Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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noch Lust auf Smalltalk. Das hatte ich sowieso schon immer bescheuert gefunden, dieses Gequatsche über nichts, Gerede, nur damit man was zu sagen hatte. Unnötig, vor allem, wenn man sich mit Leuten unterhielt, die betrunken waren. Die erinnerten sich am nächsten Morgen ohnehin an nichts mehr.

      „Oh.“ Hanna sah überrascht aus. „So hätte ich dich gar nicht eingeschätzt.“

      „Wie?“, fragte ich lauernd.

      „Na ja“, Hanna rang die Hände, wirkte verlegen, „so abenteuerlustig und weltoffen. Ich hätte angenommen, du bereitest dich die ganzen Ferien über auf die Uni vor, und dann gehst du hin und ziehst dein Studium durch.“

      Aha. Das war ich also in den Augen aller. Eine langweilige, eingestaubte Streberin, die sich die ganzen Ferien über verkroch und paukte. Na super!

      „Nein, nein“, widersprach ich und fühlte mich unbehaglich, „ich werde mir erst mal die Welt ansehen.“

      „Wie schön.“ Hanna lächelte erst mich, dann Timo breit an. „Werdet ihr zusammen reisen?“

      Ich blinzelte verdutzt. Wieso zusammen? „Nein, ich werde alleine reisen“, erklärte ich unsicher, „ich hab das schon vor Monaten geplant. Im September fliege ich nach Südafrika, da wirke ich an einem sozialen Projekt mit für sechs Monate. Anschließend häng ich noch vier bis fünf Monate Neuseeland hinten dran, dort mach ich Work-and-Travel und lerne Land und Leute kennen.“ Träumerisch lächelnd blickte ich auf einen kleinen roten Fleck auf Hannas weißem Kleid, stellte mir vor, ich wäre schon in Kapstadt oder Neuseeland oder wo auch immer es mich hin verschlagen würde. Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel, eine Veränderung, was Neues.

      „Ach so“, Hanna lächelte verunsichert, „klingt spannend. Aufregend, nach einem Abenteuer. Ich werde für ein Jahr nach Südamerika gehen, habe ich beschlossen. Ich denke, man sollte was von der Welt sehen, solange man jung ist. Später, wenn man einen Job, einen Mann, Kinder und tausend Verpflichtungen hat, kann man das wohl vergessen.“

      Ich nickte zustimmend. Genau deshalb würde ich auch jetzt gehen, solange ich noch frei und ungebunden war. Timo und ich hatten schon besprochen, wie es mit uns als Paar weitergehen sollte. Während ich ein Jahr auf Reisen wäre und er ein Jahr durch Deutschland tourte, würden wir zusammenbleiben und einander die Treue halten. Und wenn wir anschließend beide wieder hier in Köln zusammentrafen, würden wir uns um Studienplätze in derselben Stadt bewerben, zusammenziehen und dann ... ja, dann würden wir weitersehen.

      Bis eben noch war mir das wie ein großartiger Plan vorgekommen, doch nun stellte ich mir die Frage, was wäre, wenn sich die Gefühle innerhalb des einen Jahrs der Trennung grundlegend ändern würden. Also, nicht meine, sondern Timos. Was, wenn er ein anderes Mädchen kennenlernte, das ihm besser gefiel als ich? Was, wenn er in dem Jahr merkte, dass ich gar nicht so besonders war, wie er immer angenommen hatte? Was, wenn er einem Mädchen begegnete, das ihn umhaute, das ihn vergessen ließ, dass es irgendwo da draußen auch noch mich gab?

      Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus, ich bekam Gänsehaut.

      „Tja, und ich sehe mir die Großstädte Deutschlands an“, erzählte Timo Hanna gerade und sie lächelte begeistert.

      „Klingt auch sehr spannend. Du musst mir auf jeden Fall schreiben, wo du gerade steckst, ja? Am besten schickst du eine Karte. Und du auch, Edda, ja?“ Sie lächelte mir zu, ich lächelte verkniffen zurück.

      Meine Mundwinkel zuckten, es fiel mir schwer, das Lächeln im Gesicht zu halten. „Timo, wir müssen los“, sagte ich, meine Stimme klang fremd, tonlos. „Mein Vater holt uns gleich ab, ich glaube, er wartet sogar schon draußen.“

      „Oh, okay.“ Timo wirkte enttäuscht. Etwa weil er sich schon von seiner Hanna trennen musste?

      „Hör auf rumzuspinnen!“, schalt ich mich in Gedanken und biss mir auf die Lippe. Ich benahm mich vollkommen lächerlich.

      „Also dann.“ Hanna und Timo umarmten sich noch mal innig, ich wandte so lange den Blick ab. „Edda, Süße, komm her, lass dich auch drücken.“ Hanna schlang ihre Arme um mich und hielt mich eine halbe Ewigkeit an sich gepresst, ehe sie mich auf die Wange küsste und lächelnd zurücktrat.

      Ich blinzelte verwirrt. Warum knutschte sie mich denn jetzt ab? Wir hatten nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt und jetzt ... wollte sie damit irgendwas bei Timo erreichen?

      „Wir bleiben in Kontakt, ja? Timo, du hast meine Handynummer, die kannst du gerne an Edda weitergeben. Also, wenn du willst, Edda.“

      „Ja, gerne“, erwiderte ich lahm.

      Timo griff nach meiner Hand. „Wir sollten deinen Pa nicht zu lange warten lassen, Schatz“, sagte er. „Tschüss, Hanna, mach’s gut. Hab eine schöne Zeit in Südamerika!“

      „Danke. Euch beiden auch ’ne tolle Zeit! Tschüss.“

      Damit bahnten wir uns einen Weg durch die Menge. Ich schwieg verletzt, Timo war damit beschäftigt, sämtlichen Kumpeln und Klassenkameraden noch ein letztes Mal zuzuwinken. Schließlich erreichten wir den Ausgang. Papas Mercedes parkte bereits vorm Maschendrahtzaun. Ich sah mich nach Bastian und Kim um. Waren sie schon eingestiegen?

      „Hey, alles in Ordnung mit dir?“ Timo legte den Arm um mich, blickte fragend auf mich hinab. „Du bist so still.“

      „Ich bin nur müde“, flunkerte ich und imitierte ein Gähnen, das er mir jedoch abkaufte.

      „Ja, ich auch. Ich könnte sogar auf einem Stein schlafen“, stimmte er mir zu. Wir näherten uns dem Auto und erleichtert erkannte ich, dass die beiden anderen schon drinsaßen. Kim hatte den Kopf an Bastians Schulter gelegt und schlummerte friedlich, er hatte die Augen ebenfalls halb geschlossen.

      Neidisch betrachtete ich die beiden ‒ sie liebten sich wirklich und wahrhaftig, kuschelten sich hier auf der Rückbank zusammen, während vor meinem inneren Auge das Bild von Hanna und Timo herumschwirrte.

      „Steig du vorne ein“, sagte Timo, löste sich von mir, öffnete die Hintertür und glitt geräuschlos neben Kim auf den Sitz. „Hi Peter“, begrüßte er meinen Vater.

      „Hallo Timo, altes Haus, na, wie geht’s, wie steht’s?“, fragte Papa und drehte sich zu ihm nach hinten. Mein Vater mochte Timo und meine Mutter liebte ihn geradezu. Liebevoll und neckisch nannte sie ihn Schwiegersohn, manchmal kam ich nach Hause und traf die beiden, Limonade trinkend und schwatzend, mit Sonnenbrillen auf den Nasen in den Liegestühlen an. Manchmal war ich geradezu eifersüchtig auf ihre Beziehung, was natürlich albern war.

      „Hallo Paps“, nuschelte ich, als ich mich neben ihn auf den Beifahrersitz fallen ließ.

      „Hey, Sonnenschein.“ Er drückte kurz meine Hand. „War’s eine gute Party? Aus Kim war nicht mehr viel rauszubekommen, sie hat Hallo gemurmelt und ist in den Dornröschenschlaf gefallen, ihr Freund gleich hinterher. Mich hat es nur gewundert, dass die zwei pünktlicher waren als du.“ Er startete den Motor.

      „Ja, wir wurden aufgehalten.“ Ich gähnte, mit einem Mal erfasste mich eine bleierne Müdigkeit, das Adrenalin, das während des Tanzens in meinen Adern pulsiert hatte, war aufgebraucht.

      „Die Party war gut“, berichtete Timo, während ich mich zurücklehnte und die Augen schloss.

      „Hallo Flocke.“ Ich kraulte unserer schlohweißen Hündin den Kopf. Sie bekam ihre Freude darüber, mich zu sehen, nur schwer wieder in den Griff.

      „Ich glaube, sie muss mal raus.“ Papa rieb sich die Augen und ließ den Autoschlüssel auf die Kommode im Flur fallen. „Kannst du sie noch kurz in den Garten lassen, Edda? Ich bin hundemüde, ich muss ins Bett. Ich bin zu alt, um so früh schon in der Gegend rumzugurken. Gott, gleich fünf ...“

      „Ja, Papa, mach ich“, sagte ich sofort bereitwillig, obwohl ich selbst todmüde war. Doch ich war ihm dankbar dafür, dass er uns mitten in der Nacht abgeholt hatte.

      „Nacht“,


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