Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
ab“, brüllte ich ihr ins Ohr. „Also seid dann bitte rechtzeitig draußen.“
„Ja, ja.“ Sie winkte lässig ab. „Keine Sorge, Edda.“ Sie wollte ihre Lippen wieder auf Bastians pressen, leider musste ich sie noch mal kurz unterbrechen.
„Habt ihr Timo irgendwo gesehen?“
„Hm?“ Kim schielte ein wenig, konnte nicht mehr klar fokussieren. Ohne Zweifel, meine beste Freundin war hinüber.
„Timo!“, schrie ich sie an. „Meinen Freund Timo. HABT IHR IHN GESEHEN?“
„Aua!“ Sie hielt sich empört die Ohren zu. „Schrei doch nicht so. Nee, keine Ahnung, wo der ist. Schatz, hast du ihn gesehen?“ Sie sah fragend zu Bastian auf, der sie nur verständnislos musterte.
„Wen?“, lallte er.
Oh Mann! Ich vergrub das Gesicht in den Händen.
„Na, Timo. Eddas Freund. Hast du ihn gesehen?“
„Ich weiß, wer Timo ist“, erwiderte Bastian fest.
„Schön. Und weißt du auch, wo er ist?“, brüllte Kim ungeduldig.
„Hm ...“ Er dachte kurz nach. „Hab ihn vorhin mit Hanna aus der Parallelklasse Bier trinken sehen, hatten’s wohl sehr lustig, die beiden. Aber keine Ahnung, wo die hin sind.“
Na, hoffentlich nicht in die Büsche! Ein schmerzhaftes Ziehen machte sich in meiner Brust bemerkbar, die Eifersucht traf mich völlig unerwartet, wie ein Schlag ins Gesicht. Mit Hanna also ... Hanna mit den langen Beinen, dem hüftlangen dunklen Haar und den schönen braunen Augen. Sie war sehr hübsch und sehr beliebt in ihrer Klasse. Aber nur, weil sie mit Timo abhing, musste ich nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Ich vertraute ihm doch. Oder nicht? „Hey, Süße, alles klar?“ Kim sah mich besorgt an und etwas an ihrem Blick verriet mir, dass sie genau wusste, was mit mir los war. Das machte mich stutzig und misstrauisch. Warum wusste sie, dass ich eifersüchtig war? Sah man es mir so deutlich an oder ... gab es einen Grund dafür?
„Sei nicht albern, Edda!“, schalt ich mich selbst. „Timo liebt nur dich. Du kannst ihm vertrauen. Denk an eure gemeinsame Zeit.“ Aber mit einem Mal konnte ich mich nicht mehr beruhigen, ich musste Timo finden, jetzt, sofort, schnell ...
„Hey.“ Kim griff nach meinem Ellenbogen. „Soll ich mitkommen, dir suchen helfen?“
„Nein“, sagte ich brüsk und machte mich von ihr los. Was auch immer Hanna und Timo trieben, falls es zum Äußersten gekommen war, sollte das keiner sehen außer mir.
Ich fragte mich, was auf einmal mit mir los war. Warum nur war ich so misstrauisch, fühlte mich hintergangen? Timo und ich hatten doch einen wundervollen Abend miteinander verbracht, wir hatten Spaß gehabt und einander gesagt, wie sehr wir uns liebten, was war also das Problem?
Das Problem war, dachte ich, während ich mir unsanft einen Weg durch die Menge bahnte und hin und wieder meine Ellenbogen einsetzte, dass Hanna unglaublich gut aussah, dass sie und Timo sich schon immer blendend verstanden hatten und dass ich mir, wann immer ich mit meinem Freund unter Leuten, insbesondere Frauen, war, minderwertig vorkam. Wenn wir beide allein waren oder einen innigen Moment teilten, glaubte ich ihm sofort, dass er nur mich liebte und ich das schönste Mädchen der Welt für ihn war. Doch wenn ich mir die anderen Mädels genauer ansah, wurde mir schnell klar, dass er mich belog. Es gab Hunderte, Tausende, Millionen, ach was, Milliarden von Mädchen, die besser aussahen als ich. Wie sollte ich gegen die jemals ankommen, noch dazu mit roten Haaren und ohne Busen?
„Hey, Edda. Edda!“ Paul aus meiner Klasse stand plötzlich vor mir und umarmte mich.
Das kam ziemlich überraschend, wir hatten während der Schulzeit nie viel miteinander am Hut gehabt. „Es ist schön, dich zu kennen, Edda“, lallte er mir ins Ohr und gab mir einen feuchten Schmatz auf die Wange. Bäh!
„Äh ... ja. Danke, Paul, es ist auch schön, dich zu kennen“, behauptete ich, während ich mir mit dem Handrücken über meine Backe wischte. „Äh, du, sag mal, hast du Timo gesehen?“
„Ach, warum interessierst du dich für Timo?“ Er legte einen Arm um mich und zog mich enger an sich. Er war hackedicht, schwankte unsicher hin und her und stank wie eine Wodkabar. Wenn ich ihn jetzt umschubste, würde er einfach auf dem Rücken liegen bleiben wie ein dicker Maikäfer, dessen war ich mir sicher.
„Wie wäre es denn mit uns beiden, hm?“ Er kniff mir doch tatsächlich in den Po. „Ich fand dich schon immer süß, Edda, hast du das nie gemerkt?“ Sein Gesicht kam dem meinen gefährlich nahe und ich stieß ihn entschlossen von mir.
„Nein, Paul, ich habe es nicht bemerkt, weil es da nichts zu bemerken gab. Du fandst mich nie süß, sondern hast mich entweder ignoriert oder mich Rotkäppchen genannt, also verschon mich bitte mit irgendwelchen Liebeserklärungen. Geh nach Hause und schlaf deinen Rausch aus. Alles Gute für dich!“ Er bekam von mir zum Abschied ein Schulterklopfen, dann schob ich mich hastig an einem knutschenden Pärchen vorbei und fahndete weiter nach meinem Freund.
Ich musste nicht lange suchen, neben einem großen Baum, einer mächtigen Eiche, soweit ich das erkannte, lungerte Hannas Clique herum, alle mehr oder weniger hinüber. Die Pärchen saßen dicht beisammen und knutschten, zwei Mädels hatten einen sentimentalen Moment und heulten, weil nun alles vorüber war, und Hanna und Timo standen etwas abseits. Er hielt ihre beiden Hände in seinen und sie redete eindringlich auf ihn ein.
Der Schlag in den Magen traf mich mit voller Wucht, wie angewurzelt blieb ich stehen. Plötzlich war meine Sicht verschwommen, ich blickte wie durch dichten Nebel. Mir war, als würde er sie liebevoll ansehen, als würde sie mehrfach sehnsuchtsvoll seufzen. Wollte sie ihn dazu überreden, mit mir Schluss zu machen und mit ihr zusammenzukommen? Oder wollte sie ihn zu einer Affäre überreden? Oder ...
Meine Überlegungen wurden unterbrochen, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, ihn auf die Wange küsste und anschließend fest umarmte.
Das Herz hämmerte so laut in meiner Brust, dass ich meinte, jeder müsste es hören. „Ganz ruhig“, sagte ich mir, „bleib ruhig, Edda. Wir haben alle was getrunken. Es ist unsere Abschlussparty. Wir haben das Abi, werden uns vielleicht niemals wiedersehen, da wird man eben sentimental ... Ganz ruhig.“ Paul hatte mich auch auf die Wange geküsst und ich hatte es zugelassen. Er hatte mich auch umarmt, das hier war das Gleiche ...
Ach, Herrgott, nein, es war nicht das Gleiche! Ich war ein hilfloses Opfer gewesen, während Timo den Eindruck erweckte, als wolle er Hanna nie wieder loslassen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die beiden sich näherstanden, als sie je zugegeben hatten. Oder sah ich Gespenster?
Ich versuchte, meine Eifersucht zu zügeln, aber es war verdammt schwer, wenn nicht gar unmöglich. In diesem Moment ging etwas zwischen uns kaputt, obwohl ich es nicht wollte, aber es war deutlich spürbar. Mein Urvertrauen in ihn, der Glaube daran, dass Timo mich nie betrügen, nie verletzen würde, wurde in diesem Augenblick unwiederbringlich ausgelöscht.
Er löste sich von Hanna. Nach einer halben Ewigkeit. So lange dauerte keine normale Umarmung unter Freunden. Das war eine sehnsuchtsvolle Ich-wünschte-wir-wären-mehr-als-Freunde-Umarmung gewesen, und zwar von beiden Seiten.
Timo drehte den Kopf und fing meinen Blick auf, einen Moment lang sah er erschrocken aus, ehe er schnell ein strahlendes Lächeln aufsetzte und mir zuwinkte. Mechanisch winkte ich zurück, mein Arm fühlte sich an, als würde er gleich abfallen, mein Mund war staubtrocken. Auch Hanna hatte mich nun entdeckt und winkte mich zu sich herüber. „Edda, hallo. Komm doch her.“
Meine Beine fühlten sich zentnerschwer an. Nur mit Mühe schaffte ich es, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich bei den beiden ankam. Ich stellte mich neben Timo, allerdings nicht nah genug, als dass er mich hätte berühren können. Ich musste nachdenken über das, was ich gerade gesehen hatte, und dafür brauchte ich körperlichen Abstand.
„Na, wie fühlst du dich?“, wollte Hanna wissen und sah ehrlich interessiert