Insel der verlorenen Träume. Karin Waldl

Insel der verlorenen Träume - Karin Waldl


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nur, dass es dir gut geht. Und danke für das gemeinsame Jahr mit dir.“ Die Niedergeschlagenheit schwang in Elias’ Stimme mit, sein Herz krampfte sich unangenehm zusammen.

      „Mach keine Dummheiten mehr, okay? Wenn du reden möchtest, du hast ja meine Nummer. Aber eine Beziehung zwischen uns wird es nicht mehr geben.“ In Michaelas Worten lag nun mehr Sicherheit, den letzten Satz sagte sie mit Nachdruck.

      Nach der Verabschiedung blickte Elias regungslos an die weiße Decke. Nun wusste er mit Bestimmtheit, was er schon die ganze Zeit geahnt hatte. Die Frau seiner Träume war endgültig verloren. Der Schmerz durchfuhr ihn und nahm ihm die Luft zum Atmen.

      ***

      Desiree lag in ihrem Bett und starrte die Wand an. Ihr Gesicht war fahl und weiß, ihre Hände zitterten leicht.

      „Spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Ich war im Krankenhaus. Ich konnte nicht zu dir kommen“, belehrte Elias seine Mutter.

      „Ja, durch dein eigenes Verschulden. Keiner hat dich gezwungen, den Alkohol in dich hineinzuschütten. Ich weiß nicht, wie oft ich dich noch zu Gesicht bekomme. Du weißt, dass ich nur noch wenige Wochen zu leben habe“, krächzte die todkranke Frau.

      „Ja, du hast recht. Aber ich halte den Schmerz kaum aus. Ich vermisse Michaela so sehr. Ihre Abwesenheit zerbricht mir das Herz. Die Sehnsucht ist unerträglich. Kannst du das gar nicht verstehen?“

      „Doch, ich weiß genau, wie das ist.“ Desiree schloss kurz die Augen.

      Elias war verwirrt, ehe ihm ein Licht aufging. „Du denkst an meinen Vater. Du hast ihn wirklich geliebt, oder?“

      Er lechzte danach, endlich eine Antwort zu bekommen, aber seine Mutter dachte gar nicht daran. Sie zog ihre Mundwinkel nach unten.

      „Es ist noch nicht an der Zeit“, gab sie lediglich zurück.

      Elias wurde schlagartig hochrot im Gesicht. Er schrie zornig: „Und wann ist es an der Zeit? Wenn du tot bist? Dann kannst du alle meine Fragen sicher sehr gut beantworten!“

      Desirees Augen weiteten sich, trotzig sprach sie: „Schön langsam verstehe ich, warum es Michaela nicht mit dir ausgehalten hat.“

      Elias sprang von seinem Stuhl auf und warf ihn wütend um. „Dann sind wir ja schon zwei. Mein Vater wollte dich anscheinend auch nicht mehr. Sonst wärst du nicht mit mir zu Stefan zurückgekrochen gekommen. Du hast ja sogar deine Töchter im Stich gelassen für einen anderen Mann. War ich der Ersatz für die beiden? Bin ich da, weil du dein schlechtes Gewissen beruhigen musstest?“

      „Du weißt gar nichts“, keuchte Desiree mit schmerzverzerrtem Gesicht. Sie hielt sich schwer atmend die Hand an die Brust.

      „Wie denn auch? Du erzählst es mir ja nicht!“, brüllte Elias wie von Sinnen.

      Zu spät erkannte er in seiner Raserei, wie die Augen seiner Mutter hervorquollen. Sie röchelte und rang vergebens nach Luft.

      Elias fuhr der Schreck in die Glieder. „Mara, schnell!“

      Die Pflegerin stürmte zur Tür herein. Mit einem gekonnten Griff drehte sie Desiree zur Seite. Schlagartig entspannte sich ihr Brustkorb und es floss hörbar rasselnd Luft in ihre Lungen. Mara strich ihr sanft übers Haar und atmete ruhig mit Desiree ein und aus, bis nichts mehr von dem Anfall bei ihr spürbar war.

      Dann baute sich die kleine, aber bestimmende Frau vor Elias auf. „Was sollte das? Sie soll sich nicht aufregen. Oder willst du deine eigene Mutter frühzeitig ins Grab bringen?“

      Reumütig wandte Elias ein: „Es tut mir leid, Mama. Ich wollte dich nicht so unter Druck setzen. Aber uns rennt die Zeit davon. Seit über zwanzig Jahren hältst du mich hin. Ich möchte endlich wissen, was damals passiert ist. Es gibt so viele Kränkungen in unserer Familie, weil nie über die Wahrheit gesprochen wurde. Das muss endlich aufhören. Du liebst mich doch, oder?“

      Desirees Augen glänzten feucht. „Natürlich, du bist mein Sohn.“

      „Dann versuch dich in meine Lage zu versetzen. Bitte! Ich gehe jetzt, aber ich komme wieder. Bitte überleg es dir bis dahin.“ Zum Abschied küsste er seine Mutter auf die Stirn. „Ich liebe dich auch, Mama. Lass mich nicht im Dunkeln zurück.“

      Elias konnte nicht spüren, wie ihr Mutterherz blutete. Dieser Schmerz war um einiges größer als der vom Krebs verursachte, der ihren Körper schrittweise zerfraß.

      *

      Stefan

      „Stefan, bist du da?“

      Elias stand in der spaltbreit geöffneten Haustür, die eben hinuntergedrückte Türklinke immer noch in der Hand haltend.

      „Elias, bist du das?“, kam es kaum hörbar von innerhalb des Hauses.

      Elias schob einen Fuß zwischen Türblatt und Rahmen, um die schwere Holztür zu öffnen. Sie ächzte und knarrte, als würde sie bald ihren letzten Dienst als Hauseingang ableisten. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe die verrosteten, quietschenden Scharniere die Last der Tür nicht mehr halten konnten.

      Staubpartikel flogen durch den Lichtstrahl, der Elias in den Vorraum begleitete. Er ging den ungepflegten Flur entlang Richtung Küche. Ein unangenehm beißender Geruch schlug ihm entgegen. Es roch stechend nach einer Flut von Essig. Stefan stand mit einem Putzeimer in der Küche und versuchte, die alten, verkrusteten Speisereste von den Küchenmöbeln zu kratzen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn.

      „Du machst sauber?“, rutschte es Elias in ungläubigem Ton heraus.

      „Ja, es muss sein. Seit drei Monaten finde ich keine Putzfrau. Schön langsam stinkt hier alles zum Himmel.“

      Elias musste grinsen. Dass Stefan einmal einen Putzlappen in die Hand nehmen würde, hätte er nicht gedacht. Hausarbeit war nie sein Ding gewesen. Weder im Haus noch draußen im Garten. Nur fürs Kochen besaß er eine ungebremste Leidenschaft. Er hatte immer genug Geld verdient, um sich die anfallenden, ihm lästigen Arbeiten vom Hals schaffen zu können. Aber in letzter Zeit wurde es immer schwieriger, jemanden zu finden, der die Hausarbeit zu einem angemessenen Preis erledigte. Es war das Zeitalter, in dem sich auch der Gärtner oder das Reinigungspersonal ein sündhaft teures Auto leisten wollte. Nicht zu vergessen waren da auch noch die Kosten für einen Fernseher mit höchster Bildschirmqualität, ein Smartphone und die anderen technischen Spielereien, ohne die heute kaum jemand mehr leben wollte.

      „Warum putzt du eigentlich mit Essig?“, wollte Elias wissen.

      „Weil ich nichts anderes dahabe. Meine Großmutter machte das auch so, was soll daran schlecht sein?“

      „Dass es in der Nase beißt und die Augen zum Tränen bringt.“

      Stefan schüttelte den Kopf: „Bist du hier, um mich zu kritisieren?“

      „Nein, tut mir leid. Ich bin eigentlich hier, um dich etwas zu fragen.“

      Stefan schmiss das Tuch in den Eimer und ging zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Mit dem Küchentuch wischte er sorgfältig das übrige Wasser von der Haut und schaute Elias in die Augen: „Schieß los.“

      „Wie haben sich Mama und du eigentlich kennengelernt?“

      Stefan wandte den Blick von seinem Stiefsohn ab. Er atmete tief durch. „Ich glaub, ich mach uns zuerst einen Kaffee. Ich hab auch noch ein paar Kekse, die ich gestern gebacken habe. Dann reden wir in Ruhe.“

      Elias half ihm beim Herrichten. Auf einem Tablett trug er den dampfenden Kaffee und die Schokoladenkekse in den Garten. Er stellte alles auf dem kleinen, runden, schmiedeeisernen Tisch ab und setzte sich auf einen der dazu passenden Gartenstühle. Die einst sattrote Polsterung war einem sonnengeblichenen Orange gewichen.

      Stefan folgte ihm mit einer Karaffe Wasser in der einen und zwei übereinandergestapelten Gläsern in der anderen Hand. Schweigend setzten sie sich und tranken ruhig ihre Tasse Kaffee, aßen


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