Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
wischte sie den klebrigen Tresen ab. „Hast du mal in den Spiegel geschaut?“, fragte sie. Nee, hatte ich nicht. Aber ins Bahnfenster ...
„Ach, das.“ Ich winkte gespielt gleichgültig ab. „Das sind doch nur ein paar Kratzer, nichts Dramatisches. Hatte nur ’ne etwas unschöne Begegnung mit einem Pfosten.“ Das traf es ganz gut.
Die Kassiererin lachte glockenhell und strich sich die honigblonden Haare aus der Stirn. Ich sah ihr in die Augen ‒ grün, geheimnisvoll, interessant, aber bei Weitem nicht so schön wie die von Edda. Herrgott, warum dachte ich eigentlich ständig über die Augen dieses Mädchens nach?
„Tut mir leid. Aber ich hab einen Freund“, erwiderte die Lady nun.
Ach, das fiel ihr jetzt ein? Interessant. Ich war mir sicher, dass sie den Freund nur erfunden hatte, aber da die Schlange hinter mir immer länger wurde und sich nun ein dicker Typ hinter dem Mädchen aufbaute, der nach Pommesfett roch und sich bestimmt nicht scheute, es einzusetzen, beschloss ich, es gut sein zu lassen. Ich hätte sie bekommen, wenn ich drangeblieben wäre. Ich bekam immer, was ich wollte. Oder wen ich wollte ...
„Na dann“, ich klopfte auf den Holztresen, „nichts für ungut. Ich glaub, dein Freund steht schon hinter dir. Tschüss.“ Während sie sich überrascht zu dem übergewichtigen Typen umdrehte, der locker ihr Großvater sein konnte, machte ich mich aus dem Staub.
Ich verbrachte den Nachmittag im Schatten der Bäume, schleckte mein Eis, leerte die Wasserflasche, döste vor mich hin und sah eine Weile den vier Mädels von vorhin beim Hockeyspielen zu. Sie hatten sich extra so positioniert, dass sie in meinem Blickfeld mit ihren süßen, leicht bekleideten Hinterteilen herumhüpften. Dabei brüllten sie so laut wie möglich die Namen ihrer Freundinnen durch die Gegend, damit ich auch mitbekam, wie sie alle hießen.
Irgendwann wurde mir das Ganze zu langweilig. Mittlerweile war es halb fünf, der Kater zog sich langsam zurück und ich fühlte mich um einiges klarer im Kopf. Ich schnappte mir meinen Rucksack, warf ihn mir über die Schultern und schlüpfte in meine schwarzen, ramponierten Turnschuhe. „Tschüss, Mädels“, rief ich, winkte ihnen lächelnd zu und stapfte davon, ohne mich noch mal umzudrehen und auf die Verzückungsschreie zu reagieren.
Ich hatte es tatsächlich geschafft. Nun saß ich in meinem Auto und war mit 150 Sachen auf der Autobahn unterwegs, auf dem Weg nach Berlin. Ich fühlte mich gut, die Kopfschmerzen waren weg, mein Gesicht tat zwar hin und wieder weh, aber nur, wenn ich lachte oder sonst irgendeinen Muskel bewegte.
Ein alter Freund von mir, Marvin, lebte in Berlin, vor vier Jahren war er dorthin gezogen. Früher waren wir zusammen geskatet, hatten uns auf Partys mit Mädchen vergnügt und den gleichen Dealer gehabt. So was verband. Jetzt war ich also auf dem Weg zu ihm, würde ein paar Nächte bei ihm pennen und in der deutschen Hauptstadt meinen Spaß haben, bevor ich mich daranmachte, den Aufenthaltsort meiner Mutter zu ermitteln. Ich wollte sie nicht aufsuchen, ehe meine Wunden verheilt waren, schließlich wollte ich sie nicht zu Tode erschrecken. Außerdem wäre mein Gesicht ein einziger Vorwurf gewesen, dass sie mich verlassen hatte. Und ich wollte ihr keine Vorwürfe machen. Ich wollte sie nur endlich wiedersehen, sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass ich sie liebte und vermisste.
Ich überholte einen Lkw, blieb gleich auf der Überholspur und gab mehr Gas. Die Geschwindigkeit berauschte mich, gab mir ein gutes Gefühl. In ein paar Stunden war ich in Berlin und dann konnte das wahre Leben beginnen.
***
Edda:Ich lag am Strand von Ibiza zwischen Timos Beinen, mein Kopf ruhte auf seiner Brust, ich hatte eine Sonnenbrille auf der Nase und eine Schirmmütze auf dem Kopf, während die Sonne unbarmherzig auf uns herabknallte. Ich konnte quasi da-
bei zusehen, wie sich meine Sommersprossen vermehrten.
Kim war im Wasser und knutschte mit irgendeinem spanischen Typen herum, den sie vor fünf Minuten kennengelernt hatte. Seit wir hier waren, riss sie einen nach dem anderen auf. Ich konnte noch immer nicht so ganz fassen, dass Bastian tatsächlich mit ihr Schluss gemacht hatte.
„Er will nichts verpassen“, hatte sie schluchzend erzählt, als wir uns getroffen hatten, um über die plötzliche Trennung zu reden. „Er meinte, wir würden doch jetzt ohnehin eigene Wege gehen, unsere Lebensentwürfe würden nicht zusammenpassen, er wolle uns beiden nicht die Chance auf neue Erfahrungen verbauen.“
„Was für ein Idiot“, hatte ich ausgerufen und meine am ganzen Körper schlotternde, völlig verzweifelte beste Freundin an mich gezogen. Ich hatte sie ganz fest gehalten, während sie trauerte.
„Ich liebe ihn, Edda. Ich liebe ihn so sehr, dass es wehtut“, schluchzte sie.
„Ich weiß“, hatte ich gemurmelt. „Ich weiß.“
„Es tut weh, es tut so weh. Mach, dass es aufhört, Edda!“
„Es wird vorbeigehen“, sagte ich sanft und streichelte ihr Haar. „Irgendwann wird der Schmerz weniger.“
„Ich will sterben.“
„Nein, das willst du nicht. Das willst du ganz und gar nicht, Kimmi. Dieser Idiot hat dich überhaupt nicht verdient. Du wirst einen Besseren finden, der dich von ganzem Herzen liebt und dich nie wieder verlässt.“
„Ich will aber keinen anderen. Ich will Bastian.“
„Du wirst einen anderen wollen. Schon sehr bald, das verspreche ich dir.“
Tja, so wie es nun aussah, wollte sie alle Junggesellen auf Ibiza. Das war schon der fünfte Kerl in sieben Tagen, dem sie sich gerade an den Hals warf. Und wir würden noch eine ganze Woche hier sein ... großer Gott!
„Schatz, wollen wir auch mal ins Wasser gehen?“, murmelte Timo und küsste meinen Nacken, während er mit den Fingern sanft meinen Arm streichelte. „Sonst schmelzen wir hier noch.“
„Hm.“ Ich rekelte mich träge in seinen Armen, der Schweiß perlte an mir herab, sammelte sich zwischen meinen Brüsten. Ein bisschen Abkühlung würde mir sicher guttun, ich fühlte mich schon ganz benommen von der Sonne.
„Na, komm schon!“ Er drückte leicht gegen meine Schenkel. „Hoch mit deinem süßen Hintern.“
Schwerfällig erhob ich mich, nahm den Hut und die Brille ab und schob beides in meine pinkfarbene Strandtasche, ehe ich mein giftgrünes Bikinioberteil, das ganz und gar nicht mit meinem Haar harmonierte, in Position rückte und das Bikinihöschen weiter über den Hintern zog. Zum wiederholten Male fragte ich mich, warum ich mich von Kim dazu hatte überreden lassen, so ein knappes Teil zu kaufen. Das Oberteil bestand eigentlich nur aus zwei Dreiecken, auch das Höschen war ein Hauch von nichts. Lediglich Kims schwarzer Pornobikini konnte das noch toppen, dieser war eigentlich nur ein schmaler Stoffstreifen zwischen den Beinen, der die Pobacken vollständig freiließ, auch vorne herum überließ er nichts der Fantasie. Und das Oberteil verhinderte nur mit knapper Not, dass die Brüste herauspurzelten. Kein Zweifel, Kim war der pure Sex in diesem Teil.
„Du siehst unglaublich scharf aus, Süße“, raunte Timo mir zu, der so dicht hinter mir ging, dass die Wärme seines Körpers meinen Rücken aufheizte.
Ich wusste, dass er nicht nur so dicht bei mir war, weil er meinen Hintern in dem knappen Höschen toll fand, sondern auch, weil er verhindern wollte, dass zu viele andere Kerle daraufglotzten. Obwohl ich zeit meines Lebens noch nie ein Männermagnet gewesen war, war ich hier auf Ibiza schon zweimal mit „Hola, guapa“ angesprochen worden, was übersetzt „Hallo Hübsche“ hieß. Und eine Gruppe heißer, braun gebrannter Spanier hatte mir hinterhergepfiffen, als ich morgens am Strand Yoga gemacht hatte. Natürlich war ich geschmeichelt gewesen von so viel männlicher Aufmerksamkeit, gleichzeitig war es mir aber auch unangenehm und ich hätte mich gerne irgendwo verkrochen. Der beste Schutz war in Timos Armen. Wenn ich mit ihm zusammen war, fühlte ich mich sicher.
Seit Bastian mit Kim Schluss gemacht hatte, machte ich mir insgeheim Sorgen, dass Timo vielleicht auch mit mir Schluss machen würde, bevor er seine Deutschlandtour antrat und ich nach Südafrika flog. Vielleicht wollte er auch