109th. Jessica Oheim
stimmte ihm zu und holte das kleine Tütchen aus ihrer Tasche, das der Gerichtsmediziner ihr gegeben hatte. „Das hat Jim auf ihren Augen gefunden.“
„Auf ihren Augen?“, wiederholte Sam ungläubig.
Sophie nickte. „Ja, der Täter muss sie dort platziert haben. Und da die Zeugen sie wohl nicht angefasst haben, könnten mit etwas Glück Fingerabdrücke unseres Täters drauf sein.“
„Vorausgesetzt, er hat keine Handschuhe getragen oder sich nicht die Mühe gemacht, die Münzen abzuwischen“, fügte Anna hinzu. Sie war oftmals eher eine Skeptikerin, was Beweise an Tatorten anging.
„Ja, das natürlich vorausgesetzt“, meinte Sophie. „Wie sieht es denn mit Videoaufnahmen aus? Ich habe auf dem Weg zwei Kameras gesehen.“
„Ja, ich auch“, stimmte Anna zu. „Sie sind auf Masten befestigt, das bedeutet, dass es Standardüberwachungskameras sind. Sie haben keine Schwenkfunktion, also nehmen sie einen Bereich von etwa 100 Metern nach vorne und in die Breite auf. Soweit ich das richtig erkenne“, sie drehte sich einmal um die eigene Achse, „ist dieser Weg vollkommen videoüberwacht. Von hier wird der Täter wohl nicht gekommen sein.“
„Also kam er durch den Wald?“, hakte Sophie nach.
„Das wäre eine Möglichkeit, aber dann wäre er am Parkeingang von den Kameras erfasst worden. Wenn wir davon ausgehen, dass der Täter von der Videoüberwachung gewusst und deshalb alle Kameras gemieden hat, gibt es nur einen Weg, auf dem er zu der Bank gelangen konnte.“
„Er ist geflogen“, scherzte Sam.
Anna sah ihn mit ihrem Ist-das-dein-Ernst-Gesichtsausdruck an und fuhr dann fort: „Der Täter kam von der Straße, ging zwischen diesen beiden Kameras“, sie deutete auf die entsprechenden Geräte, „hindurch, nutzte ihren toten Winkel und gelangte so ungesehen zu der Bank. Auf dem gleichen Weg wird er auch wieder hinausgelangt sein.“
„Ist denn keine dieser Kameras auf die Bank gerichtet?“, fragte Sophie und sah sich um.
„Mach dir keine Mühe, du wirst keine finden. Die Bank liegt in einem blinden Fleck. Keine Chance, dass der Täter auf den Bändern ist.“
„Vorausgesetzt, dass der Täter von der Kameraüberwachung wusste und die Geräte gemieden hat“, fügte Sam hinzu.
Sophie nickte und meinte dann: „Sam, du organisierst uns trotzdem alle Aufnahmen von diesem Teils des Parks und des Parkeingangs. Nur um sicherzugehen. Anna, du teilst der Spurensicherung mit, wo sie nach Fußspuren suchen müssen, falls der Täter tatsächlich diesen Weg genommen hat.“
Die beiden nickten und machten sich an die Arbeit. Sophie drehte sich um und blickte zu der Bank zurück, neben der gerade ein groß gewachsener junger Mann Lena einen zärtlichen Kuss gab und sie dann verliebt ansah. Sie lachte und drehte sich von ihm weg, um zu Sophie zu gehen.
„Und wie geht es Stan?“, fragte diese, als ihre Freundin bei ihr angekommen war.
Schelmisch grinsend erwiderte Lena: „Nach der gestrigen Nacht bestimmt großartig.“
„Bitte keine Einzelheiten“, lachte Sophie.
Es war schon lange kein Geheimnis mehr, dass Lena und Stanley Miller seit einiger Zeit zusammen waren. Deshalb teilte Sophie ihre Freundin immer der Spurensicherung zu, damit die beiden mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Sie selbst hatte auch schon versucht, eine solche Beziehung zu führen, doch damals hatte ihr niemand geholfen. Deshalb versuchte sie jetzt alles, um die Beziehung zwischen Stan und Lena zu stärken. Sie blickte zu ihrer Freundin, die glücklich lächelnd zu Boden sah. Sophie gönnte Lena dieses Glück von ganzem Herzen. Wenn es jemand verdient hatte, glücklich zu sein, dann sie.
„Hat die Spurensicherung etwas Relevantes gefunden?“, lenkte sie das Thema nun wieder auf den Fall.
„Außer ein paar Fasern an der Bank, die auch vom Opfer oder von Spaziergängern stammen könnten, wirkt der Tatort wie gereinigt“, wiederholte Lena die Fakten, die sie von Stan bekommen hatte.
„Wir haben die Überwachungsbänder“, meinte Sam, der sich gerade mit Anna im Schlepptau wieder zu der kleinen Gruppe gesellte.
„Die Spurensicherung sucht jetzt gezielt nach Fußspuren in dem toten Winkel der Kameras“, berichtete jene.
„In Ordnung“, meinte Sophie. „Dann gibt es für uns hier nichts mehr zu tun. Wir sollten zurück zum Revier fahren und mit den Ermittlungen beginnen.“ Das Team stimmte ihr zu und sie gingen zu den Autos, um sich auf den Rückweg zu machen.
Auf dem Revier angekommen rief Sophie sofort bei der Gerichtsmedizin an, um Jim anzuweisen, ihr die Fingerabdrücke des Opfers zukommen zu lassen, damit es identifiziert werden konnte.
Als sie aufgelegt hatte, sagte sie zu Lena: „Jim schickt uns die Fingerabdrücke der Toten rüber, wir beide nehmen uns die Vermisstenmeldungen der letzten zwei Wochen vor.“
„Geht klar“, meinte Lena und setzte sich an den Schreibtisch, um ihrer Aufgabe nachzugehen.
„Sam“, fuhr Sophie fort, „du bringst die Münzen, die wir auf den Augen des Opfers gefunden haben, in die Forensik und machst denen mal ein bisschen Dampf, damit wir erfahren, ob Fingerabdrücke darauf sind. Anna, du siehst die Überwachungsbänder durch. Du weißt ja, wonach du suchen musst.“
Die Angesprochene nickte. Als Technikexpertin des Teams fielen Überwachungsbänder immer in ihren Aufgabenbereich. Das erleichterte allen die Arbeit und so kamen sie viel schneller voran.
Sophie setzte sich an ihren Computer und druckte als Erstes das Foto des Opfers aus. Sie lehnte es an ihren Bildschirm, um die tote junge Frau mit der Vermisstendatei abzugleichen. Sie seufzte, als sie sah, dass es fast 200 Vermisstenanzeigen in den letzten zwei Wochen gegeben hatte. Sie konnte diese zwar aufgrund des vermutlichen Alters von etwa 16 Jahren und der Tatsache, dass das Opfer weiblich war, eingrenzen, doch danach blieben immer noch 34 vermisste Mädchen übrig. In solchen Momenten wünschte sich Sophie wirklich, sie könnte einfach die Fingerabdrücke einscannen und warten, bis das System einen Treffer fand. Doch solche Spielereien, wie Captain Reynolds es nannte, lagen weit über ihrer Gehaltsklasse. Also blieb Sophie nichts anderes übrig, als sich durchzuklicken.
Sie rief die erste Akte auf. Es war ein 14-jähriges Mädchen, das allerdings schwarze und keine blonden Haare hatte. Also schloss Sophie die Datei wieder und klickte auf die nächste. Doch dieses Mädchen hatte blaue Augen und keine grünen. Und so arbeitete sie sich voran.
Bei der 13. Vermisstenanzeige hielt sie abrupt inne.
„Na endlich!“, dachte Sophie, als sie erkannte, dass dieses Mädchen zweifellos das Opfer war. Der Name war Nancy Tanner und sie war 16 Jahre alt.
Sophie druckte auch dieses Foto aus, heftete die beiden Bilder an die Pinnwand des Büros und schrieb in Großbuchstaben das Wort OPFER darunter.
„Hast du sie identifiziert?“, hörte sie hinter sich eine Stimme und drehte sich daraufhin zu Lena um.
„Ja, ihr Name ist Nancy Tanner, 16 Jahre.“
Lena ging zurück an ihren Computer und rief besagte Akte von Nancy Tanner auf. „Sie war nicht vorbestraft und ist der Polizei noch nie aufgefallen. Sie ging auf die Gesamtschule und wird seit drei Tagen vermisst“, berichtete sie und Sophie wies sie an, alles aufzuschreiben und auszudrucken, damit sie es an die Pinnwand heften konnten.
„Ich geh mal zu Anna, vielleicht hatte sie ja auch schon Glück“, verkündete Sophie und machte sich auf den Weg zum Medienraum, in dem sich alles Technische abspielte. Unterwegs begegnete sie einem jungen, ziemlich attraktiven Mann, der gezielt auf sie zuging.
„Detective Parker?“ Sophie blieb stehen und musterte ihn, bevor sie antwortete.
„Ja, mit wem habe ich das Vergnügen?“
Der Mann schüttelte ihre Hand. „Liam Coleman.