Der Schlüssel zu unserem Leben. Benita Jochim

Der Schlüssel zu unserem Leben - Benita Jochim


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verdrehte die Augen. Sehr nett. Wirklich sehr nett.

      „Okay, weißt du was? Während du dich hier weiter kaputtlachst, gehe ich nach Hause.“ Damit packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg.

      „Und unser Kaffee?“, rief mir Kayla hinterher.

      Es war nicht besonders nett von mir, meine beste Freundin einfach stehen zu lassen, zumal wir eigentlich noch etwas zusammen trinken wollten, aber mir war die Lust auf einen Kaffee vergangen.

      „Sorry“, war meine beleidigte Antwort darauf. Kayla sah mir etwas verletzt hinterher und prompt meldete sich mein schlechtes Gewissen. Egal, ich würde mich später bei ihr entschuldigen.

      Als ich bei Ezra ankam, saß er auf dem Sofa und blätterte in der Tageszeitung.

      „Hallo Bruderherz“, begrüßte ich ihn.

      „Hi Prinzessin“, antwortete er und lugte über den Rand der Zeitung zu mir. „Wie war die Probe?“

      „Ganz gut. Warst du schon draußen?“ Sein Kopf verschwand wieder hinter dem Zeitungspapier und ich wusste, dass er noch nicht an der Luft gewesen war. Ungestüm riss ich ihm seine Lektüre weg und stemmte meine Hände in die Hüften. „Dann gehen wir jetzt raus“, entschied ich.

      „Ich war draußen“, versuchte er sich zu verteidigen.

      „Ist klar. Aber warte ... ich hab eine bessere Idee. Wie wäre es, wenn wir heute Abend ausgehen würden? Und morgen fangen wir dann mit der Liste an.“

      „Meinetwegen“, brummte er beleidigt.

      Ich lächelte triumphierend.

      Kurze Zeit später hatte ich mich mit Kayla und Jeremy in einem Pub verabredet. Ich setzte mich neben meinen Bruder und schaute ihn an. Als er seinen Blick schließlich von seinem Mineralwasser abwandte und mir seine Aufmerksamkeit schenkte, lächelte ich ihn aufmuntern an. „Ich steh immer hinter dir, und wenn wir zusammenhalten, können wir alles schaffen.“

      Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. „Ich weiß. Und dafür bin ich dir unendlich dankbar. Aber ... vielleicht will ich gar nicht mehr so weitermachen wie bisher. Alles war immer so perfekt und nun stimmt nichts mehr. Es ist so viel passiert. Ich kann nicht mehr. Ich weiß, dass wir im Krankenhaus schon darüber gesprochen haben, aber gerade fühle ich mich einfach nur leer. Einsam. Ich sehe keinen Sinn im Leben.“

      „Ach, Bruderherz. Wenn man todkrank ist, gibt es immer wieder Zeitpunkte, an denen man nicht mehr kämpfen will oder gar am liebsten schon tot wäre. Aber du hast noch ein ganzes Jahr. Ein ganzes Jahr voller Liebe und Freude liegt noch vor dir. Du hast Mum, Dad, Kayla, Jeremy und mich. Du wirst niemals alleine sein. Außerdem gibt es immer irgendetwas, wofür man leben oder kämpfen kann.“ Ich fasste ihm ins Haar und zog daran, wie ich es als kleines Kind immer getan hatte. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen.

      Das Gespräch war beendet, trotzdem saßen wir noch eine Weile so da und schauten uns stumm an. Manchmal sagten Blicke einfach mehr als tausend Worte.

      Pünktlich standen Ezra und ich vor dem Eingang des Pubs und warteten auf die Spätzünder. Die Zeit schien nicht der beste Freund der beiden zu sein. Fast immer kamen sie zu spät. Nach zehn Minuten hörte ich das schnelle Klackern von Stöckelschuhen auf dem Asphalt und wusste sofort, dass es zu Kayla gehörte. Eilig trippelte sie um die Ecke. Die Haare fielen ihr wirr ins Gesicht und ihre Mascara war an einem Auge ein wenig verwischt. Ihre Jacke hatte sie sich über den Arm gelegt, und als kurz darauf Jeremy in meinem Blickfeld auftauchte, stellte ich fest, dass er ebenfalls einen gehetzten Eindruck machte.

      „Tut mir so leid, Süße. Wir hatten vor, pünktlich zu kommen.“ Sie umarmte mich flüchtig und hauchte Ezra Küsse auf beide Wangen. „Wie geht es dir?“, fragte sie ihn. Ich war in diesem Moment uninteressant.

      „Besser. Danke der Nachfrage.“

      Sie lächelte und wandte sich an mich, so als ob sie erwartete, etwas Bestimmtes von mir zu hören.

      „Es tut mir leid, dass ich vorhin so blöd zu dir war. Es war nicht böse gemeint“, verkündete ich artig.

      Kayla winkte ab. „Ach, Schwamm drüber.“

      Jeremy umarmte zuerst mich und dann meinen Bruder.

      „Besser spät als nie“, meinte Ezra beiläufig, während wir das Pub betraten.

      Kayla stimmte ihm zu und sofort herrschte eine wohlige Atmosphäre. Wir ließen uns auf vier freien Stühlen direkt an der Bar nieder und meine beste Freundin begann sofort, mit Ezra über irgendetwas zu diskutieren. Es ging um Politik. Nicht gerade mein Spezialgebiet, weswegen ich mich in der Zwischenzeit mit Jeremy unterhielt.

      „Kayla hat mir von der Liste erzählt, die du gefunden hast. Ich wollte dir nur sagen, dass wir euch gerne zur Verfügung stehen, wenn ihr Hilfe benötigen solltet.“ Ich dankte ihm aufrichtig.

      Ezra bestellte sich auf meine Anordnung hin ein Wasser und ich mir eine Cola. Kayla war für etwas Härteres und orderte einen Caipirinha, Jeremy hingegen wollte einen Apfelsaft. Die Zeit verging wie im Flug und nach fünf weiteren Wodkagläsern seitens Kayla beschlossen wir, für heute Schluss zu machen. Es kam mir wie eine Erlösung vor, die frische Nachtluft einzuatmen, nachdem im Pub der Geruch von Alkohol und Schweiß alles verpestet hatte. Auch Ezra fühlte sich befreiter.

      Kayla hielt sich an Jeremy fest und lachte wegen eines vorbeifahrenden Autos. „Hast du das gesehen? Das war hinten am Kofferraum total kaputt.“ Sie lachte und keiner verstand, was daran so lustig sein sollte.

      „Ich wünsch dir noch viel Spaß“, meinte Ezra zu Jeremy und deutete mit einer Kopfbewegung auf die immer noch kichernde Kayla.

      „Danke. Das wird morgen bestimmt einen Kater geben.“ Jeremy packte die betrunkene Freundin und führte sie vorsichtig zu seinem Auto, welches um die Ecke parkte.

      Als sie am Wagen ankamen, fing Kayla lautstark an zu singen. Schiefe Töne erklangen und auch der Text war an einigen Stellen falsch.

      „Schade, dass ich mein Handy nicht dabeihabe“, sagte ich zu Ezra gewandt, der nur lachend den Kopf schüttelte.

      Jeremy ließ Kayla auf den Beifahrersitz fallen und schnallte sie unter hohem Kraftaufwand an. Fröhlich winkte sie derweil den vorbeilaufenden Passanten zu, die mit gerunzelter Stirn ihr Tempo steigerten, um schnellstmöglich an ihr Ziel zu gelangen. Während Kayla unkontrolliert mit ihren Händen herumfuchtelte, bekam Jeremy des Öfteren einen Schlag ins Gesicht ab.

      Schließlich schwang sie ihre Arme im Takt der Musik, die aus dem Radio ertönte, ließ ihren Kopf nach vorne und hinten wippen und schrie durch die offene Autotür: „Queen Elizabeth lebe hoch! Ich liebe dich.“

      Peinlich berührt bemühte sich Jeremy, die Tür zuzuschlagen, und setzte sich anschließend erleichtert hinters Lenkrad. „Macht’s gut, ihr beiden. Ich melde mich morgen bei euch.“ Damit ließ er seinen Wagen aufheulen und brauste mit erhöhter Geschwindigkeit die Straße entlang.

      „Tja, dann machen wir uns wohl auch mal auf den Weg nach Hause“, sagte ich immer noch belustigt und Ezra nickte.

      Schweigsam bogen wir in eine Nebengasse ein und strebten Ezras Heim zu. Pfützen hatten sich an manchen Stellen auf dem Asphalt gesammelt und wir versuchten, ihnen geschickt auszuweichen. Dunkle Schatten zogen sich an den Hauswänden entlang und ließen mich öfter einen achtsamen Blick nach hinten werfen. Ich gruselte mich immer davor, durch die spärlich beleuchteten Nebenstraßen Londons zu wandern. Man hatte meist das ungute Gefühl, beobachtet zu werden, und bildete sich ein, dass sich die Schatten an der Wand bewegten. Ezra meinte immer, ich wäre paranoid, jedoch lag es einfach daran, dass ich zu viele Krimis und Thriller las.

      Ich schrie leise auf, als sich aus der Dunkelheit eine lumpige Gestalt auf uns zubewegte. Ezra stellte sich sofort schützend vor mich. Gebeugt humpelte die Person weiter ins Licht.

      „Haben Sie etwas Geld?“ Die Lumpen hingen dreckig und


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