Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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eine Schande, Mädchen, eine Schande! Herrgott, bist du denn so blind und naiv, dass du gar nicht siehst, was für ein schlechter Mensch er ist? Ein Schmalspurcasanova, immer nur darauf aus, seinen Spaß zu haben und den Mädchen den Kopf zu verdrehen. Dich hat er offenbar auch schon so weit, es ist nicht zu fassen.“

      „Chris ist der beste Mensch, den ich kenne“, verteidigte Edda mich aufgebracht. „Okay, er hat einen Fehler gemacht, er ist manchmal ein bisschen hitzköpfig und macht dumme Sachen, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, ihn pausenlos schlechtzumachen und ihm nur böse Absichten zu unterstellen. Im Übrigen, wenn Sie alle Jana und Chris mal die Chance gegeben hätten, sich zu erklären, hätten Sie längst mitbekommen, dass zwischen den beiden nichts lief. Sie haben nicht miteinander geschlafen.“

      „Lügen!“, kreischte Lydia schrill. „Alles Lügen!“

      „Ach, und Sie wissen das besser als die beiden selbst?“, fuhr Edda sie an. Nun wurde auch sie lauter.

      Ich hielt sie zurück, ich musste das hier stoppen, bevor es ein Blutbad gab. „Ed, ist okay“, sagte ich sanft, „ich komm allein klar.“

      Lydia wollte gerade etwas darauf erwidern, da tauchte Marvin auf und zog sie entschlossen zurück. „Lydia, ich regle das. Kümmere du dich um Laura. Chris?“ Er ging ohne ein weiteres Wort an mir vorbei und meine Aufgabe war es jetzt wohl, ihm zu folgen.

      Ich entzog Edda sanft meinen Arm, sie nickte mir aufmunternd zu und murmelte: „Viel Glück.“

      „Glück?“, schrie Lydia erbost. „Ein wenig Anstand bräuchte er dringender.“

      „Ach, halten Sie doch endlich Ihren Mund!“, rief Edda wütend.

      Ich wäre ihr gerne beigestanden, doch Marvin ging im Stechschritt auf den Brunnen zu und ich trabte hinter ihm her. Ich hoffte so sehr, dass wir vernünftig darüber reden konnten und er mir verzeihen würde. Er bog in einen der vier Wege ein und setzte sich schließlich auf die Bank, auf der ich Jana vorhin getroffen hatte. Schnell drängte ich die aufsteigenden Erinnerungen zurück, holte tief Luft und ließ mich neben ihm nieder.

      Eine Weile starrten wir schweigend geradeaus auf einen Busch, dessen Blätter sich sacht im aufkommenden Wind wiegten. Ich befeuchtete meine Lippen mit der Zunge, versuchte, etwas zu sagen. Zwei Anläufe später war es mir immer noch nicht gelungen, ein Wort herauszubringen. Wenn ich so weitermachte, würde ich die Sache mit Marv nie mehr ins Lot bringen.

      Als ich endlich die Zähne auseinanderbekam, ergriff mein Freund das Wort. „Ich weiß, was du sagen willst“, meinte er, ohne mich anzusehen. „Dass es dir leidtut. Dass du das nicht gewollt hast. Dass du nicht nachgedacht hast. Dass du nicht mit Jana geschlafen hast. Dass es eine Scheißidee war, die du sehr bereust.“

      Ja. Ich schluckte. Genau das hatte ich sagen wollen.

      Mit einem Mal hatte ich ein ganz ungutes Gefühl im Magen, mein Puls begann zu rasen und ich wurde panisch. Eine Katastrophe nahte heran, ich spürte es. Mein Körper zitterte und kribbelte.

      „Fakt ist, Chris, dass du mit Jana ins Hotel gegangen bist, um mit ihr zu schlafen. Darauf hast du es angelegt. Es war kein Zimmer frei, also dachtest du dir: Hm, nehme ich eben die Hochzeitssuite. Brüder teilen schließlich alles. Oder?“ Er verzog das Gesicht. „So lautete doch der Kodex der Gang, in der wir damals waren ‒ beste Freunde sind wie Brüder. Und Brüder teilen alles.“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Wir sind nicht mehr in einer Gang, Chris. Wir sind erwachsen und es ist an der Zeit, dass wir uns so benehmen. Das alles hier, das ist kein Spiel.“ Er sah mich an und ich erschrak, als ich die Wut in seinen Augen sah. Da war kein Verständnis, keine Freundschaft, nichts. Nur Kälte. „Laura ist mein Leben, Chris. Ich liebe sie, mehr als alles andere auf der Welt. Sie ist meine neue Familie.“

      Aha. So war das also.

      „Verstehe“, murmelte ich und rammte meine Schuhspitze so heftig in die Erde, dass das Gras zur Seite wegstob. „Jetzt wo du Laura hast, brauchst du mich nicht mehr. Deinen besten Freund, der früher wie ein Bruder für dich war. Wir sind durch dick und dünn gegangen, Mann. Du hast mir damals den Arsch gerettet bei dieser Diebstahlssache und ich hab dir den Rücken freigehalten, als du aus Köln abgehauen bist. Wusstest du, dass deine früheren Kumpel mich mehr als einmal mit dem Messer bedroht haben, damit ich ihnen sage, wo du bist? Sie haben erst aufgehört zu fragen, als ich behauptete, wir hätten uns zerstritten und du wärst eh nur ein Arschloch, das uns alle verarscht und sitzen gelassen hat. Mann, Marv, Alter, wir haben so viel zusammen erlebt ‒ Partys, Mädels, Jungsabenteuer, bedeutet dir das denn gar nichts mehr?“

      Er sagte eine Weile nichts, blickte auf einen Punkt in der Ferne. Schließlich holte er tief Luft und sprach sehr langsam, laut und deutlich: „Das ist Vergangenheit, Chris. Liegt weit zurück. Sehr weit. Laura ist meine Zukunft. Die Frau, mit der ich Kinder haben, mit der ich alt werden will. Sie ist diejenige, die mich aus dem Scheißleben befreit hat, das ich damals führte.“

      Ich fühlte mich geohrfeigt. „Du fandest dein Leben scheiße?“, fragte ich nach, nur für den Fall, dass ich etwas falsch verstanden hatte.

      „Natürlich, Chris, natürlich war mein Leben der letzte Dreck!“, rief Marvin aufbrausend. „Denkst du vielleicht, ich fand das geil, mit zwei Versager-Eltern in ’ner verschimmelten Mietswohnung zu hausen, wo es durch die Decke tropfte und uns andauernd der Strom und das Wasser abgeschaltet wurden, weil die Penner nie die Rechnungen bezahlt haben? Denkst du, ich fand das geil, mit den abgebrannten Typen rumzuhängen, die allesamt kriminell waren, Drogen vertickt und sich asozial benommen haben? Und glaubst du, ich hatte Spaß dran, mit all den Schlampen in die Kiste zu steigen? Kann sein, dass du das cool fandest, ich aber nicht! Ich hab mir immer eine Familie gewünscht, jemanden, der mir Halt gibt. Ich wollte nie so werden wie mein Vater, arbeitslos, deprimiert, alkoholabhängig, während meine Frau anschaffen geht. Nee. Als ich Laura getroffen hab, hat sich mein Leben geändert, ich hab mich geändert. Mein Leben ist gut geworden, weil ich sie kennengelernt hab. Ohne sie wäre ich abgestürzt und würde als abhängiger Junkie irgendwo unter der Brücke hausen, Mann. Laura hat mir das Leben gerettet.“

      Allmählich wurde ich wütend. Mehr als wütend, kochender Zorn stieg in mir auf. „Laura, Laura, Laura!“, schrie ich, sprang auf und trat ins Gras, ich zitterte vor Erregung am ganzen Körper. „Was ist mit mir, hm? Ich war auch immer für dich da, Marv! Ich hab die ganze Scheiße auch erlebt. Denkst du vielleicht, mir ging’s besser mit meinem Alten, der mich wegen jeder Kleinigkeit zusammengeschlagen hat? Denkst du, mein Leben war toll ohne Mutter? Aber unsere Freundschaft hat mich aufrecht gehalten, ich wusste, dass ich auf dich zählen kann, egal, was passiert, dass du mich nicht hängen lässt. Ich dachte, wir wären Freunde.“

      „Dachte ich auch mal“, erwiderte Marvin kalt. „Bis heute, als du in meiner Hochzeitssuite ’ne Frau vögeln wolltest.“

      „Sie wollte es, Marvin!“, schrie ich ihn an. „Das alles ging von ihr aus. Ich hab sie nicht dazu überredet und ich hab sie zu nichts gezwungen. Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, warum Lauras Cousine es mit mir in eurer Suite machen wollte. Richtig, weil sie ihre Cousine nicht leiden kann! Weil sie genau wie ich längst kapiert hat, was für ein falsches, gemeines Luder deine Laura ist.“

      Marvin machte einen Satz auf mich zu und packte mich vorn am Hemd. „Pass bloß auf, was du sagst, Mann“, sagte er bedrohlich ruhig.

      „Wieso?“ Provozierend schlug ich ihm gegen die Brust. „Hast du Angst, du könntest am Ende erkennen, dass es die Wahrheit ist, hm? Was ist denn mit der Aktion, die sie vorhin mit Luke und Sophia abgezogen hat? War das fair? Hat sie sich da wie die liebenswürdige, engelsgleiche Frau verhalten, die du so sehr liebst und mit der du für immer zusammen sein willst? Und was ist damit, dass sie mich, deinen besten Freund, die ganze Zeit wie Dreck behandelt hat?“

      „Hör auf, so über sie zu reden“, stieß er mühsam beherrscht hervor.

      In mir tickte etwas aus. Es war mir in diesem Moment egal, ob unsere Freundschaft zerbrach, es kümmerte mich nicht, ob mich alle hören konnten, und es war mir egal, ob Marvin mir je verzeihen


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