Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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ja“, ich senkte theatralisch die Stimme, sodass sie ganz rau klang, „irgendwie schon, oder? Ich meine, das, was du gemacht hast, tun Freunde normalerweise ... helfen, wenn Not am Mann ist.“

      Sie war rot geworden und die kleinen Härchen auf ihren Armen hatten sich aufgerichtet. Ha! Sie stand also doch irgendwie auf mich, fand mich zumindest anziehend. Auf irgendeine Art und Weise. Einen Moment lang war ich enttäuscht, hatte ich doch gedacht, sie wäre immun gegen meinen Charme und mein Aussehen und damit mal was Besonderes. Aber gut, was hatte ich von einem Mädchen wie ihr auch erwartet? Sie bekam sicher nicht jeden Tag die Gelegenheit, einem heißen Typen nah zu sein. Und wenn’s mal so war, verliebte sie sich natürlich augenblicklich. Okay, das reichte, ich musste hier weg. Sofort!

      „Also dann, Rotschopf.“ Ich zögerte kurz, bevor ich sie rasch umarmte, wobei ich für minimalen Körperkontakt sorgte. Sie duftete wirklich nicht gerade nach Blumenwiese, doch es war nicht schlimm. Ich wusste, dass ich auch nicht besser roch. „Mach’s gut, ja? Danke noch mal für alles.“

      „Äh, ja, okay. Gern geschehen ...“, stotterte sie und sah mich irritiert an, als ich mich wieder von ihr löste. „Pass auf dich auf ... Chris.“

      „Du auch auf dich“, sagte ich. Meine Güte, wir verabschiedeten uns, als wären wir seit hundert Jahren ein Paar und ich würde nun in den Krieg ziehen. „Tschüss, Rotschopf.“

      „Ich heiße Edda. Nur falls es dich interessiert. Christopher.“

      „Okay, hab’s kapiert.“ Gespielt resigniert hob ich die Hände und sie lachte glucksend. Sie hatte ein wirklich tolles Lachen, das wie Musik in meinen Ohren klang. Aber was spielte das noch für eine Rolle?

      „Gut.“ Sie lächelte befriedigt. „Soll ich dir helfen, dich sicher nach unten zu schleichen, ohne dass mein Vater dich erwischt und dich lyncht? Auf halbem Weg könnte ich dir auch noch eine Kopfschmerztablette geben.“

      Dieses Mädchen sah vielleicht aus wie Pumuckl, aber es war eindeutig ein Engel, auf die Erde gesandt, um meinen dröhnenden Kopfschmerzen Einhalt zu gebieten.

      „Das wäre nett von dir“, sagte ich nickend.

      Sie grinste. „Wie du gestern schon sagtest, Chris, ich bin nett.“

      Hatte ich das gesagt? Hm, dann stimmte es wohl. Betrunkene und Kinder sagten immer die Wahrheit.

      Wir schlichen wie die Indianer hinunter in die Küche, wo sie mir gleich zwei Kopfschmerztabletten und eine ganze Flasche Wasser überreichte.

      „Danke, Rotschopf.“ Ich legte den Kopf in den Nacken, schluckte die Tabletten und trank gierig das kalte, prickelnde Wasser. Erst als ich mit dem Trinken fertig war, bemerkte ich, dass sie mich ansah, als hätte sie sich gewünscht, dass ich an dem Wasser erstickte. „Was denn?“, fragte ich, während ich die Flasche zuschraubte.

      „Nenn mich nicht Rotschopf!“, fauchte sie verärgert. „Ich heiße Edda.“

      „Okay“, ich hob beide Hände, „kein Grund, sich so aufzuregen.“

      „Ich rege mich nicht auf“, schnaubte sie und zuckte leicht zusammen, als sie ein Poltern auf der Treppe hörte. „Mein Vater“, zischte sie. „Jetzt aber schnell!“

      Sie packte mich überraschend fest am Arm und schleifte mich durch den Flug zur Haustür, riss sie auf und schubste mich hinaus. Anschließend warf sie einen prüfenden Blick in den Flur.

      „Edda?“, vernahmen wir die Stimme ihres Vaters. „Bist du’s? Du kannst jetzt duschen, das Bad ist frei.“

      „Oh ja“, feixte ich und beschloss, sie noch ein letztes Mal zu ärgern, „das solltest du wirklich tun. Du riechst nämlich ein bisschen streng, Rotsch... äh, Edda.“

      Sie zeigte mir den Mittelfinger und sah nun ziemlich wütend aus. Zeit abzuhauen. „Verpiss dich, Waldoff“, brummte sie.

      Ich salutierte übertrieben, reichte ihr die Wasserflasche, drehte mich um und ging raschen Schrittes den sauberen, gepflasterten Weg entlang zum Gartentor.

      „Edda?“ Die Stimme des Vaters drang bis zu mir herüber, er musste schon fast an der Haustür sein.

      Gerade als ich das Gartentor öffnete, rief Edda mir noch zu: „Ach, Chris?“ Ein letztes Mal sah ich sie an. „Wenn du in den Spiegel schaust, erschrick nicht.“ Dann wandte sie den Kopf, brüllte: „Alles gut, Paps, war nur ein Zeuge Jehovas“, und knallte die Tür lauter als nötig zu. Lachend und kopfschüttelnd machte ich mich vom Acker. Eine kleine Irre, dieser Rotschopf.

      Mithilfe der öffentlichen Verkehrsmittel gelangte ich nach Hause, war froh, dass ich in der S-Bahn nicht beim Schwarzfahren erwischt wurde, und trabte trotz schmerzender Glieder die Straße entlang, in der mein Vater und ich lebten.

      In einer alle anderen Häuser überragenden, schmucken, sonnengelb gestrichenen Bonzenvilla hausten wir. Vor der Garage parkte die Bonzenkarre meines Vaters, ein roter, pfeilschneller Porsche, und daneben stand, ebenfalls nagelneu, mein silbermetallicfarbener Mercedes, den mein Alter hatte springen lassen, als er noch geglaubt hatte, sich mit teuren Geschenken meine Liebe erkaufen zu können. Vor einem halben Jahr etwa hatte er mir den Wagen hingestellt und ich war, so oft es ging, damit rumgedüst, um Fahrerfahrung zu sammeln und nicht alles zu verlernen. Damit ich, wenn es so weit war, abhauen konnte. Jetzt war es so weit, doch ich konnte nicht abhauen, weil ich noch Restalkohol im Blut hatte.

      Ich war vielleicht manchmal ein Hitzkopf, aber ich war kein Vollidiot. Ich wusste, dass es riskant war, nach einer feucht-fröhlichen Nacht mit Alk und Partypillen durch die Gegend zu fahren. Ich wollte schließlich meinen Führerschein nicht verlieren und schon gar nicht wollte ich irgendjemandes Leben gefährden. Außerdem, wenn die Bullen mich anhielten und mich blasen ließen, war ich geliefert. Wen würden sie wohl kontaktieren, damit er mich von der Polizeiwache abholte? Richtig, meinen Alten. Das Risiko war viel zu hoch, dass ich ihn dann wieder an den Hacken hatte, deshalb musste ich mindestens bis heute Abend warten, bevor ich abhauen konnte.

      Ich bereute die bescheuerte Saufaktion längst. Der Sex mit Olivia war’s nicht wert gewesen zu bleiben, ich hätte gestern nach der Abiturfeier das Weite suchen sollen. Andererseits hätte ich Edda dann nie kennengelernt ... zumindest nicht auf diese Weise.

      Egal. Ich wollte jetzt weder an Edda noch an Olivia oder sonst irgendein Mädchen denken. Alles, was zählte, war, dass ich mir ein paar Sachen aus meinem Zimmer holte und ungesehen verschwand, bevor mein Alter merkte, dass ich in seinem Haus abhing. Sonst würde er mich für den Rest meines Lebens einsperren, so viel war sicher.

      Ich pirschte mich ans Haus heran, versicherte mich, dass die Luft rein war und er nicht mit seinen Mentholzigaretten im Vorgarten saß und die Umwelt verpestete, dann kletterte ich so behände wie in meiner Verfassung möglich (also wie ein Affe mit zwei gebrochenen Armen) an der großen, mächtigen Eiche hoch, die direkt vor dem Balkon meines Zimmers stand. Die vielen Äste und Knorpel am Stamm boten mir den Halt, den ich zum Klettern brauchte, und in null Komma nix saß ich rittlings auf einem dicken Ast und bewegte mich langsam auf den kleinen Balkon zu. Die Balkontür ließ ich immer offen, sodass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit von meinem Alten unbemerkt rein- und rauskonnte, wie ich wollte. Er hatte das in all den Jahren nie bemerkt. Während er mich, wenn er mir Hausarrest aufgebrummt hatte, reumütig auf meinem Zimmer wähnte, war ich über den Balkon abgehauen, hatte mich mit meinen Kumpeln betrunken, mit irgendeinem Mädchen geschlafen oder sonst irgendwie Spaß gehabt.

      Mein Alter hätte das schon vor Jahren merken können, wenn er sich jemals für mich interessiert hätte. Was jedoch nicht der Fall gewesen war. Es hatte auch sein Gutes, wenn man den Eltern am Allerwertesten vorbeiging, man konnte tun und lassen, was man wollte.

      Ich kraxelte vom Ast auf den Balkon und atmete auf. So, Schritt eins war geschafft. Ich stieß die Balkontür auf und betrat mein Zimmer, in dem wie immer Chaos herrschte, es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Der Boden war bedeckt mit Klamotten, Motorradzeitschriften und irgendeinem Schrott, der sich im Laufe der Jahre bei mir angesammelt hatte. Ich watete durch den ganzen Kram hinüber


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