Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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nicht gerade dazu bei, mich attraktiver wirken zu lassen, genauso wenig wie meine für Rothaarige typische schneeweiße Haut und die unzähligen Sommersprossen, die meinen Körper bedeckten. Höchstens meine strahlenden blauen Augen brachten mir Punkte bei den Männern ein, ach ja, und mein Charakter. Aber auf so was achteten Typen wie Chris wohl eher nicht. Deshalb hatten schöne Frauen es immer leichter bei Männern ‒ weil Letztere besser glotzen als denken konnten.

      „Hey, Chris, Baby!“

      Oh nein! Verdammt, warum hatte ich mich nicht längst aus dem Staub gemacht? Jetzt hatte ich die auch noch an der Backe!

      Olivia Muster, schön, sexy und blond, mit Brüsten so groß wie Wassermelonen und einem ausladenden Hintern tauchte plötzlich an Christophers Seite auf, schlang ihm einen Arm um die Taille und küsste ihn auf die Wange. „Baby, wo steckst du denn? Wir warten alle auf dich. Wir wollten doch auf diese total coole Party, weißt du nicht mehr? Von deinem Kumpel ... Simon? Du hast versprochen, mich mitzunehmen.“ Sie zog einen Schmollmund, was, zugegebenermaßen, recht niedlich aussah. Doch das täuschte, Olivia war kein Stück niedlich.

      Jetzt hatte sie mich entdeckt und sofort stahl sich dieser abfällige Ausdruck auf ihr Gesicht, sie wetzte schon die Messer und bleckte die Zähne wie eine Hyäne, um auf mich loszugehen.

      Leider war sie mit mir im Spanischunterricht gewesen und es hatte sie immer angekotzt, dass ich in diesem Fach so gut gewesen war, die Sprache quasi fließend sprechen konnte und in jeder Arbeit fünfzehn Punkte geschrieben hatte. „Streber“ und „Nerd“ waren noch die freundlichsten Ausdrücke gewesen, mit denen sie mich betitelt hatte. Ich nahm an, im Grunde ihres Herzens war sie einfach nur eifersüchtig, weil sie außer sehr wackeligen vier Punkten, also einer knappen Vier, nichts zustande brachte. Aber sie würde mich lynchen, wenn ich ihr das ins Gesicht sagte. Nichts hasste Olivia mehr als Leute, die in etwas besser waren als sie. Da war ich wohl ein gefundenes Fressen ...

      „He, Karottenfresse, was machst du denn hier? Musst du nicht mit deinen Spießereltern auf dein supertolles Streberzeugnis anstoßen? Sie sind sicher soooo stolz auf dich!“ Olivia verstellte dabei ihre Stimme, sodass sie schrill in meinem Kopf widerhallte. Karottenfresse war übrigens ihr bevorzugter Spitzname für mich, den Namen verdankte ich meiner roten Haarpracht, die sich im Übrigen ganz fürchterlich mit der Farbe meines Abschlussballkleids biss, nur um das mal anzumerken.

      „Das ist übrigens das Einzige, was du in deinem jämmerlichen Leben je erreichen wirst. Du denkst hoffentlich nicht ernsthaft, dass du was Besseres bist wegen des guten Abis? In ein paar Jahren sind das nur noch ein paar Zahlen auf einem Blatt Papier. Dann öffnen andere Dinge die Türen zu den ganz großen Posten ...“ Vielsagend reckte sie die Brust nach vorne, eine eindeutige Anspielung auf meine kaum vorhandene Oberweite. „Du wurdest als Versagerin geboren, Mädchen. Denkst du ehrlich, irgendjemand würde eine Vogelscheuche wie dich einstellen, in einer gehobenen Position? Gott, du würdest ja alle Kunden vergraulen.“

      Also, das reichte jetzt wirklich! Ich schluckte die überflüssige Spucke in meinem Mund hinunter, während mein Blick zu Chris hinüberhuschte. Der starrte mich nur an, als wäre ich der Prototyp einer neuen Spezies, die Hand hatte er locker auf Olivias Hintern geparkt und in seinen Augen konnte ich lesen, dass er ihre Meinung teilte ‒ mein lächerliches Zeugnis war nichts wert, an die wirklich großen Stellen würde ich sowieso nie kommen. Olivia würde sich hochschlafen, während ich mein Einserabitur vielleicht als Putzlumpen benutzen konnte, in meinem mies bezahlten Job als Putzfrau ...

      Moment mal, wo kam auf einmal dieser Gedanke her? Ich war stolz auf mein Abi und ich wusste, dass man heutzutage einen guten Abschluss brauchte, um es zu was zu bringen. Warum brachte diese Kuh mich nur immer so aus der Fassung?

      Zum Glück tauchte wie immer im richtigen Moment meine beste Freundin Kim an meiner Seite auf und hakte sich bei mir unter. „Ja, Olivia, du hast recht, die Leute werden sicher von dir begeistert sein ... von deinem Liebreiz, deiner Warmherzigkeit, deiner Charakterstärke ... mein Gott, du wirst sie umhauen, Mädchen! Wen schert’s später noch, dass du sowohl in Mathe als auch in Spanisch eine absolute Niete bist, dass du der deutschen Sprache nicht mächtig bist und schlechter Englisch sprichst als meine Großmutter? Wenn du mit deinem Brauereigaularsch wackelst, wird der Chef sicher großzügig darüber hinwegsehen.“

      Jawohl! Treffer, versenkt! Dankbar drückte ich Kims Arm.

      Olivias Augen sprühten Funken, blanker Hass lag darin. Sie konnte Kim auf den Tod nicht ausstehen und das beruhte auf absoluter Gegenseitigkeit. Die beiden kannten sich noch aus der Grundschule und waren früher mal Freundinnen gewesen. Dann kamen sie aufs Gymnasium, in unterschiedliche Klassen und Kim und ich lernten uns kennen. Zwischen uns war es Freundschaft auf den ersten Blick. Vom ersten Moment an wusste ich, dass ich ihr bedingungslos vertrauen, ihr alles erzählen konnte, ohne dass sie sich über mich lustig machte oder sich von mir abwandte. Kim und ich waren wie zwei Puzzlestücke, die zueinandergefunden hatten. Es passte einfach. Olivia hingegen sah unsere Freundschaft als Verrat an und erklärte Kim den Krieg.

      Unsere Klassen waren ebenfalls verfeindet gewesen, wir ‒ die 13a ‒ hatten uns mit der Klasse 13b gegen die 13c verbündet. Wir verabscheuten einander abgrundtief.

      „Halt deine Fresse, du blöde Schlampe“, fuhr Olivia auf und presste sich so fest an Chris, dass kein Blatt mehr zwischen sie gepasst hätte.

      „Oh, jetzt kommst du also mit Beleidigungen.“ Kim klang durch und durch spöttisch. „Toll! Wirklich sehr reif und sehr erwachsen.“

      „Ach, und du kommst dir wohl sehr erwachsen vor, du miese kleine ...“, setzte Olivia an, doch Chris schnitt ihr mit einem lauten Räuspern das Wort ab.

      „Eh, Babe“, sagte er mit schleppender Stimme, „ich hab voll keinen Bock jetzt auf ’nen Zickenkrieg, okay? So Weiberstreit ist doch scheiße. Außerdem ist’s mir echt zu blöd, hier noch länger rumzugammeln. Wir wollten doch zu Simon, oder?“

      „Ja, richtig.“ Olivia nickte zögernd und funkelte uns ein letztes Mal böse an, ehe sie sich von Chris fortziehen ließ. „Keine Ahnung, warum ich mich überhaupt mit solchen Losern abgebe.“

      Als die beiden in der Menge verschwunden waren, atmete ich erleichtert auf. Kim umarmte mich fest und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

      „Alles klar?“, fragte sie und ich nickte zögernd.

      „Ja, sicher, alles bestens. Danke für die Rettung, Kimmi.“

      „Gern geschehen.“ Sie grinste breit. „Du weißt doch, wie gerne ich die blöde Kuh unangespitzt in den Boden ramme. Wo warst du eigentlich so lange, wir wollten doch anstoßen.“

      „Ja“, ich hob mein volles Glas hoch, „richtig. Ich war noch eben auf der Toilette, bevor ich mir diesen Sekt hier besorgt habe, und dann bin ich leider mit diesem Chris zusammengestoßen, später kam noch die Kuh dazu ...“

      „Ach, was soll’s.“ Kim winkte ab. „Die Hauptsache ist doch, dass ich dich gefunden hab. Timo dachte schon, du bist verschollen.“

      Ich lächelte kurz beim Gedanken an Timo, meinen Freund. Ja, ich hatte wahrhaftig einen echten, richtigen Freund trotz roter Haare und wenig Oberweite. „Was sagst du jetzt, Olivia?“, triumphierte ich in Gedanken.

      Wir hatten sogar schon miteinander geschlafen, vor etwa neun Monaten hatte ich meine Jungfräulichkeit an ihn verloren. Meine Ohren begannen zu glühen beim Gedanken daran. Besser, ich schob ihn weit von mir, ehe ich mich vor den Augen aller noch in eine überreife Tomate verwandelte.

      „Deine Eltern sind entzückt, weil es in deinem Zeugnis von Einsern nur so wimmelt, und sie unterhalten sich gerade mit Herrn Feist über deine grandiose Zukunft.“

      „Oh nein.“ Ich verdrehte die Augen und nahm erst mal einen großen Schluck Sekt.

      Herr Feist war unser Klassenlehrer und er hörte sich gerne selbst reden. Stundenlang, ohne Unterbrechung. Wahrscheinlich flüsterte er meinen Eltern gerade ein, dass ich Medizin studieren sollte oder Jura ... Dass ich erst mal gar nicht studieren, sondern für ein Jahr


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