Mord mit Absicht. Peter Eckmann
Mithilfe des Atlas’ kann ich Ihnen die Lage erklären. Sie können auch das Navigationssystem im Wohnmobil benutzen, damit ist das noch einfacher.“
Finkels Smart wird im Auftrag von der Firma Reimer verkauft, damit muss er sich nicht belasten. „Was machen wir, falls es einen Überschuss gibt? Angenommene 5 000 Euro habe ich bereits mit dem Kaufbetrag des Wohnmobils verrechnet.“
„Ich gebe Ihnen meine Kontonummer, würden Sie überschüssiges Geld bitte überweisen?“ Schließlich ist der Papierkram erledigt, nun soll er endlich das Wohnmobil in natura erleben.
Peter Reimer geht voraus. „Folgen Sie mir bitte.“
In einer großen Halle steht das Mobil, stolz präsentiert Reimer das edle Fahrzeug. „Hier haben wir das gute Stück. Die Firma Clipper baut Wohnmobile für besonders hohe Ansprüche, Sie haben bei der Wahl dieser Marke bestimmt keinen Fehler begangen.“
Alexander erhält eine detaillierte Einführung: Was ist beim Gastank zu beachten, wie wird die Heizung bedient, wie wird das Hubbett abgesenkt, die Einstellung der Satellitenantenne – es gibt viel zu beachten.
Peter Reimer schmunzelt. „Das ist ein bisschen viel auf einmal, oder? Keine Sorge, im Bordhandbuch können Sie alles nachlesen. Und dann heißt es: learning by doing. Ich schlage vor, ich zeige Ihnen noch das Fahrrad, das ich nach Ihren Vorgaben besorgt habe, anschließend führen wir eine Übungsfahrt durch.“
„Sehr gut, das Fahrrad würde ich auch gerne kurz Probe fahren.“
Herr Reimer nickt und öffnet die etwa einen Meter hohe Klappe im Heck des Wohnmobils. Ein großer Raum wird sichtbar, so tief wie das Wohnmobil breit ist. An einer Wand ist an einer Halterung mit einem Gurt ein Fahrrad befestigt. „Sehen Sie? Hier können Sie allerhand unterbringen. Die Auffahrböcke zum Beispiel, eine Kabeltrommel – was immer Ihnen einfällt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Heckgarage ist auch eine Klappe, das ist bei großen Gegenständen sehr bequem.“
Finkel fährt mit dem neuen Rad ein paar Runden auf dem Platz und ist zufrieden, nur die Höhe des Sattels muss etwas korrigiert werden. Der nächste und letzte Schritt ist die Probefahrt des Mobils. Er klettert auf den Fahrersitz, der rührige Händler setzt sich daneben. „Es ist ganz einfach, fast wie beim Pkw. Das einzige Problem sind die ungewohnten Abmessungen und die kaum vorhandene Rundumsicht.“ Er zeigt auf einen kleinen Bildschirm oberhalb der Windschutzscheibe. „Dort sehen Sie entweder die Karte des Navigationssystems oder – sobald Sie den Rückwärtsgang einlegen – über die Heckkamera nach hinten. Legen Sie den ersten Gang ein und fahren Sie los, bleiben Sie vorerst auf dem Betriebsgelände.“
Alexander Finkel gibt Gas. Der Diesel brummt, langsam setzt sich das Mobil in Bewegung. Er fährt erst nur Schritttempo, führt ein paar Lenkversuche durch und bremst schließlich bis zum Stillstand. Die Rückwärtsfahrt ist wegen der Heckkamera auch kein Problem. Immer wieder kontrolliert er die Ecken des Fahrzeuges in den Rückspiegeln und die Position auf der Fahrbahn.
Eine halbe Stunde später steht das elegante Mobil mit dem roten Schriftzug „Clipper 680“ auf den Türen des Fahrerhauses vor den Büros. Seine persönlichen Gegenstände sind verstaut – für die Waffe hat er ein gutes Versteck im Fach für die Bedienungsanleitung gefunden. Die Anleitung wird er vorerst ständig brauchen, sodass das Fach ohnehin frei ist.
„So, Herr Finkel, das sieht schon gut aus. Ich kann Sie jetzt mit gutem Gewissen in die Wildnis entlassen.“ Er lacht. „Wenn Sie Fragen haben oder irgendetwas nicht in Ordnung ist, melden Sie sich gerne bei mir, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung. Ach ja – der Frischwassertank ist voll, ebenso der Gastank und der Diesel, der Abwassertank und die Kassette für die Fäkalien sind natürlich leer. Ich wünsche Ihnen alles Gute und eine unfallfreie Fahrt.“
Alexander Finkel fährt auf der Autobahn A1 Richtung Bremen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn er am ersten Tag nicht so weit fährt, das Einfädeln auf die Autobahn hat ihm bereits Herzklopfen bereitet. Der Motor brummt sonor, mit gut 100 Stundenkilometern fährt ihn sein neues Fahrzeug Richtung Süden.
Loran Mirakuli sitzt in seinem mit tiefem Ton grollenden Ford Mustang und fährt auf dem Obstmarschenweg in Richtung Drochtersen. Seine Schwester hat ihm mitgeteilt, dass ihr Mann ab Mittag zu Hause sein wird. Es ist Freitag, der 12. August 2016.
Ferdinand Grossko, sein Schwager, wohnt in einem Einfamilienhaus in der Hüller Straße. Seine Frau Zola öffnet ihrem Bruder. „Hallo, Loran, komm doch rein.“ Sie bemüht sich um ein Lächeln.
Er gibt ihr einen Kuss auf die Wange. „Nett, dich zu sehen, Schwesterchen. Ist Ferdinand da?“
„Ja, er sitzt im Wohnzimmer … Sei bitte nicht so grob zu ihm, ja? Ich glaube, er ahnt, was du von ihm willst, nun fürchtet er Unannehmlichkeiten.“
„Er kann gerne Angst haben, hoffentlich ist er dann gesprächig!“
„Loran! Hör doch! Er ist mir ein guter Mann, ich möchte nicht, dass du ihn bedrohst, die Sache setzt ihm ohnehin schon zu!“
„Das hängt ganz von ihm ab, nun lass mich vorbei.“ Seine Schwester startet noch einen aussichtslosen Versuch, ihren Bruder am Betreten der Stube zu hindern, ungerührt quetscht er sich an ihr vorbei.
Sein Schwager sitzt auf dem Sofa und raucht mit zitternden Händen eine Zigarette. Es ist nicht die erste, der Aschenbecher ist voller Stummel. Loran lässt seinen massigen Körper in einen der Sessel fallen. „Du ahnst sicher, warum ich hier bin.“
„Das ist nicht schwer zu erraten.“ Der schmächtige Mann ist leichenblass. Seine wenigen schwarzen Haare sind glatt nach hinten gekämmt, auf der Nase thront eine übergroße Brille. „Es hängt sicher mit dem Banküberfall vor acht Tagen zusammen – ich habe nichts damit zu tun!“ Er hebt abwehrend die Hände.
„Ferdinand, du musst doch zugeben, dass es ein seltsamer Zufall ist, dass ausgerechnet deine kleine Bank in diesem verschlafenen Nest überfallen wird, ausgerechnet in dem Moment, als wir für ein paar Tage die Einkünfte des letzten halben Jahres bei dir zwischengelagert haben!“
„Ja, ich weiß.“ Sein Schwager windet sich, als wenn er große Schmerzen hat. „Es sieht tatsächlich verdächtig aus, es muss aber Zufall sein! Ich war auch gar nicht in der Bank, ich war beim Zahnarzt.“
„Das macht es nicht glaubwürdiger. Du könntest es als Banküberfall getarnt haben und hoffst nun, dass wir dir das abnehmen!“ Loran hat sich nach vorne gebeugt, was wegen seines dicken Bauches nicht so einfach ist. „Glaub nicht, dass wir das so hinnehmen!“ Seine Stimme wird lauter: „Wenn du nicht der Mann meiner Schwester wärst, würde ich hier nicht mehr so ruhig sitzen!“
Ferdinand Grossko leidet Höllenqualen. Er ist nicht der Mutigste, vor seinem Schwager hatte er schon immer Angst. „Es tut mir leid, Loran, wirklich.“
„Glaubst du, mit einer einfachen Entschuldigung ist es getan? ‚Tut mir leid‘? Nein, mein Lieber! Wir werden der Sache auf den Grund gehen, verlass dich drauf! Wenn du etwas mit dem Überfall zu tun hast, kriege ich das raus, und dann ist es vorbei mit dir – Schwager hin oder her.“ Ferdinand ist zu einer bejammernswerten Kreatur zusammengesunken, zitternd vor Angst. Warum seine Schwester ausgerechnet diesen Waschlappen geheiratet hat, hat Loran nie verstanden. Der Typ hat nicht die Eier, einen Bankraub zu planen, wahrscheinlich hat er tatsächlich nichts mit der Sache zu tun. „Gut, das war’s für heute, ich behalte dich im Auge. Du wirst uns über die Ermittlungsergebnisse der Polizei penibel auf dem Laufenden halten – ist das klar? Wenn du nicht dahinterstecken solltest, dann müssen wir die Bankräuber finden und ihnen das Geld wieder abnehmen.“ Er mustert seinen Schwager mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Das ist nicht nur mein Geld, das könnte ich gerade noch verschmerzen. Es ist der Gewinn fast aller norddeutschen Clans, wobei der Hamburger – nämlich meiner – der größte ist. Wie stehe ich jetzt da? Meine Kollegen aus Bremen, Lübeck und Lüneburg werden mich nicht großzügig entlasten! Nein! Die wollen das Geld zurück! Eventuell über meine und vielleicht auch deine Leiche.“
Verdrießlich