Liebst Du mich auch?. Patricia B. McConnell

Liebst Du mich auch? - Patricia B. McConnell


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ersten Kindheitserinnerungen ist, dass ich auf dem Wohnzimmerboden lag und mich fragte, was wohl im Kopf unserer Hündin Fudge vorginge. Ich wollte wissen, was sie dachte und fühlte. Schon im Alter von fünf oder sechs hatte ich mich gefragt: Wie sieht das Leben in ihrem weichen, pelzigen, kleinen Kopf aus? Ist sie glücklich? Ist sie traurig?

      Dies sind vernünftige Fragen für jeden Hundebesitzer. Unsere emotionale Verbindung zu unseren Hunden ist der Leim, der uns an sie bindet, und es ist nur allzu natürlich, dass wir mehr über ihre emotionale Bindung an uns erfahren möchten. Mit unseren Hunden können wir nicht wie mit unseren menschlichen Freunden stundenlange intellektuelle Diskussionen führen – vielleicht macht auch das einen Teil der Anziehungskraft aus. Unsere Intelligenz und unsere Fähigkeit zum Sprachgebrauch können unsere zwischenmenschlichen Beziehungen manchmal ganz schön kompliziert machen, wie jeder Ehe- oder Familienberater Ihnen bestätigen kann. Unsere Beziehungen zu Hunden sind in vielerlei Hinsicht einfacher als die zu Menschen, aber dass es etwas einfacher ist, heißt noch nicht, dass es weniger wichtig ist. E = mc2 ist eine einfache Gleichung, die einen sehr hohen Wert hat. Vielleicht ist unsere emotionale Bindung zu Hunden so ähnlich: rein, ursprünglich und so grundlegend wichtig wie Sauerstoff und Wasser.

      Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich in dieser endlosen Sekunde, in der Luke in Gefahr war, losrannte oder vor Schreck erstarrt stehen blieb, aber es dauerte nur einen Moment oder zwei, bis eine ruhige Frauenstimme hinter mir sagte: »Legen Sie Ihren Hund ins Down.« Ich werde ihr ewig dankbar sein, denn das war die perfekte Anweisung. Ein Herdenschutzhund im Dienst wird vermutlich nicht aggressiv auf einen Hund reagieren, der sich flach hinlegt und ruhig bleibt, anstatt wie ein hungriger Wolf auf die Schafe zuzurennen. »Lie down!« schrie ich, und zweihundert Meter entfernt ließ sich Luke in den Dreck fallen wie ein Marinesoldat im Manöver. Wäre Luke noch ein jüngerer Hund gewesen, wäre er vielleicht weitergerannt. Von einem Hund zu verlangen, mitten in einem Outrun zu stoppen, geht gegen seine Natur, und auch wenn ein erfahrener, wettkampffertiger Hütehund das beherrschen sollte, ist es doch eine schwierige Übung, die viel ernsthafte gemeinsame Arbeit voraussetzt.

       Vielleicht haben sein Alter und seine gute Ausbildung Luke das Leben gerettet, weil er sich auf meine erste Aufforderung hin ins Gras fallen ließ. Gerade noch rechtzeitig: Der Herdenschutzhund war in wenigen Sekunden bei ihm angekommen. »Bleib da,« sagte ich mit langsamer, gleichmäßiger Stimme, und kam allmählich endlich wieder so zur Besinnung, dass ich funktionieren konnte. Luke blieb bewegungslos wie gegen den Hügel geklebt liegen, während der Pyrenäenberghund ihn vom Kopf bis zu den Zehen abschnüffelte. (Na ja, genaugenommen schnüffelte er vom Hinterteil angefangen bis zum Fang, aber Sie wissen, was ich meine.)

      Auch wenn ich immer noch schreckliche Angst hatte, dass Luke etwas passieren könnte, arbeitete mein Gehirn doch wieder und ich konnte mich daran erinnern, dass auch mein eigener Herdenschutzhund darauf bestand, jeden Hund, der zu Besuch kam, vom Kragen an abwärts zu inspizieren. Nur ein einziges Mal hatte Tulip aggressiv auf einen zu Besuch gekommenen Hund reagiert – als dieser vor ihr wegrannte, anstatt zur Leibesvisitation stillzustehen. Das erinnert mich an die Sicherheitskontrolleure auf dem Flughafen, die uns wohlgesonnen sind, wenn wir ihren Anweisungen folgen, aber sofort auf jeden reagieren, der irgendwie Widerstand leistet. Tulip verhält sich ganz ähnlich, und sobald sie festgestellt hat, dass die hündischen Touristen kein Äquivalent zu scharfen oder spitzen Gegenständen in der Tasche haben, ignoriert sie sie oder fordert sie zum Spielen auf. Genau das geschah auch an jenem Morgen auf dem Hütehundtreffen. Nach einer Runde intensiven Beschnüffelns trottete der Hund fort, um nach seiner Herde zu sehen. Schon bald kam sein Besitzer und brachte ihn weg, Luke konnte seinen Outrun fortsetzen und die Schafe den Hügel hinab zu mir bringen.

       Nach dem Zwischenspiel mit dem Herdenschutzhund hatten wir noch viel Spaß bei der Arbeit mit der Herde und fuhren müde von dem Tag an der frischen Luft nach Hause. Später erzählte ich einer Kundin, was passiert war, und sie befürchtete, dass Luke eine Traumatisierung davongetragen haben könnte. »Sehen Sie meinen armen alten Brandy hier an (der Hund, der zu ihren Füßen lag und wegen eines schwerwiegenden Aggressionsproblems zu mir ins Büro gekommen war). Er hat nie vergessen, wie er einmal von diesem schwarzen Labrador auf der Hundewiese angegriffen wurde. Sie können es ja jetzt noch in seinen Augen sehen.«

      Es war schwierig, in Brandys Augen zu sehen, weil diese von champagnerfarbenen Ponyfransen verdeckt waren, aber was ich erkennen konnte, sah ziemlich nach einem Hund aus, der glücklich an dem von mir geschenkten Kauknochen herumnagte. (Wir werden später noch darüber sprechen, wie traumatische Ereignisse das Verhalten von Hunden noch Jahre nach dem Geschehen beeinflussen können, genau wie das bei Menschen vorkommt.) Wenn ich meine eigene Vermutung darüber hätte anstellen sollen, welchen inneren Zustand Brandys Augen in meinem Büro ausdrückten, dann hätte ich Zufriedenheit gesagt, nicht Trauma.

      WAS SIND ÜBERHAUPT GEFÜHLE?

      Es überrascht nicht, dass Menschen mitunter verschiedener Meinung darüber sind, welche Gefühle ihre Hunde haben. Gefühle sind komplizierte Dinge. Es lohnt sich, sie noch einmal genauer anzuschauen, bevor wir versuchen, unser Wissen über das Gefühlsleben von Hunden zu erweitern.

      Gefühle können primitiv und ursprünglich sein, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie deshalb leicht zu verstehen sind. Jetzt, wo wir endlich begonnen haben, sie wissenschaftlich zu untersuchen, stellt sich heraus, dass es sich um unerhört interessante und komplizierte biologische Vorgänge handelt. Die meisten Wissenschaftler stimmen darin überein, dass Säugetiere wie zum Beispiel Hunde zu grundlegenden Gefühlen wie Angst, Wut und Glück fähig sind, aber sie sind sich nicht in der Frage einig, wie Hunde diese Gefühle denn eigentlich erleben. Sicherlich ist dies einerseits eine einfache Frage – warum sollte Luke nicht auf eine sehr ähnliche Art Angst empfinden wie ich, wenn er einen aggressiven Hund auf sich zurennen sieht?

      Ach, aber andererseits ist Angst zu haben eine vom Gehirn gesteuerte Gefühlserfahrung, und das einzig Einfache am Gehirn ist die Tatsache, dass wir noch nicht einmal damit begonnen haben, es wirklich zu verstehen. Kein Wunder: Es gibt ungefähr hundert Milliarden Neuronen im menschlichen Gehirn, die alle über zehn Billionen Verbindungswege miteinander verknüpft sind. An diesem Niveau von Komplexität liegt es, dass unser Verständnis von der Biologie der Gefühle bestenfalls ein grobes Grundlagenwissen ist. Das macht es zu einer besonders großen Herausforderung, die Gefühle von Menschen und Hunden miteinander zu vergleichen. Allerdings haben wir in den letzten zehn Jahren der wissenschaftlichen Forschung so viel über die Biologie von Gefühlen gelernt, dass es mehr als vernünftig ist, diese Herausforderung anzunehmen. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist eine Untersuchung dessen, was wir über unsere eigenen Gefühle wissen.

      Das heißt allerdings nicht, dass Forschung zum Thema Gefühle einfach wäre. Gefühle sind gewissermaßen glitschig und schwer fassbar und so ähnlich schwer von unserem Körper und unserem Verstand zu trennen wie Eigelb von Eiweiß, wenn man beides erst einmal miteinander verrührt hat. Wie der Neurologe John Ratey sagt:


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