Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
tanzte eng umschlungen mit Timo zu romantischem Kuschelrock, hüpfte ausgelassen mit Kim und zwei weiteren Freundinnen, Patricia und Melanie, zu poppigen Countrysongs im Kreis herum und ließ mich einfach treiben ‒ von der Musik, der Stimmung, von dem Gefühl purer Freiheit. In dieser Nacht empfand ich reine, ungetrübte Lebensfreude.
„So sollte sich das Leben anfühlen“, dachte ich, als Timo mir einen pinkfarbenen Cocktail mit Schirmchen in die Hand drückte und meine Hand nahm. Das Prickeln auf der Haut, das Kribbeln im Kopf und der Drang, laut schreien zu wollen vor Glück. Ich nuckelte mit Hingabe an meinem Strohhalm, saugte das köstliche, fruchtige Getränk auf und lachte über irgendeinen Witz, den der Freund von Kim, Bastian, riss.
Timo legte den Arm um mich und trank einen Schluck Bier. „Bist du glücklich?“, raunte er mir ins Ohr.
Ich wandte mich ihm zu, legte eine Hand auf seine Wange und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Ich glaube, so glücklich war ich noch nie“, teilte ich ihm mit, korrigierte mich aber gleich darauf. „Oder doch, warte ... an dem Tag, an dem du mein Freund wurdest. Da war ich noch glücklicher als jetzt.“ Ich sah ihm in die Augen und beobachtete, wie sie vor Freude aufblitzten.
„Das war auch der schönste Tag meines Lebens“, ließ er mich wissen und küsste mich auf den Scheitel. „Ich liebe dich, Edda.“
„Und ich liebe dich, Timo“, sagte ich und hatte in meinem Leben noch nie etwas so ernst gemeint. „Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.“
Ich stellte meinen halb vollen Drink ab, warf ihm die Arme um den Hals und begann, ihn zu küssen. Er erwiderte den Kuss inbrünstig, leidenschaftlich und voller Verlangen. Ich musste lächeln.
Timo spürte das natürlich, ließ kurz von mir ab und sah mich fragend an. „Was?“
„Ach, nichts.“ Ich zog seinen Kopf wieder zu mir herab. „Ich musste nur gerade daran denken, was für ein unglaubliches Glück ich mit dir habe.“
Da lächelte auch er, hob mich hoch und wirbelte mich herum. „Und ich hab mit dir unverschämtes Glück“, verkündete er, während er mir durch die rote Mähne fuhr. „Du bist nämlich das schönste Mädchen auf dem Planeten mit einem goldenen Herzen und einem Hammercharakter. Ich liebe einfach alles an dir.“
Oh, er war so süß, mein Timo. Ich war wirklich froh und dankbar, dass ich ihn gefunden hatte, dass er mich und keine andere liebte. Ich wusste nicht, womit ich ihn verdient hatte, aber ich würde alles tun, um ihn zu halten, um für immer mit ihm zusammen zu sein. Der Gedanke, jemals ohne ihn zu sein, war unerträglich für mich. Er war meine große Liebe, daran zweifelte ich keine Sekunde. Und wenn man mit 18 seine große Liebe gefunden hatte, war das wirklich großartig. Man konnte sich die ganze Sucherei sparen, musste keine Panik schieben, dass man nie den Partner fürs Leben finden würde, musste nicht auf Ü-30-Partys gehen und sich mit Leuten herumschlagen, die an ihrem Expartner hingen, betrogen oder sonst irgendwie geschädigt worden waren. Sehr angenehm. Ich war mir sicher, dass Timo und ich irgendwann mal heiraten und entzückende Kinder kriegen würden, mit seinen zerzausten blonden Locken und meinen großen blauen Augen. Wie Engelchen würden sie aussehen, unsere Goldschätze.
In dieser Zukunftsversion gefangen, grinste ich völlig grenzdebil vor mich hin, kuschelte mich eng an Timo und schloss genießerisch die Augen, atmete seinen vertrauten männlichen Duft ein und konnte mir nicht vorstellen, dass es auf der ganzen Welt einen schöneren Platz gab als diesen hier. Stirn an Stirn wiegten wir uns zu einem besonders romantischen Song von Whitney Houston, danach lief Thriller von Michael Jackson und wir tanzten und grölten lautstark mit.
Plötzlich war Kim da, fasste nach meinen Händen und wir begannen uns im Kreis zu drehen, immer schneller und schneller, und alles um mich herum verschwamm, mir wurde schwindelig.
Kim kreischte übermütig, wirbelte in einer Pirouette unter meinem Arm hindurch. Ich kicherte, bis ich bemerkte, dass ich das Gleichgewicht verlor. Kims Hände entglitten mir, ich kreischte erschrocken auf, fiel nach hinten um ... und landete wohlbehalten in Timos Armen. Er stellte mich wieder auf die Beine, strich mir eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr und sah mich besorgt an. „Alles okay, Süße?“
„Ja, alles bestens“, keuchte ich und zupfte mein Kleid zurecht.
„Mensch, Kim“, gespielt vorwurfsvoll sah Timo meine beste Freundin an, „mach sie mir nicht kaputt, ich brauch sie noch.“
„Ach, die hält schon was aus.“ Wohlwollend tätschelte Kim ihm die Schulter. „Außerdem hat sie ja dich. Du fängst sie auf, wenn sie fällt.“
„Immer“, antwortete Timo sofort.
Später in dieser Nacht tanzten wir ausgelassen Polonaise, sangen lautstark mit und waren erneut froh, dass die Schülersprecher einen Park gemietet hatten, der weit genug von den Siedlungen entfernt lag, sodass sich niemand durch unsere Party gestört fühlte.
Um halb vier Uhr nachts beschloss ich, dass es für heute genug war. Meine Ohren dröhnten von der lauten Musik, mir war schwummrig von dem vielen Alkohol, den ich getrunken hatte, auch wenn ich zwischendurch immer mal wieder Pausen eingelegt und Wasser geschlürft hatte. Es gab Leute, die in weitaus schlechterer Verfassung waren und geradewegs auf einen Filmriss zusteuerten, das ahnte ich. Eben hatte ich Claudia Sauermann dabei erwischt, wie sie einem Kastanienbaum eine Liebeserklärung machte und der festen Überzeugung war, es handele sich um ihren heimlichen Schwarm Mario, der jedoch in den Büschen mit der Freundin seines besten Freundes rumknutschte.
Jener wiederum hatte wohl dank des Alkoholkonsums festgestellt, dass er eigentlich auf Jungs stand, denn ich hatte ihn vor gut zehn Minuten eng umschlungen mit Leon in einem anderen Gebüsch verschwinden sehen. Schon verrückt, was so alles passierte, wenn man betrunken war ...
Etwas abseits der noch immer feiernden Meute zückte ich mein Handy und rief meine Eltern an. Es handelte sich hierbei um mein allererstes Handy, das ich letztes Jahr zum Geburtstag bekommen hatte und das ganz praktisch war, wenn man hin und wieder von unterwegs aus jemanden anrufen musste. Manchmal schrieb ich auch eine SMS.
Meine Eltern und ich hatten vereinbart, dass ich sie anrufen solle, sobald die Party für mich zu Ende war, egal, wie spät es wäre. Einer von ihnen würde dann kommen, mich abholen und auch Kim, Timo und Bastian nach Hause bringen. In unserer Verfassung war keiner mehr in der Lage, Auto zu fahren.
Nach dem zweiten Klingeln hob Papa ab, er klang hellwach. „Schiller.“
„Hallo Papa“, meldete ich mich.
„Edda! Mensch, ist das schon spät, halb vier ... ist die Party denn vorbei?“
„Paps, ich bin 18“, erinnerte ich ihn und rollte mit den Augen. „Und nein, die Party ist noch nicht vorbei, aber für mich und die anderen schon. Ich muss ja morgen ... äh, heute auch noch essen gehen mit Oma und Opa und euch und so. Da dachte ich, es reicht jetzt.“
„Gute Entscheidung.“ Ich konnte das Bett am anderen Ende der Leitung quietschen hören, als Papa sich eilig erhob. „Pass auf, stellt euch schon mal raus, ja? Ich bin in zwanzig Minuten da und habe keine Lust, noch ewig zu warten. Also seid bitte pünktlich.“
„Ja, Paps, versprochen“, seufzte ich und legte auf. War ich schon mal unpünktlich gewesen? Nein. Ich war sogar immer zu früh da. Fünf Minuten vor der Zeit war die deutsche Pünktlichkeit.
Ich machte mich auf, um meine Freunde zusammenzusammeln, denn im Gegensatz zu mir kamen die immer zu spät. Kim aus Prinzip mindestens fünfzehn Minuten, Timo wegen schlechter Organisation mindestens zehn Minuten und Bastian aufgrund mangelhaften Erinnerungsvermögens mindestens fünfundvierzig Minuten. Man gewöhnte sich dran, immer auf alle warten zu müssen. Ich nahm mir inzwischen schon immer ein Buch mit. Einmal hatte ich wahrhaftig einen halben Roman gelesen, während ich mir die Beine in den Bauch gestanden und auf Kim und Bastian gewartet hatte.
Diese beiden waren in dem Partygetümmel schnell gefunden, nämlich eng umschlungen mitten auf der Tanzfläche und knutschend. Ich drängte mich zu ihnen durch und tippte Kim so lange energisch