Der Grüne Planet. Erik Simon

Der Grüne Planet - Erik Simon


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      Die Wissenschaftlerin verstummte und rieb sich die verspannte linke Schulter, während sie auf ihren Monitor starrte. Keine ihrer Analysen passte zu den Daten, die man vor dem Start der Svarog ermittelt hatte.

      »Es muss einen Grund dafür geben.«

      Auch Vera war völlig übermüdet. Sie hatte längst den Punkt überschritten, wo sie noch logisch denken konnte; aber ehe sie die Besatzung informierten, dass der Planet nicht besiedelbar war, wollten sie alle Fehler ausgeschlossen haben. Ihr war unangenehm bewusst, dass eine knappe Million Menschen gespannt darauf wartete, dass sie ihre Hoffnungen und Träume wahr werden ließen.

      Was sie nicht konnten.

      »Irgendwo müssen wir einen Fehler haben«, sagte Vera zum hundertsten Mal.

      Sie wusste, wie lahm das klang.

      »Wir haben keine Erfahrung mit Atmosphären«, schob sie deshalb hinterher.

      Das hörte sich nicht besser an.

      »Wir gehen runter und sehen nach«, entschied Celestine.

      Sie ließ eine der Landefähren fertig machen und forderte einen Piloten an.

      Wenig später tauchten sie in die Atmosphäre von Zwei ein. Sie hatten Planeten in Filmen und Hologrammen gesehen, aber nichts hatte sie darauf vorbereitet, einen echten Planeten aus Dreck und Lava zu sehen: riesige Meere, Landmassen jenseits ihrer Vorstellungskraft, Berge, Wolken.

      Arkadi, der Pilot, fluchte leise.

      »Sie haben Wind hier«, beklagte er sich. »Seitenwind.«

      Die Fähre schlingerte. Er war ein Pilot, der noch nie in seinem Leben geflogen war, aber die letzten Piloten, die noch durch eine echte Atmosphäre geflogen waren, waren seit mehreren hundert Jahren tot.

      Trotz aller Faszination war Vera übel. Sie hätte nicht sagen können, ob das Schlingern schuld daran war oder die unvorstellbare Größe des Planeten so unglaublich weit unter ihr. Das Weltall war unendlich. Da fiel man nirgendwohin. Aber der Planet hatte ein reales Gravitationsfeld, und die Triebwerke der Fähre arbeiteten hörbar, um das zerbrechliche Gefährt in der Luft zu halten. Sie hatte kein Wort für die Angst, die sie zwang, den Blick von der Oberfläche abzuwenden.

      »Sollte es da unten nicht grüner sein?«, fragte Celestine. »Wald und so?«

      Um den Äquator herum erstreckten sich Wüsten, so weit sie sehen konnte, nur unterbrochen vom Dunkelblau der Meere. Hier und da ragte eine Struktur aus dem gelben oder roten Boden, von der man nicht sagen konnte, ob sie ein Felsen, der Rest einer Pflanze oder eines dieser Dinger namens Gebäude war.

      Gebäude.

      Als die Fähre vom Äquator aus in Richtung Pol flog, entdeckte sie Strukturen, die zu geometrisch waren, um natürlichen Ursprungs zu sein – zu sechseckig, zu gerade, zu anders als ihre Umgebung. Da und dort schien es auch Pflanzenwuchs zu geben.

      »Vera? Vera, gab es irgendwo in den Daten zu Zwei einen Hinweis auf Funkverkehr?«

      Vera schüttelte vorsichtig den Kopf.

      »Kein Funk. Sonst hätte man ja annehmen müssen, dass der Planet besiedelt ist.«

      »Da sind Anomalien in der Landschaft. Sieht aus, als sollten wir jetzt besser annehmen, dass der Planet besiedelt ist.«

      »Verdammte Axt«, entfuhr es Arkadi, dem Piloten. »Das ist nicht gut, oder?«

      »Nein. Und sie kommen mit viel weniger Sauerstoff aus als wir.«

      Vera öffnete die Augen und schaute nach draußen. Das flaue Gefühl kehrte zurück, als sie den Planeten tief unten sah.

      »Vielleicht sind es irgendwelche staatenbildenden Insekten oder so. Auf der Erde gab es doch so etwas, und die bauten riesige Waben.«

      Arkadi ließ die Landefähre sinken. Vera würgte, schloss wieder die Augen und zählte bis zehn.

      »Es sieht«, sagte Celestine, »seltsam aus. Das da hinten sieht aus wie ein Steinbruch, einer dieser Monstersteinbrüche, in die ein ganzes Raumschiff passen würde.«

      Der Boden fiel in Terrassen ab. Der Computer stellte fest, dass das Loch hundertsiebenundzwanzig Meter tief war – im Durchschnitt. Die Zahl hatte für die drei keine reale Bedeutung. Nirgends im Schiff gab es eine Strecke, die so lang war. Die Kamera zoomte hinein. Da stand etwas, das wie ein Fahrzeug aussah. Es steckte zur Hälfte in einer Sanddüne. Hinter dem Steinbruch fanden sich weitere sechseckige Strukturen.

      Arkadi flog einen Bogen. Er schwitzte am ganzen Körper, und seine Handflächen klebten.

      »Wenn sie hier nicht sehr große Insekten haben, dann waren das Gebäude«, kommentierte Celestine. »Aber falls sie Dächer hatten, dann sind die eingestürzt.«

      Kleine Sanddünen hatten sich auch auf einer Seite der Mauern abgelagert. Die beiden Frauen hatten stundenlang Filme von der Erde angesehen, um eine Vorstellung von Planeten zu entwickeln. Trotzdem fiel es ihnen schwer, Worte wie Ruine oder Geröll mit dem zu verbinden, was sie sahen. Es gab gerade Linien im Gelände, die vielleicht das waren, was man auf der Erde Straße genannt hatte – obwohl sie weniger eben waren und da und dort Pflanzen aus der Fläche herauswuchsen. Falls es Pflanzen waren.

      In der Nähe dessen, was sie für den Südpol des Planeten hielten, gab es Vegetation. Zumindest wirkte es mit seiner fraktalen Gestalt wie Vegetation. Dazwischen bewegten sich Dinge, die wohl Tiere waren. Sie erinnerten Celestine an eine Tierart namens Herde oder etwas, das Reptil hieß. Sie bewegten sich langsam über die Ebene und rupften an der Vegetation. Auch da gab es Strukturen, die meisten davon sechseckig und ohne Dächer. In der Polarregion waren sie größer und dichter gedrängt, aber bis auf einzelne Reptilien wirkten sie unbelebt.

      Celestine suchte nach einem Wort dafür. Stadt. Da unten lag eine Stadt. Das war so etwas wie ein Raumschiff, nur breiter und nach außen offen. Eine Geisterstadt. Geister gab es auch an Bord. Es waren die Seelen der Verstorbenen, deren Körper in den Geistertanks zersetzt wurden, ehe man ihre Bestandteile in den Gärten recycelte. Geister rochen seltsam. Sie machten Geräusche, wispernde, seufzende Geräusche. Als Kinder waren sie zu den Tanks gelaufen, um sich zu fürchten. Celestine konnte das Seufzen und Wispern der Gebäude beinahe hören.

       10

      Sie begannen damit, Sauerstoff aus der Atmosphäre zu filtern und in Flaschen zu füllen. Ohne Atemgerät konnte man auf der Oberfläche nicht überleben. Ohne Atemgerät konnte man nicht einmal herausfinden, was zum Teufel mit dem Planeten nicht stimmte.

      Nach der ersten bleiernen Enttäuschung hatte sich ein eiserner Fatalismus breitgemacht. Sie hatten es nicht eilig. Sie konnten die Gebäude und Straßen untersuchen. Sie konnten Dinge analysieren. Sie konnten sogar Möglichkeiten finden, den Planeten bewohnbar zu machen. Sie hatten Hunderte von Jahren in einem Raumschiff gelebt, das Luft, Wasser und Nährstoffe in einem unendlichen Kreislauf wiederverwertete. Sogar den Staub hatten sie gesammelt, gefiltert und wiederverwendet. Es kam nicht auf ein paar Tage, Monate oder Jahre an.

      Vera fühlte sich sicherer, seit sie wieder an Bord war und Videoaufnahmen auswertete.

      »Sie sind weg«, erklärte sie schließlich. »Es gibt reichlich Spuren intelligenter Bewohner, aber nirgends Bewohner. Wir haben in Bodenproben Hinweise darauf gefunden, dass es in der Vergangenheit mehr Vegetation und mehr Sauerstoff gab. Es scheint, als hätte eine rasante Erwärmung des Planeten einen Großteil der Biosphäre vernichtet oder geschädigt. Ohne Pflanzen keine Photosynthese, ohne Photosynthese kein Sauerstoff.«

      Sie hatten an verschiedenen Stellen die Reste riesiger Waldbrände ausgegraben. Wald. Wald, der Sauerstoff produzierte. Verbrannter Wald, der Kohlendioxid an die Atmosphäre abgegeben hatte. Aber da und dort breitete sich neue Vegetation aus. Es schien, als wäre die Natur gerade dabei, sich neu zu erfinden. Vera erinnerte sich vage an ihre Ökologie-Lektionen. Irgendwann würde sich ein neues Gleichgewicht herstellen, das die vorhandenen Ressourcen optimal nutzte, aber ohne Hilfe würde es sich auf einem niedrigen Niveau stabilisieren – zu niedrig für


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