Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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Mädels?“ Ich machte ein bejahendes Geräusch.

      Marvin hatte den Ausruf bis zur Kaffeemaschine hinüber gehört und sah mich fragend an. „Ist da etwa der Psycho dran?“ Ich nickte bestätigend, Marvin rollte mit den Augen, knallte mir die bis zum Rand gefüllte Kaffeetasse hin und verzog sich.

      „Ich verstehe nicht, warum der mich immer Psycho nennt“, sagte Lukas beleidigt.

      „Ich auch nicht“, behauptete ich und trank einen großen Schluck Kaffee, wobei ich mir prompt die Zunge verbrannte und fluchte wie ein Bierkutscher.

      „Was’n los?“, wollte Luke wissen.

      „Ach, nichts.“ Allmählich ging mir dieses Gequatsche auf die Nerven. „Pass auf, ich will jetzt in Ruhe meinen Kaffee trinken, bevor ich mich für die Arbeit fertig machen muss, okay?“

      „Na schön.“ Luke gähnte. „Ich glaub, ich geh wieder ins Bett. Bin noch ziemlich fertig von dem nächtlichen Fernsehmarathon. Wusstest du eigentlich, dass nachts haufenweise Pornos im Fernsehen laufen?“

      „Nee, Luke, im Gegensatz zu dir hab ich richtigen Sex“, erwiderte ich trocken. Klar hatte ich mir auch mal Pornos reingezogen, aber mittlerweile bevorzugte ich doch echte Mädchen.

      Außerdem hatte mir ein Mädel aus meiner alten Klasse mal ein richtig schlechtes Gewissen bereitet, was diese schmutzigen Filmchen anging, nämlich als sie ihren Kumpel deswegen anbrüllte: „Verdammt, diese Mädchen sind auch jemandes Tochter, Schwester, Enkelin, Freundin! Sie sind nicht nur billige Spielfiguren, die ihr für eure perversen Fantasien benutzen könnt. Außerdem haben Pornos nichts mit Liebe zu tun, sondern hauptsächlich mit Unterwerfung und irgendwelchen total krassen, unrealistischen und vor allem für Frauen sehr schmerzhaften, versauten Praktiken, die sich sicher irgendein Schwachkopf ausgedacht hat, der Viagra nehmen und sich an so was aufgeilen muss, um überhaupt einen hochzukriegen. Ganz ehrlich, wenn du dir so was öfter reinziehst, war’s das mit unserer Freundschaft!“

      Ich hatte lange darüber nachgedacht, hatte mich gefragt, wie ich mich fühlen würde, wenn ich eine Schwester hätte, die in so einem Film mitspielte, wie es für mich wäre, wenn massenhaft Männer sich das ansehen und sich dabei einen runterholen würden, und ich fand die Vorstellung absolut ätzend.

      „Du solltest dir endlich ’ne Freundin suchen, Lukas“, sagte ich und schob zwei weitere Brote in den Toaster.

      „Ich weiß.“ Er seufzte tief. „Aber irgendwie bin ich immer noch nicht über Linda hinweg.“

      Linda war nach eigener Aussage seine erste große Liebe gewesen, allerdings hatte ich sie nie zu Gesicht bekommen, sie hatten Schluss gemacht, bevor ich Luke kennengelernt hatte. Anscheinend hatte sie ihn verlassen, um mit einem seiner besten Kumpel eine Beziehung anzufangen, weil der ihr in jeder Hinsicht mehr zu bieten hatte.

      „Doch, Alter, du bist über sie hinweg“, behauptete ich, obwohl ich keinen blassen Dunst hatte, wie das war, wenn man ständig an ein und dasselbe Mädchen dachte, sich nach der Kleinen sehnte, nach ihrer Stimme, ihren Berührungen. Ich war noch nie in meinem Leben richtig verliebt gewesen, manchmal fragte ich mich, ob ich überhaupt in der Lage war, so stark für jemanden zu empfinden. Vielleicht war Liebe auch nur eine Illusion ... eine Erfindung aus Seifenopern und kitschigen Liebesromanen.

      „Nein, bin ich nicht“, protestierte Luke, der fest entschlossen zu sein schien, an seinem Liebesleid festzuhalten. „Du hast keine Ahnung, was für ein tolles Mädchen sie war, Chris. Sie war eine von der Sorte, die man selten irgendwo am Straßenrand findet.“

      „Ach so. So eine also.“ Ich hatte keinen Plan, wovon er sprach, und auch keine Lust mehr auf diese Gefühlsduselei. Außerdem waren meine Brote fertig und mein Kaffee wurde kalt. „Pass auf, Mann, ich muss jetzt echt los“, erklärte ich ungeduldig und warf einen Blick auf die Uhr, die an der schmutzig weißen Küchenwand laut vor sich hin tickte. Halb neun. In einer Stunde musste ich bei der Arbeit sein.

      „Okay, viel Spaß beim Arbeiten, Kumpel. Und hey, falls ihr später ’ne Party feiert, vergiss nicht, mir ’ne SMS zu schreiben. Du kannst mich auch anklingeln, ich hab das Telefon in Reichweite. Und, äh, lad ein paar heiße Feger ein, okay?“

      „Alles klar“, murmelte ich. So viel also zum Thema Linda und Liebeskummer. „Ciao.“

      „Yeah, tschüss.“

      Ich drückte das Gespräch weg und machte mich daran, meine Brote dick mit Butter und Nutella zu bestreichen. Dabei machte ich mir Gedanken darüber, wie ich den heutigen Abend verbringen sollte, und stellte fest, dass ich überhaupt keinen Bock auf eine Party hatte, obwohl ich sonst eigentlich stets in Feierlaune war. Ich aß meine Brote, trank drei Tassen pechschwarzen, bitteren Kaffee, duschte anschließend kurz, schlüpfte in schlabbrige Jeans und einen neuen, warmen und gemütlich weichen hellgrauen Kaschmirpullover, zog mir Schuhe und eine Jacke an, stopfte meinen Geldbeutel in die Gesäßtasche, brüllte: „Tschüss, Marvin“, und machte mich auf den Weg zur Arbeit.

      Seit dem letzten Sommer wohnte ich nun bei Marvin, irgendwann im Herbst war ich offiziell sein Mitbewohner geworden und wir teilten uns die Miete. Das war mit ein Grund gewesen, mir einen Job zu suchen. Grund zwei war das Gefühl der Nutzlosigkeit, das mich befallen hatte, nachdem ich wochenlang untätig in der Wohnung gehockt war und nichts zustande gebracht hatte.

      Die ersten Wochen waren rasend schnell vergangen, ich übte immer die gleichen Tätigkeiten aus: fernsehen, Konsole spielen, Fast Food und Bier in mich reinstopfen beziehungsweise -kippen. Am Abend ging ich dann entweder mit Marvin auf die Piste oder lud irgendein Mädel zu mir ein.

      Mein Vater, dieses Arschloch, hatte die Versicherung für meinen Wagen gekündigt, was bedeutete, dass ich nicht mehr damit fahren durfte. Außerdem hätte ich den Wagen auf Berlin ummelden müssen, aber mir fehlten die Papiere. Nach einigem Hin und Her wurde mir klar, dass ich selbst mir all die Versicherungen niemals leisten könnte, und so blieb mir nichts anderes übrig, als den Wagen meinem Vater zurückzugeben. Selbst verkaufen konnte ich ihn nicht, weil mein Alter mir den Wagen zwar geschenkt hatte, aber, wie gesagt, alle Papiere besaß und das gute Stück zurückforderte. Da ich keine Lust auf einen Kampf hatte, ging ich auf die Forderungen ein und brachte Marvin dazu, mit mir nach Köln zu fahren. Ich stellte das Auto kurzerhand bei meinem Alten ab, stieg sofort bei meinem Mitbewohner ein und wir fuhren gemeinsam zurück nach Berlin. Marvins uralter Golf klapperte und schnaufte angestrengt und ich vermisste meinen luxuriösen Mercedes mit Klimaanlage, Radio und Getränkehalter schmerzlich. Also stand ich ohne Auto da und musste ständig Bahn fahren.

      Marvin, der mir klarmachte, dass er nicht mehr lange dabei zusehen würde, wie ich untätig in seinen vier Wänden abhing, alles mit meinem Müll belagerte und meinen Hintern nicht hochbekam, entdeckte schließlich die Anzeige in der Zeitung:

      Schülerjob zu vergeben. Verkäufer im Paradies, einem ziemlich beliebten Klamottenladen. Auf 450-Euro-Basis.

      „Bewirb dich da“, sagte er sofort, nachdem er mir die Anforderungen vorgelesen hatte. Offenheit, Freundlichkeit, Höflichkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Freude am Kontakt mit anderen Menschen.

      Ich hatte mich kaputtgelacht, als er schwer atmend mit der Aufzählung fertig war. „Alter, so bin ich ganz und gar nicht“, hatte ich ausgerufen. „Zuverlässig? Pünktlich? Ha, da kennst du mich aber schlecht.“

      „Tja, dann lernst du es eben“, hatte er unbeeindruckt erwidert. „Wenn du weiter hier wohnen bleiben willst, musst du endlich in die Gänge kommen, Mann. Hast du dir so dein neues Leben vorgestellt, nutzlos in Berlin rumgammeln?“ Nein, so hatte ich es mir tatsächlich nicht vorgestellt. Aber ehrlich gesagt hatte ich mir gar nichts vorgestellt. Das tat ich nie, wer Erwartungen hatte, wurde ohnehin immer nur enttäuscht.

      „Ich bin kein Schüler mehr“, erinnerte ich Marvin, doch dem war das egal.

      „Bewirb dich einfach mal. Die sind doch um jeden Bewerber froh“, hatte er gemeint.

      Ich hatte mich, wenn auch unfreiwillig, tatsächlich beworben und war mir sicher gewesen, nie mehr von diesem


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