Der Grüne Planet. Erik Simon

Der Grüne Planet - Erik Simon


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schwarze Loch des öffentlichen Bewusstseins.

       4

      »Sie sind feindselig«, beklagte sich Tabea. »Ich grüße sie, und sie drehen sich wortlos um und gehen weg.«

      »Das wird sich geben«, wiegelte Justin ab. »Der Unterschied zwischen Deutschen und Norwegern ist nicht so groß.«

      Er brannte die bröselige Farbe des Hauses ab. Sie wollten es gelb streichen, mit weißen Fensterrahmen. Es war warm, aber nicht mehr als zwanzig Grad. Im Sommer. Wasserfälle stürzten von den Bergen und ergossen sich in den Nordkjosen, der auch jetzt im Juli noch eiskalt war. Nur die endlosen Tage waren gewöhnungsbedürftig.

      Das Haus hatte zwölf Jahre leergestanden und war nicht im besten Zustand, aber sie waren froh, sich wenigstens das leisten zu können. Die Immobilienpreise in Nordnorwegen waren durch die Decke gegangen, nachdem im letzten Jahr der Thüringer Wald abgebrannt war. Tabea wusste, dass sie sich zu spät entschieden hatten. Aber spät war besser als gar nicht. Ihr Kind sollte in einer heilen Welt aufwachsen.

      Anfangs hatten sich die Leute in Nordkjosbotn über die Zuzüge gefreut. Die leerstehenden Häuser im Zentrum waren ein Ärgernis gewesen, und die Leute aus Tromsø bauten lieber am Ostende des Ortes neue, moderne Häuser, anstatt die alten Holzhäuser mühselig zu reparieren.

      Aber dann waren innerhalb eines Jahres über zweihundert Familien in den Ort gekommen, und jetzt gab es mehr Deutsche als Norweger in der Kleinstadt. In der Schule wurde seither Unterricht in Deutsch angeboten.

      »Ihr werdet sehen«, sagte Ragnar, als sie mit einem Bier in der Hand in der Grünanlage am Extra-Markt saßen, »noch zwei oder drei Jahre, und sie unterrichten nicht mehr in Norwegisch, und dann gehört unser Land den Deutschen.«

      »Nachdem sie ihres zur Sau gemacht haben«, pflichtete Ben ihm bei.

      »Da kommen schon wieder welche«, kommentierte Kjell eine Familie, die ihren Einkaufswagen über den Parkplatz schob. Sie sprachen laut in einer Sprache, die irgendwie abgeschliffen klang und, wie er fand, nicht in diese Gegend mit ihren schroffen Bergen passte. Sie war hässlich, und er hatte keine Lust, eine hässliche Sprache zu lernen. Ganz davon abgesehen, dass er schon mit Englisch seine Mühe gehabt hatte.

      »Wir wollen das hier nicht«, stellte Ragnar fest und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Das Bier kam aus einer Brauerei in Tromsø, die letztes Jahr aufgemacht worden war. Dass sie von Deutschen geführt wurde, wusste er nicht.

      Zwei Tage später brannte das erste der alten Holzhäuser.

       5

      Valentina hätte nicht sagen können, was sie geweckt hatte – der Krach oder die Erschütterung des Hauses. Sie stand bereits neben dem Bett, als sie wach wurde. »Raus hier!«, schrie sie, zog die Trainingshose, einen dicken Pullover und die Socken über.

      »Was ist los?« Jurij sah sie verständnislos an.

      »Wir müssen raus. Sofort«, kommandierte Valentina, ohne aufzuschauen.

      Sie griff den Notfallkoffer, der seit sechzehn Monaten neben ihrem Bett stand. Dann ging sie ins Kinderzimmer und riss Swetlana aus dem Schlaf.

      Nach fünf Minuten und achtzehn Sekunden standen sie und Jurij auf dem Hügel vor dem Wohnblock. Swetlana, eingewickelt in eine flauschige Decke, lag im Wäschekorb zu ihren Füßen, klammerte sich an ihren schneeweißen Plüschhund und schaute mit großen Augen in die Dunkelheit.

      Neben dem Block war die Nacht schwärzer, als sie hätte sein sollen. Nummer vierundzwanzig fehlte. Immer mehr Menschen sammelten sich auf dem Hügel. Sie waren sehr still und lauschten in die Finsternis, wo es immer wieder knarrte und knackte.

      Nach einer Stunde – Valentina zitterte vor Müdigkeit und Kälte – wurde das Knacken lauter. Dann fiel etwas. Mit ohrenbetäubendem Lärm stürzte die Seitenwand ihres Blocks um, und dann senkte sich das östliche Ende um mehr als einen Meter, wie ein Schiff, das voll Wasser läuft und untergeht. Swetlana erwachte wieder und begann zu weinen.

      »Alles ist gut«, log Valentina. »Schlaf weiter. Morgen früh ist die Nacht zu Ende.«

      Irgendwo brach etwas krachend entzwei. Ein leises Pfeifen ertönte, und dann schossen Flammen hoch.

      »Die Gasleitung«, murmelte Jurij.

      Wenig später brannte das gesamte Haus. Im dritten Stock brannte Valentinas Bett. Ihre Stühle brannten, der abgewetzte Teppich, Swetlanas Spielzeug und Jurijs schmutzige Socken. Auch die Fotoalben mit Fotos aus Valentinas Kindertagen. Sie weinte nicht. Die Katastrophe war zu groß, um ihr mit Tränen beizukommen.

      Das Feuer leckte an der Kiefer neben dem Haus. Dann, mit einem Schlag, stand die gesamte Tundra in Flammen. In blassblauen Flammen.

      Valentinas Hand klammerte sich an Jurijs Hand fest.

      »Das Methan brennt«, sagte sie. »Wird das den Boden noch mehr auftauen?«

      Seit Jahren schon zog sich der Permafrostboden zurück und hinterließ ein Moor. Früher hatte man die Häuser einfach so auf die mehrere Meter dicke Eisschicht gestellt, die hart war wie Stein. Valentina erinnerte sich noch an die eisigen Winter ihrer Kindheit. Die Winter waren noch immer kalt, aber nicht mehr kalt genug, um das Auftauen des gefrorenen Bodens zu verhindern. Er taute, und die Plattenbauten stürzten ein wie Kartenhäuser.

      Die Feuerwehr kam, aber der Einsatzleiter schüttelte nur den Kopf und beschränkte sich darauf, in der Zentrale anzurufen und die Einrichtung einer Notunterkunft in der Turnhalle anzuordnen.

      Nach und nach rissen sich die Menschen vom Anblick ihres brennenden Hauses los und gingen zur Schule, wo Männer vom Katastrophenschutz Feldbetten aufstellten. Man drückte Valentina eine dünne Filzdecke und eine Tasse mit heißem Tee in die Hand. Sie war hundemüde, aber sie konnte nicht schlafen zwischen all den atmenden, schnarchenden und alpträumenden Menschen, den geflüsterten Gesprächen und dem Weinen.

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      Erst als es draußen hell wurde, sank sie entkräftet in den Schlaf. Sie träumte von Mammuten, die über die nordsibirische Steppe zogen und trompetend den Morgen begrüßten.

       6

      Es gab nach offiziellen Schätzungen noch eine Milliarde Menschen auf der Erde, als Ludmillas Forschungsgruppe in Sankt Petersburg der experimentelle Nachweis des Interphasenantriebs gelang, der bis dahin nur eine schöne Theorie gewesen war. Plötzlich schien das Tor zu den Sternen weit offen zu stehen.

      Die Metropole im Norden war in den vergangenen Jahren auf fünfzehn Millionen Einwohner angewachsen. Sämtliche Wohnungen waren verstaatlicht worden und wurden nach einem schwer durchschaubaren Punktesystem vergeben. Ludmilla war es gelungen, ihre gesamte Gruppe in einer der großzügigen Wohnungen aus dem vorletzten Jahrhundert unterzubringen. Sie teilten sich Zimmer und taten so, als sei das kein Problem. Immerhin waren sie unter sich und mussten sich nicht mit Säufern und Schlägern herumärgern.

      Als Ludmilla vom staatlichen Fernsehen gefragt wurde, wie ihnen der Durchbruch gelungen sei, antwortete sie: »Wir wollten endlich jeder ein eigenes Zimmer haben. Das motiviert.«

      Inzwischen gab es eine lange Reihe von Exoplaneten, die von den Astronomen »Klasse M« genannt wurden, wenn sie unter sich waren. Man wusste über Atmosphären und Wasserhaushalt Bescheid, über Energiebilanz, Gravitation, Lichtspektrum. Man wusste längst, wohin man fliegen würde, wenn man es könnte. Der Planet hieß WAATO-2.

      Jetzt konnte man es.

      »Wir werden ein Generationenschiff bauen, und zwar so schnell wie möglich«, hatte der Parlamentspräsident Schwedens angekündigt. »Wir müssen es tun, solange wir noch eine Zivilisation haben, die die nötigen Ressourcen bereitstellen kann. Es wird der Befreiungsschlag für die Menschheit, der Aufbruch zu einem neuen Planeten.«

      Zwanzig Jahre und zweihundertdreizehn kriegerische Auseinandersetzungen später startete ein Raumschiff mit einer Million Menschen


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