Mord mit Absicht. Peter Eckmann

Mord mit Absicht - Peter Eckmann


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er sich, jedem Moment vom Rest seines Lebens etwas Positives abzuringen. Er lächelt das Mädchen an, eine an ihm selten gesehene Mimik. Sie lächelt zurück, ein unbeschwertes Lächeln eines kleinen Mädchens, das ihn angenehm berührt.

      Mit seinen eigenen Kindern hat er sich immer schwergetan. Der Junge, Martin, lebt seit elf Jahren in Freiburg im Breisgau, er ist dort mit einer Französin verheiratet. Alexanders Tochter, Nicole, lebt seit mehreren Jahren in Köln. Sie ist dort Redakteurin bei einer Zeitung. Sie telefonieren nur selten miteinander, und wenn, haben sie sich nichts zu sagen. Mit seiner Frau hat er ebenfalls keinen Kontakt mehr. Im Laufe der Jahre hat er mit seinem abweisenden Wesen und den Launen jeden von sich gestoßen.

      Gerade sieht das Mädchen wieder zu ihm her. Dessen Eltern sind in ein Gespräch vertieft, so nutzt er die Gelegenheit und streckt dem Mädchen die Zunge raus. Sie reißt die Augen auf und grinst ihn an. Warum hat er zu seinen Kindern keinen Zugang gefunden, ihn nicht einmal gesucht, als diese so alt waren wie die Kleine hier? Musste ihm erst der nahende Tod die Augen öffnen?

      Vor vierzehn Jahren ist sein erstes Buch erschienen. „Terror in Somalia“, unter dem Pseudonym Frank Marschall. Er hat seine Erlebnisse bei der Befreiung der Geiseln aus dem Flugzeug „Landshut“ beschrieben. Das Buch war auf Anhieb ein Erfolg und hat ihn ermutigt, weiter zu schreiben. Seitdem hat er fast jedes Jahr einen Bestseller auf den Markt gebracht. Bestseller, die ihm ein Vermögen beschert haben. Aber Geld ist nicht alles, er war ein Ekel – jedenfalls meistens, das weiß er. 2008 hat er sich mit sechzig Jahren in den Ruhestand versetzen lassen, um sich ganz der Schreiberei widmen zu können. Nur ein Jahr später hat seine Frau seine Launen nicht mehr ausgehalten und ihn von einem auf den anderen Tag verlassen.

      Neben ihm sitzt ein Mann und liest in einer Zeitung. Schon wieder stößt dieser ihn beim Umblättern an. Vor seiner ersten Chemotherapie hätte er ihn angeblasen, ob er nicht besser aufpassen könne. Mittlerweile hat er begonnen, umzudenken, umzudenken, er will die letzten Tage seines Lebens nicht mit Streitigkeiten vertun. So lässt er den Mann gewähren und ringt sich sogar ein Lächeln ab.

      Einige Fahrgäste stehen auf und rollen ihre Koffer zur Tür, gleich wird der Zug in Harburg halten. Alexander hat noch etwas Zeit, am Hamburger Hauptbahnhof, eine Station weiter, wird der Zug ausgesetzt. Es ist kurz nach Mittag, am Abend will er zu Hause sein.

      Endstation, es gibt viel Gedränge im Zug. Viele Reisende mit ihren Taschen stehen dicht gedrängt vor den Ausgängen. Finkel hat zwei Gepäckstücke bei sich: eine Reisetasche mit seinen persönlichen Siebensachen wie Kleidung, Rasierapparat, Notebook und allerlei Krimskrams. Das zweite Gepäckstück, ein brauner Pilotenkoffer, ist mit dem bepackt, was er in München von seinem Verleger erhalten hat: eingereichte Manuskripte, ein paar Sonderdrucke seiner Bücher und jede Menge alter Verträge. Er will in der Einkaufsstraße am Hauptbahnhof noch etwas einkaufen und beschließt daher, den Pilotenkoffer in der Zwischenzeit in einem der Schließfächer zu verwahren.

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      Max Krämer hat endlich den Hauptbahnhof erreicht. Schimpfend hat er sich durch die Straßen gekämpft, seine Nerven liegen blank. Er fühlt sich zu alt für den immer dichter werdenden Verkehr, vielleicht ist es auch eine Schnapsidee, das Geld hier in der Stadt vorläufig zu verstecken. Nein, es ist richtig so, korrigiert er sich. So weit weg wie möglich, auf ein Schließfach in Hamburg kommt so leicht niemand. Direkt am Hauptbahnhof findet er einen Parkplatz. Er flucht leise wegen der hohen Parkgebühr und sucht Münzen aus seinem Portemonnaie zusammen.

      Mit dem Pilotenkoffer in der Hand betritt er den großen Bahnhof, der nach Paris-Nord der meist frequentierte Bahnhof Europas ist. Der Raum mit den Schließfächern befindet sich neben dem Eingang, ein großer Durchgang führt zu den vielen Fächern. Max Krämer drängt sich zwischen den Menschen durch, dann hat er ein freies Schließfach gefunden und stellt den Koffer hinein. Er schließt die Tür und zieht den Schlüssel ab. In dem Moment wird er unsanft umgerissen, er kommt zu Fall und rappelt sich mühsam wieder auf.

      „Ein Dieb!“, ruft ein Mann neben ihm. „Haltet ihn!“ Ein junger Mann in einem dunklen Trainingsanzug mit Kapuze hält einen Diplomatenkoffer aus Aluminium in der Hand und drängt sich rücksichtslos durch die Menge der Menschen.

      Auch Alexander Finkel erhält einen kräftigen Stoß. Der junge Mann mit dem glänzenden Koffer stößt ihn beiseite und hetzt mit langen Sprüngen davon. Der Schlüssel für das Gepäckfach, den Finkel eben noch in der Hand gehalten hat, liegt nun irgendwo auf dem Boden. Er bückt sich und sucht seine Umgebung ab. Dann hat er ihn entdeckt, er hebt ihn auf und steckt ihn in seine Jackentasche.

      Max Krämer hat sich aufgerappelt, den Schließfachschlüssel hat er allerdings verloren. Mein Gott, das viele Geld!, denkt er erschrocken und sucht panisch den Boden ab. Doch er braucht nicht lange zu suchen, er liegt direkt neben ihm. Er greift hektisch danach, richtet sich auf und steckt den Schlüssel ein. Ein Mann steht neben ihm, er ist mager und gut gekleidet, er wirkt gepflegt. Der Mann hat sehr kurze schwarze Haare, die schon viel Grau enthalten. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt der höflich.

      „Danke, es geht wieder. Hauptsache, er hat nicht meinen Koffer gestohlen“, antwortet Max Krämer. Nein, das wäre allerdings eine Katastrophe.

      Der Angesprochene lächelt. „In meinen Fall wäre das bedeutungslos, er enthält nichts Wichtiges.“Dann geht jeder der Männer in eine andere Richtung, beide hängen ihren Gedanken nach. Max Krämer grübelt über das Geld nach, er denkt an die unglaubliche Summe.

      Wie kann es jetzt weitergehen?

      Alexander Finkel will noch etwas besorgen. Nachdenklich schlendert er die Mönckebergstraße entlang. Es soll ein Geschenk für seine Zugehfrau sein. Sie hat, seitdem er das Haus in Blankenese bewohnt, es immer sorgfältig und verlässlich in Ordnung gehalten. Nun wird sie, da er ausziehen wird und seine Doppelhaushälfte zur Vermietung freigegeben hat, ihre Stellung verlieren. Deshalb will er ihr als Trost und als Dank für die treue Arbeit ein Geschenk besorgen.

      Er hat beschlossen, sein Leben vollständig umzukrempeln. Seine Haushälfte wird in wenigen Tagen vermietet werden, in etwa einer Woche wird er das neu erworbene Wohnmobil abholen und in die Ferne starten. Er hat kein bestimmtes Ziel, nur irgendwohin. Er hofft, durch den Neuanfang seinen Kopf freizubekommen und nicht immerzu an den Krebs denken zu müssen.

      Er findet in einem Porzellangeschäft eine wunderhübsche Spieluhr, darüber wird sich seine Zugehfrau freuen, er weiß, dass sie so etwas sammelt. Es ist ein Karussell, nach dem Aufziehen dreht es sich und spielt ein englisches Kinderlied. Dazu ein Umschlag mit einem Geldschein, das ist angemessen.

      Er lässt das Geschenk hübsch verpacken, dann steckt er es in seine Reisetasche. Langsam schlendert er zum Bahnhof zurück, holt den Pilotenkoffer aus dem Gepäckschließfach und begibt sich damit zum Taxistand.

      „Nach Blankenese bitte, kennen Sie die Straße Am Kiekeberg?“

      Der Taxifahrer nickt und stellt das Gepäck in den Kofferraum.

      Seit sechs Jahren bewohnt Alexander Finkel das Haus im Hamburger Stadtteil Blankenese, genauer: ihm gehört die Hälfte eines Doppelhauses. Die andere Hälfte gehört einem Rechtsanwalt, mit dem er seit ein paar Jahren befreundet ist. Finkel schließt selten Freundschaften, aber sein Nachbarn hat sich von seinen Launen nicht beeindrucken lassen und das hat ihn wiederum beeindruckt. Dr. Rüdiger Miksche hat die Gabe, seine Mitmenschen schnell zu durchschauen und Stärken und Schwächen zu erkennen. Wahrscheinlich ist er deshalb ein erfolgreicher Rechtsanwalt.

      Er sieht das Taxi davonfahren und öffnet die Tür zu seinem Haus. Licht scheint durch die Fenster herein, heute ist ein schöner Tag. Vom Obergeschoss aus kann man bis zur Elbe sehen, er hat oft auf der Dachterrasse gesessen und an seinen Büchern gearbeitet. Damit soll jetzt Schluss sein, mit dem Haus verbindet er zu viele unangenehme Erinnerungen. Er hat dort ein paar Jahre alleine gewohnt, seine Frau und Kinder hatten ihn bereits vor dem Kauf des Hauses verlassen – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Auf eben dieser Dachterrasse hat er die ersten Symptome bemerkt, deren Ursache sich eineinhalb Jahre später als Krebs herausgestellt hat. Mit Grauen denkt er an die schmerzhafte Venenentzündung im linken Arm als


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