Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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weil Timo mich wirklich liebte und mir das auch mehrmals täglich sagte. Aber dann tauchten plötzlich wieder die Bilder von Hanna und ihm in meinem Kopf auf, ich beobachtete die lange, intensive Umarmung vor meinem geistigen Auge und bekam prompt wieder ein schlechtes Gefühl.Dabei hatte ich Timo wohl schlimmer hintergangen ... als Chris und ich Arm in Arm auf meiner Couch geschlafen hatten. Manchmal kam ich mir absolut lächerlich vor, weil ich so viel über diese Nacht nachgrübelte, so häufig an Chris dachte und daran, wie es ihm wohl ging, wo er war, was er machte. Bestimmt erinnerte er sich schon gar nicht mehr an mich, weil er viel zu viele aufregende Abenteuer mit anderen Mädchen erlebte. Ihm hatte diese Nacht sicher nichts bedeutet, aber ich war ein Mädchen. Ich konnte nicht einfach Arm in Arm, Hand in Hand mit einem Halbfremden auf einer Couch liegen und das wieder vergessen.

      Ich hatte Kim davon erzählt und erwartet, dass sie völlig ausflippte, aber sie hatte nur neugierig gefragt: „Und wie war’s? So Arm in Arm mit dem sexiest man alive? Ich meine, Christopher Waldoff ist zweifellos dumm wie Stroh und kein Umgang für dich, aber er ist schon verdammt heiß. Haha, ich würde zu gerne Olivias Gesicht sehen, wenn die wüsste, dass ihr euch so nahe wart ...“

      „Gott, reib ihr das bloß nicht unter die Nase!“, hatte ich erschrocken ausgerufen. „Die bringt es noch fertig und erzählt Timo davon. Dann ist unsere Beziehung beendet.“

      „Ach Quatsch!“ Kim hatte abgewinkt, dann kurz gestockt, die Augen zusammengekniffen und forschend nachgefragt: „Warte mal ... du willst ihm nichts davon erzählen?“

      „Bist du verrückt?“, hatte ich geschockt ausgerufen. „Auf keinen Fall!“

      „Aber ich dachte, es hätte nichts zu bedeuten?“

      „Hat es auch nicht.“ Ich bekam rote Flecken im Gesicht vor Scham. „Genau deshalb braucht Timo es nicht zu erfahren.“

      „Aha.“ Kim guckte verwirrt drein. „Ich finde, das wäre irgendwie ’ne witzige Anekdote.“

      „Was? Du hast wohl einen Vogel“, sagte ich entgeistert. „Wie soll ich ihm das denn als lustige Geschichte verkaufen?“ Ich verstellte meine Stimme. „Ach, Schatz, neulich ist mir was total Spaßiges passiert. Ich habe Chris Waldoff, den größten Aufreißer der Stadt, stockbesoffen auf der Straße aufgelesen, seine Wunden versorgt und ihn mit in mein Zimmer genommen. Wir haben eng umschlungen zusammen auf meiner Couch übernachtet, haha, aber wir waren immerhin nicht nackt.“ Ich hatte meine beste Freundin finster angesehen. „Echt eine Superstorm, Kim.“

      „Na ja“, sie knibbelte an ihrem Fingernagel herum, „das wäre wirklich noch ausbaufähig. Aber bist du dir ganz sicher, dass du ihm nichts sagen willst? Ich meine, du bist die aufrichtigste Person, die ich kenne. Meinst du, du hältst das durch?“

      Ich wurde nervös, weil Kim die ganze Sache so dramatisierte, was normalerweise gar nicht ihre Art war. „Also, Kim, jetzt ist es aber gut“, hatte ich entschieden gesagt. „Ich bin doch nicht fremdgegangen oder so. Kein Sex, nicht mal fummeln, da war gar nichts. Ich glaube, Chris fand mich absolut unattraktiv. Warum also sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Ich hab Timo schließlich nicht betrogen.“

      „Na ja, du weißt, Süße, Betrug fängt im Kopf an. Denkst du denn hin und wieder an Christopher?“

      Ich wurde knallrot und riss die Hände in die Höhe. „Lieber Himmel, Kim, nein!“

      „Und warum wirst du dann rot?“

      Ich konnte ihr einfach nichts vormachen, also legte ich die Hände an meine überhitzten Wangen und sagte matt: „Können wir bitte über was anderes reden? Bitte?“

      Sie hob die Hände. „Okay, wie du willst, Süße. Ich hoffe nur, das kommt nicht doch noch irgendwann raus.“

      „Wie denn? Solange du die Klappe hältst, wird er’s nicht erfahren. Und du sagst Timo doch nichts, oder?“

      „Natürlich nicht, wofür hältst du mich?“ Kim war ehrlich entrüstet. „Ich verstoße doch nicht gegen den unter besten Freundinnen geltenden Ehrenkodex.“

      Richtig. Der Kodex lautete: Ich nehme die mir anvertrauten Geheimnisse meiner besten Freundin mit ins Grab und würde sie nicht mal unter Folter ausplaudern. Ich war jedoch nicht ganz ehrlich zu Kim gewesen. Denn ich dachte hin und wieder an Chris. Okay, ziemlich häufig sogar. Und in jener Nacht, als er mich im Arm gehalten hatte, hatte ich von ihm geträumt. Keine Ahnung, wieso, vermutlich, weil mein Hirn irgendwie verarbeiten musste, dass der Traum aller Frauen entstellt wie noch nie in meinem Zimmer lag und schlief wie ein Stein. Das Schlimmste an allem war, dass ich geträumt hatte, wir würden uns küssen. Es war mit einem Mal einfach so passiert, ohne dass ich es steuern konnte. Ich hatte geträumt, ich würde mich auf die Zehenspitzen stellen und ihn einfach küssen, dabei würden wie durch ein Wunder all die Wunden in seinem Gesicht heilen. Er lächelte und nannte mich seinen Engel, bevor er unglaublich zärtlich mein Gesicht umfasste und mir den besten Zungenkuss meines Lebens verpasste.

      Mitten in diesem Traum hatte meine Mutter mich geweckt, was mit ein Grund dafür gewesen war, dass ich wie von der Tarantel gestochen aus dem Schlaf hochfuhr, als sie mich an den Schultern gerüttelt hatte.

      „Hey, Edda.“ Timo schnippte mir sanft mit dem Finger gegen die Nase und ich kehrte ins Hier und Jetzt zurück.

      Mein Gesicht glühte, was nicht nur an der Hitze lag, sondern auch an den Erinnerungen an jenen Traum, die gerade wieder hochgekommen waren. Was war nur los mit mir? Ich hatte den wundervollsten Freund der Welt und dachte an einen Playboy. Ich musste völlig verrückt sein. Womöglich lag es an der Hitze. „Schatz, du warst ja gerade meilenweit weg mit deinen Gedanken.“ Timo trat neben mich, nahm meine Hand und führte mich die letzten Schritte zum kristallklaren, in der Sonne verheißungsvoll glitzernden Wasser.

      Ich schlüpfte aus meinen Flipflops und setzte langsam einen Fuß ins Nass. Herrlich erfrischend. Gerade als ich den zweiten Schritt machen wollte, packte Timo mich, zog mich an sich, hob mich hoch und rannte mit mir in die aufschäumenden Wellen hinein. „Timo! Timo, nicht!“, kreischte ich lachend in seinen Armen und klammerte mich an seinen starken, gebräunten Schultern fest. Er roch gut, nach Sommer, Sonnencreme und Salzwasser, und er trug mich auf Händen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war einfach nur dumm, wenn ich meine Zeit weiterhin mit Gedanken an Chris verschwendete.

      Er hatte mir seine Handynummer aufgeschrieben, ich hatte sie an jenem Abend auf meinem Schreibtisch entdeckt, zusammen mit dem Angebot, sich irgendwann mal zu revanchieren. Obwohl es bestimmt nicht so gemeint gewesen war, hatte das in meinen Ohren sehr zweideutig geklungen. Kurzerhand hatte ich die Nachricht in winzige Stücke zerrissen und aufgesaugt. Klar, ich hatte übertrieben, aber ich wusste mir im Chaos meiner Gefühle nicht anders zu helfen.

      In dem Moment ließ Timo mich mitten im Wasser einfach fallen und ich klatschte platschend ins kühle Nass, Salzwasser stieg mir in die Nase, lief mir in den Mund, brannte in den Augen. Prustend kam ich wieder hoch und zahlte es ihm mit viel Gespritze und Gekreische heim. Schließlich war ich von dem ganzen Herumtollen so erschöpft, dass ich mich an seinen Schultern festhalten und wieder zu Atem kommen musste. Timo strich mir das schwere rote Haar über die Schulter, meine Hand wanderte in seinen Nacken, massierte ihn zärtlich, während wir uns hingebungsvoll küssten. Meine Beine schlangen sich um seine Hüfte, ich ließ mich von ihm über Wasser halten und kostete diesen Moment voll aus. Für ein Jahr würde es das letzte Mal sein, dass wir uns sahen. Dies hier war unser letzter gemeinsamer Urlaub, bevor wir durchstarteten, unser Abschiedsurlaub sozusagen. Seit einigen Wochen hatten wir nun das Abitur, die Sommerferien waren in ein paar Wochen zu Ende und dann begann der Ernst des Lebens.

      Plötzlich wurden wir nass gespritzt, lösten uns widerwillig voneinander und sahen Kim auf uns zukraulen. Ihr braunes Haar war völlig zerwühlt von den Händen des unersättlichen Spaniers, ihre grünen Augen blitzten vergnügt und ihr schönes Gesicht strahlte vor Selbstzufriedenheit. Ich fragte mich, was wäre, wenn Bastian sie so sähe ‒ eng umschlungen mit anderen Jungs, in heiße, leidenschaftliche Knutschereien vertieft. Würde er eifersüchtig werden und die Trennung bereuen oder wäre er froh, dass Kim scheinbar über ihn hinweggekommen war? Ich wusste,


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