Mord mit Absicht. Peter Eckmann
in der Drogenberatungsstelle. „Was der Junge wohl gemacht hat, dass der Vater so wütend war? Irgendwas mit Drogen, das ist klar, aber so schlimm?“
Alexander schüttelt den Kopf. „So wütend war der Vater nicht. Er war vor allem verzweifelt, hat aber wohl gedacht, er müsse durchgreifen, um den Jungen vor schlimmen Dingen zu bewahren. Das ist bestimmt ganz entsetzlich, wenn man erfährt, dass das eigene Kind in sein Unglück rennt.“
Laura lacht freudlos. „Na, meiner Mutter ist das eher egal, und was mein Vater dazu meint, werden wir wohl nie erfahren.“
Finkel grinst gequält. „Na komm, lass uns an was anderes denken, zum Beispiel an deine Klamotten, oder?“
Laura lächelt, es ist beinahe so, als hätte sie eine schwere Last von sich abgeschüttelt.
Alexander ruft ein Taxi, in wenigen Minuten sind sie im Zentrum von Bremen. Laura springt von Schaufenster zu Schaufenster, sie kann sich gar nicht sattsehen an den Auslagen. Schließlich landen sie im Kaufhaus Karstadt.
„Ich darf mir aussuchen, was ich möchte? Ohne auf das Geld zu schauen?“
„Ich habe es versprochen, mach dir keine Gedanken um mein Portemonnaie.“ Alexander nickt dazu, er hat wirklich genug Geld. Er erhält eine gute Miete für sein Haus, dazu fließen immer noch ordentlich Tantiemen aus dem Verkauf seiner Bücher.
Laura saust zwischen den Kleiderständern umher, mit einigen Stücken auf dem Arm verschwindet sie in eine der Umkleidekabinen. Minuten später kommt sie heraus, mit einer neuen Jeans und einer weißen, kurzärmeligen Bluse darüber. „Wie gefällt es dir?“
„Sehr hübsch. Ich glaube, dir steht einfach alles. Was hältst du denn von einem Rock oder einem Kleid?“
„Das würdest du mir auch schenken?“
„Warum nicht, ich habe es dir zugesagt.“
Am Ende hat sein Schützling noch einen mittellangen, roten Rock und einen Traum von einem Sommerkleid gefunden. Immer wieder dreht sie sich vor dem Spiegel.
„Was hältst du von Badezeug, vielleicht einem Bikini?“ Alexander denkt an das Badeparadies an der Flussinsel und daran, dass er sich letzte Woche eine Badehose gekauft hat, die er nun gemeinsam mit Laura einweihen könnte.
„Oh, ja. Du bist ein Schatz!“ Ganz unerwartet erhält er ein Küsschen auf die Wange.
Ein Taxi bringt sie später zurück zu der Fähre am Weserufer, Laura und ihr Gönner sind mit vielen Tüten bepackt.
Die nächste Gelegenheit zum Baden ergibt sich gleich am nächsten Tag, es ist Donnerstag, der 18. August. Es ist ein fantastischer Sommertag, Laura und Alexander gehen mit Badezeug unter ihrer Kleidung zu der Badestelle am Werdersee. Der Sandstrand ist trotz des Wochentages gut besucht, es sind Ferien. Etwas zögerlich traut er sich in das Wasser, er ist vor Jahren das letzte Mal geschwommen. Laura hat keine Scheu vorm Wasser, sie läuft mutig hinein und schwimmt. Aus sicherer Position bespritzt sie ihn mit Wasser. „Komm endlich, du wasserscheuer Sack! Lass uns um die Wette schwimmen!“
Sie ist eine gute Schwimmerin, das hat sie während ihrer Schulzeit gern getan. Alexander war einmal sehr gut darin, das war vor über vierzig Jahren fester Bestandteil seiner Ausbildung bei der GSG 9. Nur langsam erinnern sich seine Muskeln an die Abläufe, doch allmählich wird er schneller.
„Hallo, wer hätte das gedacht?“, wundert sich Laura, als es ihm unter Einsatz seiner letzten verbliebenen Reserven gelingt, sie einzuholen. Nach dem Baden landen sie – wie schon ein paar Mal in den vergangenen Tagen – in dem Café an der Anlegestelle der Fähre. Es gibt einen wunderbaren Kuchen, Laura nimmt noch einen Becher Eis dazu. Alexander sieht es mit Freude, sie ist doch recht abgemagert.
Er genießt diese Stunden mit dem Mädchen, er fühlt sich beinahe glücklich. Dann, wie immer, wenn er sich wohl fühlt, fällt ihm sein Dilemma ein, und er erschrickt. Immerhin gibt es Stunden, in denen er überhaupt nicht an seine verdammte Krankheit denken muss. Es gelingt ihm immer besser, die dunklen Wolken beiseitezuschieben und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
„Wann wollen wir denn weiterfahren?“, fragt er sie.
Laura stellt den Latte Macchiato hin, an dem sie eben genippt hat. „Warum? Gefällt es dir hier nicht? Ist doch super hier.“
Alexander erzählt ihr, was er von seinem Nachbarn auf dem Stellplatz vom Südsee-Camp gehört hat. „Du musst dich mit jungen Leuten treffen, so ein alter Sack, wie ich es bin, ist doch auf Dauer nicht das Richtige für dich.“
„Bis jetzt gefällt es mir wunderbar!“ Sie lacht und trinkt mit einem langen Schluck ihr Glas leer.
Am Abend sitzen sie im Wohnmobil und sehen fern. Alexander hat eine Flasche Wein besorgt, dazu gibt es den Knabberkram, den sie gestern aus der Stadt mitgebracht haben. Es läuft ein Krimi, er verfolgt ihn mäßig interessiert, Laura sieht auf ihr Handy. Nun blickt sie auf und mustert ihn eine Weile.
„Warum tust du das alles für mich?“
„Mach dir darüber keine Gedanken. Ich freue mich, wenn ich dir helfen kann.“
Sie dreht ihren Sitz ein bisschen zu seinem hinüber und rückt dicht an ihn heran. „Kann ich nicht irgendetwas Angenehmes für dich tun?“ Sie hat die Augen halb geschlossen und legt ihre Hand auf seine Hose. „Soll ich dir vielleicht einen blasen?“
„Laura!“ Alexander ist einen Moment entsetzt, er hat fast vergessen, aus welchem Milieu er sie befreit hat. „Nein, bitte nicht.“ In seinem Hinterkopf entsteht ein seltsamer Gedanke, sollte er nicht vielleicht doch? Nein! Er würgt diesen Gedanken bereits im Embryostadium ab. Jeder Gedanke an Sex ist ihm durch die zerstörenden Therapien abhandengekommen. Wenn er das Mädchen nun gewähren lassen würde – und es stellt sich vielleicht heraus, dass er wirklich nicht mehr kann – er würde sich in Grund und Boden schämen. Aber das ist es nicht allein. Wenn er es zuließe, wäre es genau das: Ein alter Knacker, der sich ein junges Mädchen hält, weil er das nötige Geld hat. „Nein, bitte nicht“, wiederholt er leise.
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