Mord mit Absicht. Peter Eckmann

Mord mit Absicht - Peter Eckmann


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Das ist aber auch gut so, er bemerkt, dass er den ganzen Nachmittag nicht mehr an seine Erkrankung gedacht hat. Erst jetzt wieder, Ungewissheit und Angst dominieren erneut sein Denken. Stopp! Er versucht, sich abzulenken, und macht Pläne für morgen und die nächsten Tage. Wo könnte er den nächsten Halt einlegen? Wie wird Laura mit ihm, dem alten Sack und wenig geübten Gesellschafter, zurechtkommen? Oder er mit ihr? Für ihn bedeutet ihre Gesellschaft eine erhebliche Umstellung.

      Ein Schrei gellt durch das Wohnmobil, ein Schrei voll Angst und Schrecken. Er fährt hoch und schaltet das Leselicht ein. Es ist Laura, die in ihrem Bett sitzt und zu ihm blickt. Er klettert aus seinem Heckbett und geht zu ihr hinüber. „Was ist mit dir? Warum hast du geschrien?“

      Sie legt ihre Arme um ihn und drückt ihren Körper an ihn. Sie schnieft laut. „Das habe ich manchmal. Ich träume gruselige Dinge, die mir so erschreckend real vorkommen. Ich glaube, das sind die Nachwirkungen des Speeds.“

      „Kann ich da irgendetwas tun? Möchtest du ein Schluck zu trinken?“

      „Ja, etwas Wasser wäre gut, ich habe einen ganz trockenen Hals.“

      Etwas später schläft Laura wieder tief und fest, er hört ihre langsamen Atemzüge von seinem Bett aus. Er grübelt über die Kleine nach. Vielleicht sollte er mit ihr die Drogenberatung in Bremen aufsuchen, er fühlt sich mit dieser Situation überfordert. Er kann sich noch an eine eigene, ganz furchtbare Panikattacke wegen der Morphium-Spritzen gegen seine Schmerzen erinnern. Er hat sich deshalb gegen die Spritzen entschieden und lieber die Schmerzen in Kauf genommen.

      Während er über Lösungsmöglichkeiten nachdenkt, schläft er ein.

      Als Alexander Laura beim Frühstück die Idee unterbreitet, die Drogenberatung aufzusuchen, ist sie entsetzt. „Scheiße! Was soll denn das? Ich bin nicht süchtig!“

      „Das haben wir letzte Nacht gesehen. Mir ist es lieber, dass es jemand beurteilt, der mehr davon versteht als ich.“

      „Du bist ein Blödmann. Die schwatzen dir irgendein Methadon-Programm auf oder eine monatelange Entziehungskur. So weit bin ich lange nicht.“

      „Wenn das so ist, hast du ja nichts zu befürchten. Sperr dich doch nicht so dagegen, lass uns erst mal hingehen, dann überlegen wir beide, was wir davon umsetzen.“

      Laura ist nicht begeistert, mit versteinertem Gesicht blickt sie auf den Tisch.

      „Nun iss doch das Ei, ich habe es extra gekocht.“

      „Hast du keine anderen Sorgen?“ Mit einer Handbewegung fegt sie das Ei mitsamt Eierbecher vom Tisch.

      Alexander muss den Impuls unterdrücken, sie auf der Stelle vor die Wohnmobiltür zu setzen, dann besinnt er sich, er kann nicht gleich bei der ersten Schwierigkeit aufgeben. Wenn er ihr nicht hilft, wer dann? Er bückt sich und hebt das Ei und den Eierbecher auf.

      Nun sitzt sie am Tisch und weint bitterlich. Er blickt ihr ins Gesicht. „Ich will dir doch nichts Böses, ich sorge mich nur. Lass es uns versuchen, ja?“

      Sie weint immer noch, er versucht es mit einem Lockmittel. „Du hast doch kaum etwas zum Anziehen. Und das, was du hast, ist alles andere als – gesellschaftsfähig.“ Das stimmt, seine Nachbarn auf dem Stellplatz haben bereits neugierig zu ihm herübergesehen, was die sich wohl zusammenreimen? „Was hältst du davon, wenn wir nach dem Besuch bei der Drogenberatung einkaufen gehen und dich ganz neu einkleiden?“ Er reicht ihr ein Taschentuch. „Trockne deine Tränen, dann können wir losgehen. Wenigstens mir zuliebe, ja?“

      Laura schnäuzt ihre Nase, dann nickt sie, ein schwaches Lächeln huscht über ihr Gesicht.

      Die Drogenberatung der Caritas in Bremen ist im Sankt Joseph-Stift untergebracht. Das ungleiche Paar nimmt sich am Weserufer ein Taxi. Alexander hält Laura an der Hand, in der Nähe der Beratungsstelle zögert sie. „Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass du ängstlich bist“, bemerkt Finkel. „Was kann dir schon passieren? Wollen wir reingehen?“ Laura nickt zaghaft, dann betreten sie das gelbe Gebäude neben dem Krankenhaus. Sie müssen warten, neben ihnen sitzen noch zwei junge Männer, die mit grauem Gesicht aus dunkel umrandeten Augen an die Wand starren. Sie haben einen Mann dabei, der so etwas wie ein Sozialarbeiter zu sein scheint.

      Jetzt ist Laura an der Reihe, es braucht einen kleinen Zug an ihrer schmalen Hand, um sie in das Büro zu bugsieren. Doch dann sitzen sie vor dem Schreibtisch der Caritas-Mitarbeiterin. Es ist eine Frau in den Vierzigern, freundlich blickt sie die beiden durch eine Brille an.

      „Was kann ich für euch tun?“

      Alexander erklärt das Problem. Er hält Laura für drogenabhängig oder auf jeden Fall für gefährdet. „Ich fühle mich überfordert und hoffe auf ein paar Ratschläge von Ihnen.“

      Sie notiert etwas auf einen Zettel und sieht ihn dann an. „In welcher Beziehung stehen Sie zu dem Mädchen?“

      „Wir sind nicht verwandt, ich fühle mich in einer Art Großvater-Rolle. Sie tut mir leid und ich möchte ihr helfen.“

      „Das ist sehr lobenswert, ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.“ Dann blickt sie Laura an. „Nur für die Unterlagen, kannst du mir deinen vollständigen Namen nennen?“

      Laura druckst etwas herum, dann spricht sie leise, die Frau der Caritas macht sich wieder Notizen.

      „So, jetzt erzähl mir bitte etwas über deine Erfahrungen mit Rauschgift. Was nimmst du, wann hast du zuletzt etwas genommen, wann davor? Ich möchte mir ein Bild über eine mögliche Abhängigkeit machen.“

      Laura beginnt zu erzählen. Sie nimmt gelegentlich Speed, einmal hatte sie Koks ausprobiert, aber das ist vier Wochen her.

      „Das letzte Mal habe ich Speed vor fünf Tagen genommen, davor ist es etwa eine Woche her. Meistens konsumiere ich etwas mit Freunden am Wochenende.“

      „Das klingt nicht sooo schlecht. Kannst du mir etwas über deine Symptome erzählen? Wie schläfst du, wie lange schläfst du, wie ist dein Appetit?“

      Laura berichtet jetzt etwas flüssiger, sie hat offenbar akzeptiert, dass man ihr nur helfen möchte. „Vor zwei Tagen hatte ich so ’n hässliches Stechen in der Herzgegend, das ist endlich vorbei. Appetit ist gut, ich träume nur gelegentlich schlecht.“ Sie sieht Alexander an, sie denken beide an die Panikattacke der letzten Nacht.

      Die nette Frau von der Caritas lässt sich das Gehörte durch den Kopf gehen und sieht dann Alexander an. „Es war gut, dass sie hergekommen sind, je früher, desto besser. Ihr Schützling ist Gott sei Dank nur bedingt abhängig. Sie hat bisher offenbar nur in Gesellschaft, also beim Partymachen, wie das heute heißt, etwas eingeworfen, bedenklich wird es, wenn sie es nur für sich und heimlich konsumiert.“ Sie öffnet eine Schublade ihres Schreibtisches. „Ich gebe Ihnen ein Merkblatt über den Umgang mit Süchtigen mit. Es ist für Laura nur eingeschränkt gültig. Es ist natürlich wichtig, dass sie von jetzt an möglichst keine weiteren Drogen nimmt. Wirklich davon abhalten können Sie sie nicht, das ist Ihnen sicher klar. Sie muss selbst ohne Drogen leben wollen, sonst hat es keinen Sinn.“ Die Sozialarbeiterin blickt Laura an.

      Die blinzelt. „Okay, ich will ohne Speed klarkommen, versprochen.“

      „Versprechungen sind hier nichts wert, das sind wenigstens meine Erfahrungen in diesem Job. Ich wünsche dir, dass du es schaffst.“

      Alexander erhebt sich. „Ich werde Laura ein paar Wochen mit meinem Wohnmobil mitnehmen – wenn sie möchte.“ Er blickt seinen Schützling an, der ein zufriedenes Gesicht zeigt. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

      Die Frau steht auf, um sich zu verabschieden, als vom Flur lautes Geschrei hereindringt. Die Tür wird aufgestoßen und ein Mann tritt ein, mit einem höchstens vierzehnjährigen Jungen an der Hand. Der sträubt sich heftig, dem Mann ist er jedoch nicht gewachsen.

      „Du kommst jetzt mit, Freundchen! Wir werden ja sehen, wer den längeren Atem hat.“ Der Mann wirkt verzweifelt, sein Zorn dagegen aufgesetzt.

      Laura blickt erschrocken auf die Szenerie, der verwahrloste Junge und


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