Liebst Du mich auch?. Patricia B. McConnell

Liebst Du mich auch? - Patricia B. McConnell


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Liebe schenken können, aber ich glaube nicht, dass Hunde jeden Augenblick des Tages nichts anderes als Liebe kanalisieren. Die Vorstellung, alles, was ein Hund tue, sei von Liebe und Mitgefühl motiviert, ist genauso falsch wie das entgegengesetzte Extrem. Ich hatte einmal eine Kundin, die mir erklärte, die Narben auf ihren Armen seien »Liebesbisse« ihres fünfunddreißig Kilo schweren Labradors. Nachdem ich gesehen hatte, wie dieser Hund die Individualdistanz seiner Besitzerin missachtete, ihr vor die Füße lief, wenn sie durchs Zimmer ging, sich förmlich in ihr Gesicht warf und wiederholt in ihren Arm biss, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, war meine Interpretation der Dinge eine etwas andere.

      Wie dem auch sei, das Beste für unsere Hunde ist, einen gesunden Mittelweg dazwischen zu finden, ihnen alle »menschlichen« Eigenschaften abzusprechen oder alle unsere schönsten Traumvorstellungen und schlimmsten Ängste auf sie zu projizieren. Mir kommt es so vor, als ob die Frage, welche geistigen Eigenschaften wir mit Hunden gemeinsam haben, ein typischer Fall von »Ist das Glas halb voll oder halb leer?« sei. Natürlich unterscheidet sich unsere subjektive Erfahrung der Welt grundlegend von der unserer Hunde, aber wir haben so viel mit ihnen gemeinsam, dass es unwissenschaftlich wäre, das zu ignorieren. Das Glas mag zwar halb leer sein, aber es ist ein großes Glas und es ist so viel Flüssigkeit darin, dass man sie nicht übersehen kann.

      Eine ständig wachsende Zahl an Wissenschaftlern betrachtet das Glas als halb voll und vertritt die Meinung, dass Anthropomorphismus nicht immer etwas Schlechtes ist. Wovon sonst, so argumentieren sie, sollten wir ausgehen, wenn nicht von unseren eigenen Erfahrungen? Wenn Tiere ähnlich organisierte Gehirne haben wie wir, eine ähnliche Physiologie und ähnliches Verhalten, dann ist es natürlich vernünftig, zu mutmaßen, dass sie bis zu einem gewissen Grad auch ähnliches erfahren und erleben wie wir. Was wir brauchen, ist eine ausgewogene Sicht der Dinge, in der wir es vermeiden, Tiere als sprachlose, bepelzte Versionen von Menschen zu betrachten, sondern alles dafür tun, zu verstehen, wie unser eigenes Erleben sich mit dem von Tieren vergleichen lässt. Noch vor nicht allzu langer Zeit widersprach dem ein Wissenschaftler namens Jacques Vauclair und sagte: »Zum Glück ist es nicht das Hauptziel der wissenschaftlichen Forschung in Bezug auf den Verstand von Tieren, herauszufinden, wie es ist, eine bestimmte Tierart zu sein, sondern vielmehr, zu erklären, wie geistige Zustände beobachtbares Verhalten verursachen.« Als aber die Teilnehmer der jährlichen Konferenz der »Animal Behavior Society« gefragt wurden, warum sie damals mit dem Studium von Tierverhalten begonnen hätten, antworteten sie, ihre Hauptmotivation sei es gewesen, die Welt durch die Augen von Tieren sehen zu können. Genau dieser Wunsch hat Tausende Wissenschaftler dazu inspiriert, für wenig Geld außergewöhnlich hart zu arbeiten, und zwar meistens in Schlamm, Regen oder tropischer Hitze – nur, um ihr Wissen um das Universum zu erweitern. Entsprechend sollten auch wir Hundefreunde uns nicht dafür entschuldigen, dass wir wissen möchten, wie es wäre, ein Hund zu sein. Sich vorzustellen zu wollen, wie das Leben aus der Perspektive eines anderen Tieres aussehen könnte, ist möglicherweise eine Fähigkeit, zu der tatsächlich nur Menschen in der Lage sind – warum sollten wir uns dafür schämen? Natürlich werden wir niemals bis in Letzte hinein erfahren, wie es ist, ein Hund, ein Warzenschwein oder ein Grashüpfer zu sein. Wir werden auch niemals wirklich wissen, wie es ist, ein anderer Mensch zu sein – aber das sollte uns nicht davon abhalten, es weiterhin zu versuchen.

      Niemand wird bezweifeln, dass Tammy Ogles Hunde ihre Besitzerin vor dem knappen Tod bewahrt hatten. Die Geschichte war so überwältigend, dass die Tierärztevereinigung von Wisconsin die Hunde in ihre »Hero Hall of Fame 2004« aufnahm. Meine eigene Interpretation der Geschehnisse ist, dass Double, Lily und Golly sich sehr wohl bewusst waren, dass ihre Besitzerin schwer verletzt war und in gewisser Weise auch wussten, dass sie Hilfe brauchte. Ohne übermäßig romantisch zu sein, erscheint mir diese Erklärung schlicht die einfachste. Wissenschaft kann zwar sehr kompliziert werden, aber alle angehenden Wissenschaftler lernen, dass immer dann, wenn man keinen sicheren Beweis hat, die einfachste Erklärung die beste ist. Es erscheint wesentlich komplizierter, wenn nicht sogar weit hergeholt, sich eine Welt vorzustellen, in der Ogles Hunde reflexartig auf äußere Ereignisse reagierten und keine Vorstellung von ihren Verletzungen hatten. Als hoch soziale Tiere sind Hunde eine der wenigen Spezies, deren Individuen ihr Leben aufs Spiel setzen, um ein Rudelmitglied zu retten.9Sie sind Beutegreifer, die gemeinschaftlich jagen, deshalb ist Zusammenarbeit Teil ihres biologischen Aufbaus. Sie haben sich zu Problem- lösern, Teamspielern und besorgten, liebevollen Eltern entwickelt, die sich um bedürftige Rudelmitglieder kümmern. Es ist deshalb keine dumme Romantik, anzunehmen,: dass Tammys Hunde ihrer Besitzerin helfen wollten. Es ist gute, pure Biologie.

      Dumm wäre allerdings die Vorstellung, Tammys Hunde hätten eine eingehende Analyse des Problems betrieben und ihre Gehirne hätten genauso funktioniert, wie unsere das in dieser Situation getan hätten. Meine eigene Meinung ist, dass die beiden zu Beginn dieses Kapitels vorgestellten Erklärungen etwas für sich haben, vermute allerdings, dass die Wahrheit eher näher an der ersten Erklärungsmöglichkeit als an der letzten zu suchen ist. Dass mir die Version von der selbstlosen Nächstenliebe gefühlsmäßig besser gefällt, heißt noch nicht, dass sie falsch sein muss. Die Tatsache, dass die Geschichte von Tammy und ihren Hunden in uns warme Gefühle auslöst und unsere Herzen dahinschmelzen lässt, bedeutet keinesfalls, dass unsere Deutung gegen die Regeln der Wissenschaft verstößt. Nur, weil eine Erklärung sich für uns gut anfühlt, heißt das nicht, dass sie nicht stimmen kann. Es ist ein dummer Fehlglaube, dass das Gefühl der Feind des Verstandes sei, wie wir noch später im Buch sehen werden. Ich jedenfalls werde auch weiterhin glauben, dass Tammys Hunde wussten, dass ihre Besitzerin Hilfe brauchte – weil das eine vernünftige Erklärung für ihr Verhalten ist und weil ich erlebt habe, wie mein eigener Hund Luke, der Grund für dieses Buch war, sein Leben riskierte, um meins zu schützen.

      Ich werde nie erfahren, was genau er dachte, als er damals unaufgefordert über eine hohe Holzwand kletterte, um mich vor einem wild gewordenen, gehörnten Schaf zu retten, das mir offenbar nach dem Leben trachtete. Aber er hatte lange genug mit Schafen zu tun, um zu wissen, dass er selbst schwere Verletzungen riskierte. Ich weiß, dass er aus eigener Initiative über diese Abzäunung sprang, ohne, dass ich ein Wort gesagt hatte. Er hat dies nie vorher und nie nachher jemals wieder getan. Er attackierte das Schaf gerade lange genug, dass ich mich aus dem Gatter in Sicherheit bringen konnte und schoss dann gleich hinter mir heraus. Und ich weiß, dass wir zwei Freunde waren, als wir dann beide nach Luft schnappend, blutend, erschöpft und aufgeregt nach dem überstandenen Abenteuer auf dem Scheunenboden lagen. Wir mögen zwar Angehörige verschiedener Spezies sein, aber was wir miteinander teilen – was Tammy und ihre Hunde teilen und was so viele von uns mit ihren Hunden teilen – ist sicherlich größer als das, was uns voneinander unterscheidet.

      DIE KONTROVERSE ÜBER GEFÜHLE BEI TIEREN

      Wir teilen zwar vieles mit Hunden, einschließlich ähnlicher Gehirnstrukturen, ähnlicher chemischer Veränderungen und Aktivierungen im Gehirn und Ähnlichkeiten in der Gesichtsmimik, aber das reicht noch nicht aus, um die Neinsager zum Schweigen zu bringen, die immer noch behaupten, Tiere wie Hunde könnten keine Gefühle haben. Noch 1989 schrieb ein Philosoph namens Peter Carruthers, dass Tiere, solange sie nicht den gleichen Verstand besäßen wie wir (und damit nicht in der Lage seien, »über das Denken nachzudenken«), zwar vielleicht so aussähen, als hätten sie so etwas wie Gefühle, diese aber nicht spüren könnten. Diese Perspektive ist nicht neu. Im 17. Jahrhundert argumentierte der Philosoph René Descartes, dass Tiere nicht nur unfähig zu Gedanken und Gefühlen seien, sondern auch, dass sie noch nicht einmal Schmerz empfinden könnten. Er illustrierte dieses Prinzip, indem er lebende Hunde an Scheunenwände nagelte und sie ausweidete. Während die Hunde schrien und strampelten, erklärte er der zuschauenden Menge, dies seien nur automatische Bewegungen des Körpers und dass der Hund sie so wenig fühle wie eine Uhr die Bewegung ihrer Zeiger fühlt.

      So schrecklich diese Praxis auch war, so hatte Descartes doch zumindest die Entschuldigung der Unwissenheit über die Biologie der Gefühle und Empfindungen. Diese Entschuldigung steht heute nicht mehr zur Verfügung – aber trotz des aktuellen Wissensstandes über die Anatomie und Physiologie von Gefühlen weigert sich eine Hand voll gebildeter Menschen nach wie vor, anzuerkennen, dass Tiere die Welt um sie herum auf ähnliche Art und Weise erleben könnten wie wir. Der eben erwähnte Philosoph Carruthers


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