Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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auf keinen Fall versagen. Marvin war begeistert davon, dass ich eine Chance bekam, und coachte mich, so gut er konnte. Sämtliche Benimmregeln wurden durchgesprochen, die Verhaltensweise im Allgemeinen, der Kleidungsstil im Besonderen.

      „Du kannst da natürlich nicht in zerfetzten Jeans und ausgeleierten T-Shirts aufkreuzen“, machte er mir klar.

      Und am nächsten Tag gingen wir zusammen einkaufen. „Shoppen“, würden Mädels sagen.

      Marvin war genau der Richtige, wenn es um die etwas vornehmere, elegante Garderobe ging. Ihn selbst sah man selten im T-Shirt, meist trug er faltenfreie Hemden, und wenn es doch mal ein Shirt war, dann ein eng anliegendes, das dezent auf seinen muskulösen Waschbrettbauch hinwies. Seine Jeans waren ohne Löcher, stets sauber und gebügelt, wurden von einem Gürtel auf seiner schmalen Taille gehalten und komplettierten das Bild des gepflegten, freundlichen, anständigen Jungen. Er brauchte täglich etwa zwei Stunden im Bad, bis er seine Haare anständig hinbekommen hatte, denn er benutzte Gel und Pflegespülungen und drei verschiedene Kämme. Wenn er das Badezimmer verließ, hatte er die Haare ordentlich zurückgegelt und nach hinten gekämmt, keine Strähne stand ab, alles lag ordentlich und wie hingebastelt an Ort und Stelle, kein Härchen wagte es, sich im Laufe des Tages von seinem Platz zu entfernen.

      Eigentlich ein Wunder, dass ein Kerl wie er seine Zeit mal mit Drogendealern und harten Jungs aus irgendwelchen Gangs verbracht hatte, dass er Pillen eingeworfen hatte und jedes Wochenende high gewesen war. Das Ganze hatte sich schlagartig geändert, als er Laura aus Berlin kennenlernte, die in Köln ihre Schwester besuchte und eines Samstagabends mit alten Freunden in dieselbe Disco ging, in der auch Marvin herumhing. Ich war dabei gewesen an jenem denkwürdigen Abend, der sein Leben für immer verändern sollte.

      Es war hochromantisch gewesen mit den beiden, so romantisch, dass ich jedes Mal einen Brechreiz verspürte, wenn ich daran zurückdachte.

      Die beiden waren an der Bar recht unsanft zusammengestoßen, dabei hatten sich ihre Blicke getroffen, und noch ehe einer der beiden den Mund aufgemacht hatte, waren sie schon ineinander verliebt gewesen. Ich hatte neben Marvin gestanden und meinen Augen nicht getraut. Noch nie hatte ich meinen Kumpel so gesehen. Seine Augen wurden, obwohl er an diesem Abend noch nichts eingeworfen hatte, groß wie Murmeln und leuchteten, er grinste völlig grenzdebil und hätte um ein Haar angefangen zu sabbern. Zum ersten Mal kapierte ich, was dieser Spruch bedeutete, dass zwischen zwei Leuten die Funken flogen. Denn zwischen den beiden explodierte an jenem Abend gleich ein ganzes Feuerwerk.

      Irgendwann im Verlauf des Abends stellte ich fest, dass Marvin spurlos verschwunden war. Ich dachte mir gleich, dass es irgendwas mit dem Mädel an der Bar zu tun hatte, war mir sicher, dass er sich irgendwo mit ihr vergnügte. Ich konnte es kaum fassen, als er mir drei Tage später erzählte, er habe nur mit ihr geredet, die ganze Nacht über, nicht mal geküsst hätten sie sich. Und dennoch behauptete er, sie wäre die Frau seines Lebens und er würde um sie kämpfen, weil man das Herz einer solchen Frau im Sturm erobern müsse. Sie wäre kein leichtes Mädchen, keine, die man einfach flachlegen könne.

      Laura ließ Marvin eine ganze Weile zappeln, obwohl es offensichtlich war, dass sie ebenfalls total auf ihn abfuhr. Aber, wie gesagt, sie war eben nicht leicht zu haben. Noch nie hatte ich einen Mann so um eine Frau kämpfen sehen. Es war für mich kaum mit anzusehen, wie Marvin sich reinhängte.

      „Alter, einem Mädchen nachzurennen, ist voll uncool“, behauptete ich mal, doch da warf er mir nur gereizt an den Kopf: „Weißt du, Chris, dir rennen vielleicht alle Mädchen die Bude ein und wollen von dir flachgelegt werden, aber Laura ist bereit, mir ihr Herz zu schenken. Und dafür werde ich verdammt noch mal alles tun, auch wenn das bedeutet, dass ich ihr einmal um die Welt nachrennen muss.“

      Rote Rosen, Pralinen, nächtelange Telefongespräche, Picknicks, Einladungen ins Kino oder ins Theater, eine Reise nach Paris, all das organisierte Marvin für seine Laura. Dabei wirkte er total glücklich, weil er seinem Ziel Schritt für Schritt immer näher kam und Zeit mit seiner wundervollen Angebeteten verbringen konnte. Ich fragte mich, was dieses Mädchen an sich hatte, dass es ihn ohne einen einzigen Kuss so sehr in seinen Bann ziehen konnte. Laura war nicht mal sonderlich hübsch, jedenfalls meiner Meinung nach. Gut, sie hatte eine tolle Figur, aber es gab massenhaft schönere Mädchen. Doch Marvin wollte nur sie.

      „Das wirst du erst verstehen, wenn du dich selbst mal verliebt hast, Alter“, erklärte er mir eines Nachmittags auf der Skateboardbahn, als er frühzeitig abbrach, um mit Laura schwimmen zu gehen.

      Schließlich eroberte er ihr Herz, küsste seine Laura zum ersten Mal und hörte eigentlich nie wieder damit auf. Wann immer ich die beiden zusammen sah, knutschten sie rum. Über den Sex mit ihr sprach er niemals, verlor kein Wort darüber, dabei hatten wir bisher immer darüber gesprochen. Nicht ohne Stolz hatten wir einander berichtet, wie viele Mädels wir flachgelegt und wie viele Orgasmen wir ihnen beschert hatten.

      „Ein Gentleman genießt und schweigt“, war die einzige Äußerung, zu der er sich hinreißen ließ. Daraus schloss ich, dass der Sex wohl ziemlich gut war.

      Schließlich ging Marvin mit Laura nach Berlin und kehrte seinem alten Leben in Köln den Rücken. Er kontaktierte unseren Dealer nicht mehr, sagte sich von seinen Gangkollegen los und trichterte mir vor seinem Abgang ein, all diesen finsteren Gestalten nie zu verraten, wohin er sich verzogen hatte.

      „Kapiert, Chris?“ Er sah mich eindringlich an. „Kein Wort zu ihnen! Sie werden es nicht besonders witzig finden, dass ich mich einfach so verpisse, und über ein paar von ihnen weiß ich Sachen, für die sie jahrelang in den Knast wandern würden.“

      „Okay, Mann“, hatte ich genickt, „ich halte die Klappe, Ehrenwort.“

      Ich selbst hing zwar auch hin und wieder mit Gangmitgliedern ab, allerdings war ich nicht in der Gang. Ich skatete mit ihnen, betrank mich ab und zu mit ihnen, aber von ihren kriminellen Machenschaften wusste ich nichts und es interessierte mich auch nicht. Unser Dealer, dessen wahren Namen keiner kannte und den man immer nur Meck nannte, wurde ein paar Wochen nach Marvins Abgang bei einer Drogenrazzia geschnappt und eingebuchtet. Ich glaubte nicht, dass Marvin was damit zu tun hatte, aber wissen konnte ich es natürlich nicht.

      Drei Jahre war das jetzt her. Seither gab es keine Zigaretten, keinen übermäßigen Alkoholkonsum und keine zerfetzten Skaterklamotten mehr in Marvins Leben. Stattdessen kleidete und verhielt er sich wie ein Musterknabe aus einem reichen Elternhaus irgendwo in der vornehmen Vorstadt, dabei war sein Vater ein arbeitsloser Säufer und seine Mutter arbeitete im Bordell. Marvin hatte beide komplett aus seinem Leben gestrichen und den Kontakt mit ihnen abgebrochen, und das alles nur, um Lauras Eltern zu gefallen. Diese nämlich war behütet und abgeschirmt von allem Bösen auf der Welt in Charlottenburg aufgewachsen, ihre große Schwester hatte ihr das Schminken beigebracht und sie gelehrt, die Bad Boys von den lieben, braven Buben zu unterscheiden. Es wurmte sie ziemlich, dass ihre kleine Schwester sich trotz allem in Marvin verliebte, der ja nun zuvor ein waschechter böser Junge gewesen war und fast noch mehr Mädchen gehabt hatte als ich.

      Marvin hatte in Berlin seine Schule fertig gemacht, vor zwei Jahren hatte er ein astreines Abitur geschrieben, was er größtenteils Laura verdankte, und nun studierte er im vierten Semester Maschinenbau. Er hatte die Kurve und sein Leben auf die Reihe gekriegt, er hatte seine große Liebe gefunden und führte ein anständiges Leben.

      Laura studierte Psychologie in Heidelberg. Sie hatte unbedingt in dieser Stadt studieren wollen, auch wenn es jetzt Marvin in ihrem Leben gab. Das war schon immer ihr Traum gewesen und dem wollte Marvin natürlich nicht im Wege stehen. Also führten die beiden momentan eine Fernbeziehung, und wann immer sie etwas Freizeit zur Verfügung hatten, fuhr er entweder nach Heidelberg oder sie kam nach Berlin.

      Das Gute daran war, dass in Marvins Studentenbude somit genug Platz für mich war, ich bekam das leer stehende Zimmer und so lebten wir in friedlicher Eintracht nebeneinanderher. Na ja, meistens. Ab und zu bekam ich Ärger mit ihm wegen all meiner Frauengeschichten und weil er es absolut nicht witzig fand, wenn ich zwei Mädchen gleichzeitig bei mir hatte und eine von ihnen sich an ihn heranmachte.

      „Warum?“, hatte ich ihn mal lachend gefragt.


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