Mord mit Absicht. Peter Eckmann

Mord mit Absicht - Peter Eckmann


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selbst auf den Weg machen, um das Geld zu suchen, aber er kennt jemanden, noch aus dem Knast, der könnte der Richtige sein. Er wird noch heute versuchen, den Mann zu erreichen. Gregor Vanicek, ein Russe, der hatte im Knast das Sagen. Er war der Intelligenteste, aber auch der Skrupelloseste von allen. Der würde ganz sicher das Problem lösen können, er wird ihm einen Anteil des Geldes anbieten, dann wird er kaum widerstehen können.

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      Alexander Finkel trifft mit seinem Wohnmobil auf dem Stellplatz in Bremen ein. Er hält vor der Schranke und geht zum Häuschen des Platzwartes. Der Mann ist Ende fünfzig, sein kugelrunder Kopf ist mit wenigen, ehemals blonden Haaren bedeckt.

      „Entschuldigen Sie, das ist mein erster Besuch auf einem Stellplatz. Sind Sie so nett und erklären mir bitte, worauf ich achten muss?“

      „Schön, dass Sie sich unseren Platz als ersten ausgesucht haben“, sagt der Mann mit tiefer Stimme. „Warten Sie, ich komme gleich zu Ihnen, Sie können dann hinter mir herfahren.“

      Im Schritttempo fährt er hinter dem Fahrrad des Platzwartes her. Der Platz ist fast vollständig belegt, aber der Mann kennt jeden Zentimeter seines Areals. Schließlich hält er und zeigt auf einen Schotterplatz, der etwa sechs mal zwölf Meter groß ist. Noch etwas ungeschickt rangiert Alexander Finkel rückwärts, er muss zweimal neu ansetzen, dann steht das Mobil, wo es stehen soll.

      Der Platzwart steht draußen und mustert ihn neugierig. „Das klappt doch ganz gut, ist es wirklich das erste Mal?“ Er erklärt die Anschlüsse am Stellplatz. Frischwasser, Grauwasser und Strom sind an jedem Platz vorhanden. Ein Blick auf das Dach des Wohnmobils zeigt ihm, dass sein neuer Gast von dem zur Verfügung gestelltem Satellitensignal keinen Gebrauch machen wird. „Ein schönes Fahrzeug haben Sie da, das sieht man nicht alle Tage.“

      Alexander Finkel erfährt, dass es einen Brötchenservice gibt. Außerdem bietet eine kleine Gaststätte einige Speisen an, sodass er sich vorerst nicht mit dem Kochen abplagen muss. Für den Zweck müsste er sich ohnehin erst mit ein paar Vorräten versorgen.

      „Wie lange wollen Sie bleiben?“, unterbricht der tiefe Bass des Platzwartes seine Gedanken.

      „Äh, ich habe noch keine Idee. Was ich bis jetzt sehe, gefällt mir gut – vielleicht ein paar Tage.“

      „Sehr gut. Soll ich Sie für Brötchen vormerken?“

      „Ja – das heißt nein. Ich müsste mir erst Lebensmittel besorgen.“

      „Da kann ich Ihnen einen Tipp geben. Auf der anderen Seite des Werdersees ist direkt hinter der Brücke ein Lebensmittelhändler, den können Sie gut zu Fuß oder noch besser mit dem Fahrrad erreichen. Sonst können Sie im Lokal hier gegenüber auch ein Frühstück bekommen. Sagen Sie mir bis um sieben, wie Sie sich entschieden haben.“

      Es ist jetzt kurz nach 16 Uhr, sodass sich Alexander entschließt, den Weg zum Lebensmittelhändler zu Fuß zurückzulegen. Wenn er zurück ist, wird er sich mit der Kapselmaschine für den Kaffee auseinandersetzen.

      Der Händler erweist sich als echter Geheimtipp. Er ist türkischer Herkunft, aber in der Nähe von Bremen geboren, seine Sprache weist den schwachen Bremer Dialekt auf. Alexander hat festgestellt, dass er keine Lebensmittel hat. Das Wohnmobil ist zwar komplett ausgerüstet, aber das Einzige, was sich im Kühlschrank befindet, ist eine Flasche Sekt, ein Geschenk des Händlers. Er braucht praktisch alles: Margarine, Marmelade, Aufschnitt, Käse, ein bisschen Obst. Nicht zu vergessen Müllbeutel für den Abfalleimer. Die Kapseln für die Kaffeemaschine gehören ebenfalls dazu. So wird die Menge an Waren erheblich größer, als er es geplant hat. „Sagen Sie, ist es möglich, dass Sie mir den Einkauf zum Stellplatz bringen?“

      Der Händler mit den tiefschwarzen Haaren nickt. „Klar, wohin Sie möchten. Für zehn Euro bringe ich Ihnen die Ware fast überall hin.“

      „Danke, können Sie die Sachen im Büro des Wohnmobilstellplatzes auf dem Weser-Werder abgeben?“

      Alexander ist der Fußweg wider Erwarten schwergefallen, einmal musste er sich setzen, weil ihn ein Schwächeanfall gepackt hat, sein Arzt hat ihm gesagt, dass so was passieren könnte. Er ist froh, dass er nicht auch noch den Einkauf tragen muss.

      In der Nacht schläft er erstaunlich gut, am Morgen wird er von ein paar Stimmen aus der Nachbarschaft geweckt. Alexander steht auf und betritt die Waschkabine in seinem Mobil. Er hat fließend warmes Wasser und eine Dusche in einer kleinen Kabine, das ist sehr komfortabel. Am Außenspiegel hängt eine Tüte mit zwei Brötchen und auf seinen Wunsch eine Ausgabe des Weser Kuriers. Wenig später blubbert der Kapselautomat und braut einen wohlschmeckenden Kaffee. Die Brötchen sind frisch, was will man mehr? Er lehnt sich in die bequemen Polster zurück und denkt, wie gut er es hat. Wie so oft, wenn er sich wohlfühlt, fällt ihm jäh seine Krankheit ein. Angst überfällt ihn, er spürt sie fast körperlich. Er schließt die Augen und bemüht sich mit Autosuggestion, die Attacke einzudämmen: Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen.

      Allmählich geht es ihm besser. Die Sache mit der Ablenkung hat geklappt. Er war so beschäftigt mit dem Wohnmobil und dem Leben darin, dass er tatsächlich nicht über seine Situation nachgedacht hat. Aber ewig klappt das natürlich nicht. Alexander seufzt und macht Pläne für den heutigen Tag. In Bremen ist er noch nie gewesen. Er ist nur auf der Autobahn mitunter daran vorbeigefahren. Heute will er sich das Zentrum ansehen, unter anderem das Rathaus und die Plastik der Bremer Stadtmusikanten. Er wird es ohne Fahrrad versuchen, nur zu Fuß, auf das Fahrrad müsste er in der Stadt ständig aufpassen und es überall anschließen. Bis in die Innenstadt sind etwa zwei Kilometer, wenn er langsam geht, müsste er es schaffen. Von dem Werder, auf dem sich der Stellplatz befindet, führt die Sielwallfähre zum Osterdeich hinüber, von dort kann man entspannt an der Weser entlanggehen.

      Die Besichtigung der Innenstadt war ein voller Erfolg. Alexander hat mit der Handykamera einige Fotos aufgenommen. Für den Rückweg will er eine andere Strecke wählen. Auf der Weser fahren Fahrgastschiffe, die einen Liniendienst abdecken. Er muss warten, die weißen Schiffe fahren nur stündlich.

      In unmittelbarer Nähe zum Stellplatz gibt es ein Restaurant, den Kuhhirten. Da er keine Lust verspürt, zum Abend in seiner Küche zu werkeln, lässt er sich dort verwöhnen. Rundherum gesättigt und von zwei Gläsern Wein etwas beschwipst, fällt er in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

      Als er am nächsten Morgen erwacht, herrscht auf dem Stellplatz das typische, entspannte Treiben, die Wohnmobilfahrer stehen in Gruppen beisammen und unterhalten sich, auf dem Weg sieht er jemanden mit einer Toilettenkassette auf einer kleinen Sackkarre in Richtung Fäkalienentsorgung verschwinden. Jetzt fährt ein weißes Wohnmobil mit blauem Dekor leise brummend an seinem Platz vorbei der Ausfahrt zu, auf zu neuen Abenteuern.

      Das Frühstück ist perfekt, die Brötchen schmecken. Anschließend richtet er sein Bett und nimmt sich dann die Zeitung vor.

      Ein Blick aus dem Fenster neben dem Tisch zeigt ihm zwei Männer, die sein Gefährt offenbar fachmännisch begutachten. Er legt die Zeitung beiseite und tritt auf der kleinen, ausfahrbaren Treppe nach draußen.

      „Ah, da ist ja endlich der Besitzer dieses schönen Fahrzeuges!“, tönt ihm eine tiefe Stimme entgegen. Es sind ein älterer Herr und ein ebenso alter Begleiter. Sie stellen sich als seine Nachbarn vor. „Es tut mir leid, wenn wir Sie gestört haben, aber so ein Mobil, wie Sie es haben, sieht man nicht alle Tage.“

      „Ich freue mich, dass ich offenbar die richtige Wahl getroffen habe beziehungsweise gut beraten worden bin.“

      „Dazu kann man Ihnen gratulieren. Es scheint auch ganz neu zu sein, oder?“

      „Ja, ich habe es erst seit zwei Tagen.“

      „Du meine Güte, zwei Tage! Das muss ja begossen werden.“

      Alexander zuckt zusammen, diese Art Geselligkeiten sind nie sein Ding gewesen. Wäre er bloß nicht aus dem Wagen gekommen – dann erinnert er sich an seinen Vorsatz, sich mit seinen Mitbürgern zu vertragen und auch Kontakte zu suchen und zu pflegen. „Schön, ein sehr guter Vorschlag. Ich lade Sie jetzt


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