaela nahtlos an die vorangegangenen Sätze an.
„Wundert es dich?“, erwiderte Elias.
„Aber das ist nicht gerecht, sie lebt noch“, rechtfertigte sich Michaela.
„Das nennst du leben? Was hat sie denn noch von ihrem Leben? Sie kann nicht mehr aus dem Bett“, gab Elias zornig zurück.
„Warum bist du gleich so aufgebracht? Es war doch nicht böse gemeint!“
„Ich will einfach nicht darüber reden“, schnaubte Elias.
Die restliche Zeit während des Essens waren beide still. Michaela bemerkte, wie Elias langsam abkühlte. Nach dem Dessert hatte sich die Stimmung wieder sichtlich gehoben.
„Wie geht es dir in der Arbeit?“, wagte Michaela sich vor.
„So wie immer. Viel zu tun, die Wirtschaft scheint sich zu erholen. Da haben die Menschen wieder mehr Geld, um sich ein Motorrad zuzulegen. Die Produktion ist wieder angekurbelt.“
„Und da muss der Produktionsleiter ran, damit alles rundläuft“, sagte Michaela zärtlich und strich Elias durch sein braunes, leicht gewelltes Haar.
Elias durchfuhr es bei dieser leichten Berührung wie ein sanfter Blitz, der sein Herz erglühen ließ.
„Lass uns gehen“, flüsterte Michaela zärtlich.
Elias lächelte und winkte dem Kellner. „Zahlen, bitte.“
„Danke für diesen Abend, mein Schatz.“ Michaelas Augen leuchteten. Elias hielt sie an der Hand. Sie kamen am Auto an, das sie weit weg vom Schuss geparkt hatten, da das Restaurant sehr gut besucht war. Hier waren sie, bis auf ein paar Gestalten in der Ferne, alleine.
„Ich hab noch keine Lust, nach Hause zu fahren“, flüsterte sie ihm zu.
Elias lehnte sich an sein Auto, einen schwarzen McLaren 12C, natürlich darauf bedacht, keinen Kratzer an der empfindlichen Lackierung zu hinterlassen. Er zog Michaela an sich. Ihre Wärme tat gut auf seiner Haut. Er vergrub sein Gesicht zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter und sog ihren angenehm blumigen Duft ein. Er liebte diese Frau über alles, konnte sein Glück gar nicht fassen, dass sie seine Freundin war.
Michaela genoss das Gefühl, als Elias ihr am Hinterkopf durch ihre kurzen Haare strich. Ihre Blicke trafen sich wieder. Seine braunen Augen, die wie Kandiszucker kristallisch glänzten, ruhten auf ihr.
„Gibt es bei dir etwas Neues in der Arbeit?“, wollte Elias wissen.
Michaela fand den Moment unpassend, um über ihre Aufgaben als Zahntechnikerin zu reden. Obwohl sie nur zu gut wusste, dass Elias ihretwegen gefragt hatte. Er wollte sich nicht nachsagen lassen, desinteressiert an ihrem Leben zu sein. Wahrscheinlich konnte sie das eine oder andere erzählen, aber sie ließ es einfach, um den Augenblick nicht zu zerstören. Stattdessen schüttelte sie den Kopf. Sie legte sanft ihre Hände auf seine Wangen. Elias verstand, umarmte sie noch fester und beugte sich zu ihr. Michaela konnte seine festen und langen Muskeln, die