Mord mit Absicht. Peter Eckmann
mag das wohl sein?“
Max’ Gesichtsausdruck dagegen wandelt sich von Freude zu Staunen, dann zu Sorge, je länger er auf den Haufen Geld blickt. „Da stimmt was nicht“, sagt er ernst. „Ich habe 50 000 erwartet, vielleicht 100 000, aber so viel? Da ist was faul.“
„Faul? Wieso faul? Freu dich doch, Onkel Max, wir sind reich!“ Er stellt sich hin und wirft ein paar Scheine in die Luft. „Wir sind Millionäre!“ Er lacht laut und hopst im Zimmer herum. Martin amüsiert sich über seinen Freund.
Doch sein Onkel mag sich nicht freuen, er hat ein mulmiges Gefühl bei dieser Menge Geld. „Da stimmt etwas nicht“, wiederholt er. „Lasst uns das Geld zählen, dann sehen wir weiter.“
„Ja! Wir wollen jetzt wissen, wie viel es ist!“, ruft Christoph.
„Gut, du zählst die Fünfziger. Martin, du die Hunderter und ich die Zweihunderter. Ich hole schon mal den Kaffee aus der Küche, ihr macht Platz auf dem Tisch.“
Vier Stunden später ist das Geld gezählt. Es sind etwa viertausend 50-Euro-Scheine, etwa achttausend 100-Euro-Scheine und etwa fünftausend 500-Euro-Scheine. Max hat auf einem Zettel Buch geführt und zählt es jetzt zusammen. „Es sind – wenn ihr euch nicht vertan habt – 3 498 200 Euro.“
Stille tritt ein. Dann springt Martin auf, reißt die Arme hoch und jubelt. „Das sind für jeden von uns über eine Million! Jaaa!“
„Ja!“, stimmt sein Freund ein. „Wir sind reich!“ Die beiden springen auf und führen einen Freudentanz in der kleinen Stube auf.
Nur Max sitzt versteinert da, erst recht, seitdem er die Summe kennt.
„Das ist viel zu viel, das ist oberfaul.“
„Spinnst du, das ist doch genau die richtige Menge, wir brauchen nie wieder zu arbeiten, nie wieder!“
„Sachte, sachte.“ Max versucht, die Freude seiner Jungs zu dämpfen. „Mit der Kohle stimmt was nicht. Warum ist in einer verschlafenen Bank so viel Geld?“
„Onkel Max, du bist eine alte Unke. Warum sollen wir nicht auch einmal Glück haben?“ Martin ist selig, vor seinem inneren Auge sieht er sich bereits mit einem Sportwagen umherfahren.
„Nein, nein, hört doch, wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Am besten ist, ich verwahre das Geld, bis wir wissen, ob es sauber ist.“
Die gute Laune der beiden Jungs bricht in sich zusammen. Christoph überlegt kurz, ob er protestieren soll, aber Onkel Max ist klar der Klügste von ihnen, sie sollten sich besser auf sein Gespür verlassen. Der hebt die Hände. „Ganz ruhig jetzt, Jungs. Ihr bekommt jeder 2 000 Euro, das muss so lange reichen, bis wir mehr wissen.“
Widerstrebend folgen die beiden dem Ratschlag des erfahrenen Gauners, 2 000 Euro sind besser als nichts. Auf jeden Fall mehr, als sie vor dem Überfall hatten.
In der Freitag-Ausgabe der lokalen Zeitung steht ein ausführlicher Bericht über den Banküberfall. Maximilian Krämer studiert sorgfältig jeden Satz. Ein Interview mit einem Bankangestellten ist auch dabei. Da steht es:
»Die Gauner erbeuteten eine Summe von 85 000 Euro.«
Max erstarrt, seine Befürchtungen haben sich bestätigt, er hat es doch gewusst! Die Bank hat den Verlust des Koffers nicht gemeldet. Es muss sich bei der Riesensumme um heißes Geld handeln. Er hält die albanische Mafia oder eine ähnliche Verbrecherorganisation für den Besitzer des Geldes, das wahrscheinlich aus Drogenhandel oder Prostitution stammt. Niemand sonst versteckt so viel Geld in einer kleinen Kehdinger Sparkasse.
Scheiße!
Er erhebt sich schwerfällig von seinem Sessel und geht ins Schlafzimmer. Hinter dem Bett steht der Pilotenkoffer mit dem Geld. Er zieht ihn hervor, öffnet den Deckel und sieht trübsinnig auf das viele Geld. Irgendwie kommt ihm der Koffer bekannt vor. Pilotenkoffer werden des Öfteren von Geldtransportunternehmen verwendet, vielleicht stammt dieser aus so einer Lieferung. Und die haben mitunter einen GPS-Sender in ihren Koffern versteckt. GPS-Sender!
Verdammt! Warum ist er nicht früher darauf gekommen? Hektisch schüttet er das Geld aufs Bett und durchsucht jeden Winkel des Koffers. Er hat je eine Außentasche an den Stirnseiten und eine große an einer Längsseite, die sind leer. Er dreht den Koffer auf den Kopf und sucht den Boden ab. Sein Gefühl hat ihn nicht getäuscht, im Boden ist eine Tasche eingearbeitet! Er holt ein Messer und öffnet mit zitternden Fingern das kleine Fach. Tatsächlich! Es befindet sich eine schwarze Schachtel darin, auf den ersten Blick sieht sie aus wie ein Handy. Es fehlt allerdings die Tastatur, stattdessen steht „GPS Monitoring System“ auf dem kleinen Deckel. An der Stirnseite sind zwei Schalter und eine langsam blinkende, grüne LED.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ Max springt auf und lässt das Gerät wie eine heiße Kartoffel fallen. Doch dann greift er wieder danach und fummelt daran herum. Er entdeckt ein paar Schrauben, hetzt zu der Schublade mit dem Werkzeug, schnappt sich einen Schraubendreher und dreht sie mit zitternden Fingern heraus. Unter einem Deckel kommt eine Batterie zum Vorschein. Er hebelt sie mit dem Schraubenzieher heraus und reißt das Kabel ab. Mit blassem Gesicht und flauem Gefühl im Magen sinkt er auf das Bett. Verdammt! Seine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Vielleicht sind die Killer eines Verbrecher syndikates schon auf der Suche nach ihnen, oder wissen bereits – dank des GPS Senders – wo sie suchen müssen!
Das Geld muss weg! Niemand darf irgendetwas finden! Sorgfältig verstaut er das Geld wieder im Koffer, jeden einzelnen Schein legt er zurück. Wohin damit? Hier kann es auf keinen Fall bleiben. Was macht man mit so viel Geld? Man kann damit nicht einfach zur Bank gehen und sagen: „Hier bitte, ich möchte etwas einzahlen.“ Dann kann er gleich zur Polizei gehen. Auf jeden Fall weit weg damit, nur weg. Vielleicht nach Hamburg? Dort könnte er später Teile des Geldes auf diverse Banken verteilen.
Er macht sich mit seinem Ford Fiesta auf den Weg, der hat zwar schon über fünfzehn Jahre auf dem Buckel, läuft aber noch ganz ordentlich. Er stellt die Tasche auf den Rücksitz und fährt los. Sein Ziel sind die Gepäckschließfächer im Hamburger Hauptbahnhof.
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Alexander Finkel sitzt im ICE von München nach Hamburg. Fast lautlos fliegt der weiße Zug dahin, eben hat er in Hannover gehalten, der nächste Halt wird in etwa einer Stunde in Hamburg-Harburg sein. Zum Hauptbahnhof sind es dann nur noch wenige Minuten.
Eine Stunde – das ist vielleicht ein Viertausendstel der Zeit, die er noch zu leben hat. Immer wieder muss er daran denken, er kann nicht anders. Es ist die Diagnose, die man ihm vor zwei Monaten im Universitätsklinikum Eppendorf mitgeteilt hat. Er hat es wortwörtlich im Ohr, ein boshafter Mechanismus hat es gespeichert und spielt es nun immer wieder ab.
„Herr Finkel, wir müssen Ihnen leider sagen, dass die Zeit, die Sie noch leben werden, begrenzt ist. Es könnten ein paar Monate sein, vielleicht ein halbes Jahr. Mit etwas Glück wird es vielleicht ein Jahr – aber Kopf hoch, die Medizin ist nicht allwissend, auch spontane, unerwartete Heilungen sind schon vorgekommen.“
Na, prima. Nun sitzt er hier im Zug nach Hamburg und die Zeit rinnt ihm durch die Finger. Er ist zwei Tage bei seinem Verleger in München gewesen und hat alle Verträge aufheben lassen, da er die Schriftstellerei nach vierzehn Jahren sehr erfolgreicher Arbeit beenden wird. Sein schleichender Lymphdrüsenkrebs – die Ärzte nennen es Hodgkin-Lymphom im Stadium 2B, das bedeutet mit Nebenwirkungen – lässt ihm zum Schreiben nicht die erforderliche Ruhe. Immer muss er an seinen Tod denken, da ist kein Platz für ausgefeilte Schreibarbeit. Wie wird sein Ende werden? Wird er mit Morphium die Schmerzen unterdrücken müssen? Bis jetzt ist es gut auszuhalten, die immer wieder auftretenden Schwächeanfälle sind bisher das einzige Problem. Gewicht hat er verloren. Bei einer Größe von 1,80 Meter wiegt er jetzt noch 65 Kilogramm, das ist eindeutig zu wenig. Wie an einer Vogelscheuche hängt die teure Kleidung an seiner klapperdürren Gestalt herab.
Ihm gegenüber sitzt ein Ehepaar mit einer Tochter, vielleicht acht Jahre alt. Immer wieder sieht die Kleine zu ihm herüber.