Insel der verlorenen Träume. Karin Waldl

Insel der verlorenen Träume - Karin Waldl


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zu tanzen. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe sie sich aus dieser innigen Verbindung wieder lösten.

      „Ich bin müde, fahren wir doch nach Hause“, kam es von Michaela.

      Der Sinneswandel seiner Freundin rief in Elias ein Gefühl der Enttäuschung hervor. Heute hätte er Lust, noch etwas zu unternehmen. Er fühlte sich noch kein bisschen müde.

      Aber Michaela gähnte und bat ihn: „Lass uns morgen irgendwo hingehen, um zu frühstücken. Lass uns an diesen Abend anschließen, nur mit etwas Schlaf dazwischen. Wir lassen uns etwas Besonders einfallen, okay?“

      Elias nickte zustimmend. Gemeinsam stiegen sie in das Auto.

      Kaum hatte Elias sein Auto aus der Innenstadt von München hinausgelenkt, war Michaela auf dem Beifahrersitz eingeschlafen. Friedlich schlummerte sie neben ihm. Wenn sie einmal schlief, konnte man sie sehr schwer wieder munter machen. Elias war froh über ihr Federgewicht, denn er würde sie ins Bett tragen müssen, wenn sie nicht die ganze Nacht im Auto verbringen sollte.

      Beim letzten Gedanken kam Elias eine Idee. Er schaute auf das Armaturenbrett. Es war erst zehn Minuten nach Mitternacht. Ein verrückter Plan reifte in seinem Geiste heran und wurde immer konkreter.

      „Warum eigentlich nicht?“, dachte er bei sich.

      Er lenkte sein Auto zur nächsten Tankstelle. Er tankte voll, kaufte sich einen Liter Cola und gab in sein Navigationssystem die Route ein, die in seinem Kopf herumschwirrte. Dann fuhr er zielstrebig auf die Autobahn. Wenn die Zeitangabe der Anzeige richtig war, würden sie am frühen Morgen am Ziel sein und das Frühstück in der Stadt einnehmen, in die sie beide schon immer einmal gewollt hatten: Venedig.

      Während der sechs Stunden Autofahrt hielt sich Elias mit Koffein fit. Michaela verschlief alles in Seelenruhe. Er freute sich auf den Moment, wenn sie von seinem leicht irren Vorhaben erfahren würde. Schließlich waren sie nicht vorbereitet auf diesen Kurztrip. Aber es war Samstag und sie hatten bis Sonntagabend Zeit, um zurückzukehren. Irgendwie würde sich das schon einrichten lassen. Was brauchte man schon? Ein Wochenende ohne Waschen, Zähneputzen oder Gewandwechseln würden sie schon überleben. Was einen nicht umbrachte, machte einen nur härter. Auch wenn das hieß, sie mussten die ganze Zeit in Abendgarderobe durch die Gegend laufen. Irgendwann musste auch er einmal schlafen, bevor sie heimkehrten, im schlimmsten Fall im Auto. Aber es war ein aufregendes Abenteuer, das sie ihr ganzes Leben nicht vergessen würden. Und das war es ihm hundertmal wert.

      Viele Hundert Kilometer später steuerte Elias auf den riesigen Parkplatz zu, der für die Besucher von Venedig gedacht war. Es war halb sieben und die Sonne zeigte sich an diesem Aprilmorgen schwach schimmernd am Horizont durch ein leichtes und sanftes Glühen. Es war der perfekte Moment, um Michaela zu wecken.

      „Morgen, mein Schatz.“ Elias stupste sie sanft an.

      Michaela öffnete langsam die Augen. „Die Sonne geht auf“, stellte sie nüchtern fest.

      „Heute geht sie ganz besonders für dich auf“, grinste Elias.

      Michaela schaute in den wunderschönen Sonnenaufgang. Der Himmel nahm die Rot-, Orange- und Gelbtöne wie ein Gemälde in sich auf und weitete langsam den Blick auf das offene Meer.

      „Elias – wo sind wir?“, fragte sie endlich, etwas erschrocken.

      „In Venedig!“

      „Ist das dein Ernst?“ Der Satz blieb ihr fast im Hals stecken.

      „Ja, du wolltest doch ein besonderes Frühstück.“

      Stürmisch küsste sie ihn. „Du bist total verrückt – danke! Ich liebe dich.“

      Sie blieben noch eine Zeit lang im Auto sitzen, kuschelten und schmusten miteinander, ehe sie sich aufmachten, um am Markusplatz zu frühstücken.

      „Wahnsinn, der italienische Kaffee schmeckt mit Blick auf den Dom und den Turm umwerfend lecker“, frohlockte Michaela, die in eine kuschelige Decke gewickelt an ihrem Cappuccino nippte.

      „Ist dir kalt, mein Schatz?“, fragte Elias.

      „Ein bisschen. Aber mit der Decke geht es.“

      Elias strich ihr über die Hand. Er versank in ihren olivgrünen Augen, deren Blick er so sehr liebte. Er war der glücklichste Mensch auf Erden. Nie wieder würde er diese herzensgute Frau gehen lassen. Er konnte sein Glück gar nicht fassen.

      Gemeinsam ließen sie ihren Blick über den malerischen Platz schweifen. Unzählige Tauben tummelten sich hier, um eine der Brotkrumen zu erwischen, die den Touristen regelmäßig aus den Händen fielen. Ein Schmuckhändler zwängte sich zu dieser frühen Stunde schon zwischen den Tischen der Gäste, denen die kühle Luft nichts ausmachte, hindurch. Elias winkte ihn heran. Der Verkäufer präsentierte mit italienischer Leidenschaft seine Ware. Gemeinsam mit Michaela suchten sie einen olivgrünen Steinring aus, der exakt die Farbe ihrer Augen und ihres Kleides hatte. Elias bezahlte, zögerte aber, ihr den Ring zu geben. Stattdessen stand er auf und kniete sich vor Michaela nieder. Sie lächelte ihn an.

      „Michaela, ich liebe dich von ganzem Herzen. Willst du meine Frau werden?“

      „Ja! Ich liebe dich auch“, antwortete sie mit glänzenden Tränen in den Augen.

      Elias steckte ihr den Ring an. Dann fiel sie ihm in die Arme. Da Elias noch am Boden kniete, verlor er das Gleichgewicht und plumpste mit seiner frischgebackenen Verlobten rücklings nach hinten. Ein paar Tauben flogen vor Schreck davon.

      Beide lachten und küssten sich, ehe sie sich wieder von dem Pflaster erhoben. Glücklich blickten sie sich lange an. Michaela hatte das Gefühl, dass Elias’ Augen, die wie brauner Kandiszucker in der Sonne glänzten, ihr direkt ins Herz sahen. Könnte dieser Augenblick doch ewig währen ...

      ***

      Elias erwachte mit brummendem Schädel. Die Erinnerungen an Michaela verflogen. Seine Sehkraft ließ ihn für den Moment im Stich. Alles war verschwommen. Er registrierte, dass er in einem Bett lag und der Geruch nach Desinfektionsmitteln stieg ihm unangenehm in die Nase.

      „Du bist munter – endlich!“, hörte er, als wären die Worte ganz weit weg gesprochen worden.

      Elias blinzelte ein paarmal und griff sich an seinen dröhnenden Kopf. Er wollte sich aufsetzen, aber die stechenden Schmerzen in seinem Rücken verhinderten ein Aufrichten. Gequält stöhnte er auf. Aber seine Augen fanden langsam wieder zurück zu ihrer eigentlichen Funktion, dem Sehen. Allmählich konnte er verschwommen die Person vor sich erkennen.

      „Hallo Stefan“, brachte er mühsam und undeutlich hervor.

      „Hallo, mein Junge. Wie geht es dir?“, erwiderte Stefan bedacht ruhig.

      „Ich weiß nicht, mir tut alles weh. Was ist passiert?“, stammelte der Patient. Stefan kam zu keiner Antwort. Eine Ärztin und ein Pfleger betraten das Krankenzimmer, in dem Elias lag. Sie schickten Stefan hinaus und stellten sich an das Krankenbett.

      „Aufgewacht, Herr Benjamin. Das ist aber eine Freude“, bemerkte die Ärztin und ließ einen ironischen Unterton bewusst mitklingen.

      Der Pfleger deckte Elias ab und klemmte ihm ein Fieberthermometer unter die Achseln. Elias’ Körper war von der Brust bis zur Hüfte bandagiert. Die Ärztin untersuchte seine wichtigsten Lebensfunktionen, machte sich aber keine Mühe, es gründlich zu tun. Sie wirkte sichtlich angepisst.

      „Da haben wir aber Glück gehabt. Auch wenn man meinen könnte, dass ein Mann im Alter von fünfundzwanzig Jahren bereits erwachsen ist. Sie werden dank uns wieder gesund. Nur gegen die offensichtliche Dummheit können wir Ihnen keine Medizin geben“, kam es schnippisch von der Ärztin, deren grantiger Gesichtsausdruck fast beängstigend war.

      „Was ist überhaupt passiert?“, quälte sich Elias.

      „Das wissen Sie nicht mehr? Vielleicht ist das auch besser so. Lassen Sie in Zukunft die Finger vom Alkohol. Dann müssen Sie sich im Nachhinein nicht schämen, sich wie ein idiotischer Affe aufgeführt


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