Der Grüne Planet. Erik Simon

Der Grüne Planet - Erik Simon


Скачать книгу
Sie werden uns nicht davon abhalten, den Planeten für uns wohnlich zu machen.«

      Die Menschen bauten an den Küsten entlang sonnenbetriebene Aggregate, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalteten und den Wasserstoff in organischen Verbindungen speicherten. Sie errichteten Wohnkuppeln, in denen man auf der Oberfläche leben konnte. Aus künstlichen Samen zogen sie winzige Bäume, die in fünfzig oder hundert Jahren ein eigenes Ökosystem bilden würden. Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stieg, aber er stieg unendlich langsam.

      Nach zwei Jahren gewöhnten sie sich langsam daran, dass man Fäkalien einfach wegwerfen konnte. Es fühlte sich nicht richtig an, aber in den Archiven fand man Hinweise darauf, dass die Menschen auf der Erde genau das getan hatten. Ein Planet war so etwas wie ein sehr großes Raumschiff, und nichts ging verloren. Auf dem Planeten gab es riesige Vorräte von Material, auch wenn manche Elemente fast völlig fehlten. Fäkalien gab es ausreichend.

      Einige der Menschen suchten nach den verschwundenen Bewohnern, obwohl es seit Jahrhunderten keine Archäologen gegeben hatte – ebenso wenig wie Piloten oder Seeleute. Sie fanden riesige Bergwerke. Es schien, als hätten die Vorgänger alles Nützliche aus dem Planeten gegraben, ehe sie verschwanden. Sie fanden auch die Deponien, und sie kartierten sie. Noch war genug Platz auf dem Planeten, um die radioaktiv verseuchten Gebiete weiträumig zu umgehen. Sie fanden die Reste der Startrampen, und nach zwölf Jahren fanden sie auch die Reste von Aufzeichnungen. Es war ein Puzzle von Informationsfetzen, ein Sakrileg für Menschen, die seit Generationen alles aufbewahrten, die kein Bit Daten löschten und keinen Milliliter Wasser ins All entkommen ließen. Aber sie setzten es zusammen, und das Ergebnis war klar genug.

      »Es ist ein schlechter Witz«, sagte Juene.

      »Die Geschichte macht nur schlechte Witze«, erwiderte Arif.

      Sie saßen auf Faltstühlen auf einer winzigen Fläche hinter der Glaswand der Kuppel, die ansonsten mit Gerätschaften, Anzuchtkisten und Samen bis in den letzten Winkel vollgestopft war. Um zu schlafen, würden sie später die Stühle zusammenklappen und unter das Regal mit den neuen Bäumen schieben müssen. Vor ihnen erstreckte sich die unwirtliche Landschaft von Zwei. Im lehmgelben Dreck im Windschatten der Felsen standen hundertsechzehn kniehohe Bäumchen. Jeden Abend gingen die beiden hinaus und gossen sie mit Wasser aus der Entsalzungsanlage. Natürlich hätten sie Rohre verlegen und es den Automaten überlassen können, aber es fühlte sich richtig an, und es sparte das Material für die Rohre. Sie experimentierten mit Rohren aus gebranntem Lehm, aber bisher war das Ergebnis unbefriedigend. Außerdem liebten sie die Bäume. Hinter den Felsen erhoben sich einige der einheimischen Gebüsche, staubig blaugraue, struppige Dinger, die die Biologen Schachtelbaum nannten, obwohl sie nicht wie Schachteln aussahen. Die irdischen Bäume waren leuchtend grün. Die Biologen sagten, dass es Platanen wären, die vierzig Meter hoch werden würden.

      Niemand wusste, welche Lebensformen sich durchsetzen würden. Sie wussten nur, dass die Schachtelbäume ebenso wie alle anderen einheimischen Pflanzen für irdische Organismen unverwertbar waren. Die Menschen konnten entweder irdische Pflanzen etablieren oder aussterben. Eine andere Variante gab es nicht. Es gab nicht einmal die Möglichkeit, die Rückreise zur Erde anzutreten, weil das größte Rohstoffreservoir im System ihr eigenes Raumschiff war. Auf Zwei war nichts zu holen, jedenfalls kein Treibstoff für eine Rückreise.

      »Sie haben den Planeten ruiniert, und dann sind sie davongeflogen, weil sie sich eingebildet haben, es gibt einen zweiten als Backup«, nahm Juene ihren Gedanken wieder auf, aber es war nicht klar, ob sie die Erdmenschen oder die Vorgänger damit meinte.

      »Und wir, die wir nie irgendetwas verbraucht haben, das wir nicht vorher ausgeschissen hätten, bezahlen die Rechnung.«

      Arif legte ihr die Hand auf die Schulter. Er sah hinaus, und für einen Moment sah er die Bäume, wie sie in zwanzig oder dreißig Jahren sein würden: riesige, grüne Organismen, die von Tieren bewohnt wurden, ein Universum, ein Wald. Etwas, was nie ein Mensch zuvor gesehen hatte. Er lächelte.

      »Genau deshalb«, sagte er, »sind wir die Einzigen, die es hinkriegen können.«

image

      CRISIS? WHAT CRISIS?

      Noch einmal davongekommen.

      Wie wir der Welt ein Schnippchen geschlagen haben.

       Mit den Geschichten

      •von den enttäuschten Heimkehrern

      •vom nostalgischen Autorennen Mensch gegen Maschine

      •von der Großen Vernunft

      •von afrikanischen Musterstädten

      •von einem entrüsteten Leserbrief

      •von den Frühnachrichten

      •von der großen Flut

      CARBONIZED

      von Rainer Schorm

       »Ich will, dass ihr in Panik geratet!« Greta Thunberg, Davos, 25.01.2019

      »Atmosphäreneintritt!«

      Die Warnung war im Grunde genommen überflüssig. Die beiden Gäanauten kannten die automatisierten Abläufe aus unzähligen Übungen. Auf diesen Augenblick hatten sie sich vorbereitet; seit ihrem Start vom Mars vor 19 darischen Monaten1.

      Die THUNBERG hatte sich geteilt, wie geplant. Die interplanetare Triebwerksektion B schwenkte in diesem Augenblick in den stabilen Orbit ein, weit oberhalb der Atmosphäre. Der Flug durch die Ringe aus historischem Weltraumschrott war für das Landemodul ein wahrer Husarenritt gewesen. Während des Großen Exodus hatte sich deren Dichte gewaltig erhöht; man hatte die Archen größtenteils im Orbit montiert. Für den Schrott hatte sich niemand interessiert. Da die Erde ihrem Untergang entgegentaumelte, wen kümmerte da der technische Abfall?

      Wie erhofft hatte das starke elektromagnetische Feld, das die Generatoren des Schiffes erzeugt hatten, vieles abgefangen. Blumenstein war froh, dass sich sein Vorschlag, das Feld stärker auszulegen, durchgesetzt hatte; trotzdem hatte die THUNBERG etliche Treffer abbekommen. Viele der Sensoren arbeiteten unzuverlässig oder waren ausgefallen. Sie flogen zwar nicht blind, aber viel fehlte nicht dazu.

      »Um ein Haar hätten wir den Durchflug gar nicht überlebt«, dachte er, hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und Angst. Aber sie hatten es geschafft. Unter dem Landemodul hing die schwarze, nächtliche Erde. Bald würden sie mehr wissen.

      »Wenn alles so läuft, wie es soll«, dachte Blumenstein.

      »Eines wissen wir jetzt«, sagte Edgarson. »Die alten Satelliten sind allesamt verschwunden. Wahrscheinlich taumeln ihre Reste in den Schrottwolken umher. Nach dem Exodus hat sie niemand instandgehalten.«

      Der Kontakt zur alten Heimatwelt war bereits kurz nach dem Großen Exodus abgerissen – und dabei war es geblieben. Niemand hatte am endgültigen Niedergang des Planeten teilhaben wollen.

      »Keiner wollte verzweifelte Hilferufe hören«, dachte Blumenstein deprimiert. »Vielleicht ist da heute niemand mehr, der unsere Funkanrufe beantworten könnte. Damit wäre unsere Mission bereits gescheitert.«

      Das Modul vibrierte und das Schütteln verstärkte sich immer mehr. Die Verbindung zum Orbiter brach ab. Die THUNBERG erzeugte Plasma mit einer Temperatur von etwa 3.000 Grad Celsius. Das glühende Gaskissen, das sich beim Auftreffen auf die Atmosphäre bildete, unterband jede Art von Funkkontakt. Das würde sich erst später ändern, dann allerdings würde die THUNBERG bereits unterhalb des Funkhorizonts stehen.

      Die ionisierten, heißen Gase peitschten um das kleine Landefahrzeug herum und formten einen Schweif. Das weißgelbe Glühen verhinderte einen weiteren Blick auf die alte Erde. Das Landemodul der THUNBERG wurde kräftig durchgeschüttelt. Die entstehende Hitze führte zu den erwarteten Strömungen und Wirbeln.

      »Wie


Скачать книгу