Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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dich“, hatte sie gesäuselt. „Bitte, beruhige dich. Christopher und ich hatten nichts miteinander, ganz ehrlich. Ich liebe doch nur dich.“

      Aha, wir hatten also nichts miteinander, so, so.

      Dabei erinnerte ich mich noch deutlich daran, wie sie sich unter mir aufgebäumt hatte, wie sie gestöhnt und gekeucht hatte: „Ja, Chris, ja, ja, schneller, bitte, bitte, tiefer ...“

      Aber egal.

      „Du kannst deine kleine Hure behalten“, hatte ich dem Typen zugerufen, woraufhin er schon wieder ausgerastet war und gebrüllt hatte: „Beleidige noch mal meine Freundin und ich breche dir alle Knochen, du Missgeburt!“

      „Ich glaube, es wäre am besten, wenn du jetzt gehst“, hatte Simon entschieden gesagt und mich zur Balkontür rausgeworfen. „Ehrlich, Mann, mit Marco will ich keinen Stress.“ Hektisch hatte er umhergeblickt und mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. „Ich ruf dich an“, hatte er noch gerufen, dann war ich allein dagestanden und die Stille hatte in meinen Ohren gedröhnt.

      Und ich hatte immer gedacht, Simon und ich wären Freunde, echte Kumpel. Aber da hatte ich wohl voll danebengelegen.

      Zugedröhnt von irgendwelchen Partypillen und total betrunken war ich davongetorkelt, der Weg bis zum Haus dieses Mädchens fehlte in meiner Erinnerung, dann war ich irgendwie gestolpert und auf die Fresse gefallen. Irgendwann war sie schließlich erschienen und hatte mich vollgelabert. Hatten wir nicht sogar gestritten? Ach ja, und dann hatte sie meine Wunden versorgt, so was von liebevoll und sanft ... Beim Gedanken daran, wie sich ihre Finger auf meiner Haut angefühlt hatten, bekam ich ein warmes Gefühl im Magen und mir wurde heiß. Okay, ich sollte hier verschwinden, und zwar schleunigst.

      Hatte sie nicht einen Freund? Diesen komischen Surfertypen mit dem blonden Haar, den blauen Augen und diesem megabeknackten, selbstverliebten Lächeln im Gesicht? Timo oder so. Wenn der jetzt käme und uns so daliegen sähe, würde er das bestimmt nicht sonderlich witzig finden. Und ich war nicht in der Verfassung für einen Faustkampf, auch wenn ich diesen Hanswurst locker besiegt hätte. Aber allein beim Gedanken daran, mich zu prügeln, tat mein ganzer Körper weh. Wäre jetzt wohl keine gute Idee.

      Wie spät war es überhaupt? Ich sah suchend umher und entdeckte tatsächlich eine funktionierende Uhr an der Wand ‒ sie zeigte ein Bild vom Tower in London, außerdem verriet sie mir, dass wir halb elf hatten. Halb elf Uhr vormittags. Mann, da war ich aber früh aufgewacht. Was vermutlich mitunter an den hämmernden Kopfschmerzen lag, die mir schier den Schädel zu sprengen drohten, ebenso wie an meinem schmerzenden Auge und der Tatsache, dass ich weder auf der einen noch auf der anderen Gesichtshälfte liegen konnte, ohne dass es wehtat.

      Ich ließ meinen Blick umherschweifen und sah mir alles genau an. Ich war schon lange nicht mehr im Zimmer eines Mädchens gewesen, meistens nahm ich sie mit zu mir, weil mein Alter eh nie da war und ich immer sturmfrei hatte. Oder wir machten es im Auto, im Park oder auf irgendeiner Kaufhaustoilette ...

      Es war ein typisches Mädchenzimmer, schätzte ich. Ziemlich viel Rosa. An den Wänden hingen Poster von Michael Jackson und Madonna, King und Queen of Pop. In der Ecke stand eine Stereoanlage, daneben war ein Regal, in dem sich CDs türmten. Es gab ein aus allen Nähten platzendes Bücherregal, ein großes, eisernes Himmelbett, einen ordentlich aufgeräumten Schreibtisch sowie einen kleinen Glastisch mit einer Sitzgruppe aus dunklen Ledersesseln drumherum. Zwischen den Postern hingen vereinzelt Fotos von ihr Arm in Arm mit einem sehr schönen braunhaarigen Mädchen, vermutlich war das ihre beste Freundin. Sie schnitten entweder Grimassen, lächelten strahlend oder knutschten sich ab. Auch ihr Freund hing mehrfach an der Wand, dieser teiggesichtige Milchbubi. Ich fragte mich, was sie wohl an ihm fand.

      Der Kleiderschrank war, wie bei den meisten Mädels, riesig und ich hätte nur zu gerne mal einen Blick hineingeworfen. Anhand der Kleidung eines Mädchens konnte man jede Menge über den Charakter herausfinden und ich hätte eine Wette darauf abgeschlossen, dass sich in diesem Schrank nur züchtige Kleidungsstücke befanden. Knielange Röcke, geschlossene Oberteile, nichts, was zu viel Haut zeigte oder auf irgendeine Art und Weise aufreizend war.

      Aber wie auch immer, das Ganze hatte mich eigentlich nicht zu interessieren. Ich würde weder dieses Zimmer noch dieses Mädchen jemals wiedersehen. Denn wie mir nun wieder einfiel, war gestern die Abiturfeier gewesen. Ich hatte es geschafft, die Schulzeit lag hinter mir und ich konnte endlich ins richtige Leben starten. Das würde ich damit beginnen, erst mal nach meinem Ursprung zu suchen ‒ meiner Mutter, die abgehauen war, als ich zehn gewesen war, weil sie es nicht länger ertragen hatte, bei meinem Arschlochvater zu bleiben. Seit nunmehr neun Jahren wollte ich sie fragen, warum sie mich damals nicht mitgenommen hatte.

      Vorsichtig löste ich meine Finger aus ihren und zog den Arm unter ihr weg. Mit einem tiefen Seufzen sank sie auf das weiche Leder des Sofas, nach wie vor schlief sie tief und fest. Das sollte auch so bleiben.

      Ich kletterte so geräuschlos wie möglich von der Couch, mein Kopf fühlte sich zentnerschwer an. Ich trat auf einen am Boden liegenden Teddybären, neben dem ein wolliges Schäfchen lag und mich vorwurfsvoll ansah, als wäre es meine Schuld, dass es heute Nacht auf dem Boden hatte liegen müssen. Achselzuckend sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Fenster? Ich ging hin und sah hinaus. Äh ... nö. War zwar nicht arg hoch, aber ich hatte keine Lust, in einen Rosenbusch zu springen. Ich stand nicht so auf Schmerzen und die Wunden von gestern taten schon genug weh. Also musste ich wohl zur Tür raus. Aber sollte ich echt gehen, ohne wenigstens Danke zu sagen? Immerhin hatte sie mich bei sich aufgenommen, mich bei sich schlafen lassen, meine Wunden versorgt ...

      Auf dem Schreibtisch lag ein ganzer Haufen Papier und in einem lilafarbenen Becher steckten Stifte. Ich nahm mir eines der Blätter und einen grünen Filzstift, dachte kurz nach und schrieb dann:

      Hey Rotschopf,

      danke für diese Nacht, also fürs Bett und so. Und für deine Hilfe, das hätte nicht jede gemacht. Danke!

      Wenn du mal irgendwas brauchst oder ich mich revanchieren kann, ruf mich einfach an. Okay? Danke noch mal.

      Liebe Grüße

      Chris

      Ich kritzelte meine Nummer drunter und steckte die Kappe auf den Stift. So, jetzt konnte ich ruhigen Gewissens verschwinden. Blieb nur zu hoffen, dass sie mich nicht wirklich anrief. Nicht, dass sie sich noch in mich verliebt hatte oder so einen Mist. Das konnte ich echt nicht brauchen. Aber zur Not würde ich eben meine Nummer wechseln.

      Ich streckte gerade meine Hand nach der Türklinke aus, als diese heruntergedrückt wurde und die Tür aufging. Ich bekam sie fast an den Kopf, rettete mich mit einem Hechtsprung zur Seite und versteckte mich mit wild klopfendem Herzen hinter der Tür. Mann, das war knapp gewesen!

      Ich spähte um die Ecke und erblickte eine rothaarige Frau, wahrscheinlich die Mutter des Mädchens, dessen Namen ich noch nicht mal kannte, wie mir soeben auffiel. Sie hatte einen kurzen, flotten Bob, war schlank, modisch gekleidet in eine enge dunkle Röhrenjeans und ein figurbetontes weißes T-Shirt.

      Nun trat sie an die Couch, beugte sich hinab und redete mit sanfter Stimme auf ihre Tochter ein: „Edda, aufwachen! Schatz, komm, aufstehen! Ich weiß, es war lang gestern, aber wir gehen gleich zum Mittagessen. Komm, Sonnenschein, aufstehen.“

      Edda hieß sie also. Schöner Name.

      Ebendiese grummelte irgendwas, zuckte dann heftig zusammen und fuhr hoch, sodass auch ihre Mutter erschrocken zurückwich. Sie hatte beide Hände fest an die Brust gepresst.

      „Edda, um Himmels willen. Hab ich dich so erschreckt? Ich war extra vorsichtig. Du schaust ja, als hättest du ein Gespenst gesehen.“

      „Äh ... ich ...“, stotterte sie und tat mir in dem Moment richtig leid. Wahrscheinlich erinnerte sie sich gerade daran, dass sie heute Nacht nicht allein auf der Couch genächtigt hatte, und fragte sich jetzt panisch, wo ich wohl steckte. „Ich ... hab nur schlecht geträumt“, murmelte sie. Ich nahm eine Bewegung wahr, sie setzte sich wohl auf, hielt sich den Kopf und stöhnte leise. „Aua, scheiße. Diese verdammten Cocktails“, fluchte sie.


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