Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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„Lass uns das alles wieder auf Vordermann bringen und von hier verschwinden, bevor jemand was merkt.“

      „Gute Idee“, nickte ich. „Und ... äh ... könnte das hier unter uns bleiben?“

      Jana lächelte schwach. „Sicher, ich bin auch nicht wild drauf, dass irgendjemand mitkriegt, dass ich mich komplett zum Obst gemacht hab.“

      Ich trat zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Jana, du bist so jung, du hast noch jede Menge Zeit, Erfahrungen zu sammeln. Du musst nicht unbedingt Sex haben, nur um dazuzugehören. Glaub mir, du wirst es bereuen, wenn du einfach mit irgend so einem dahergelaufenen Typen in die Kiste springst. Warte lieber ab, bis der Richtige kommt.“

      Gott, ich konnte nicht fassen, dass ich diesen abgedroschenen Satz gerade wirklich von mir gegeben hatte, andererseits fand ich es tatsächlich nicht gut, wenn Mädchen ihr erstes Mal an einen Kerl verschenkten, der es nicht ernst mit ihnen meinte und nur seinen Spaß haben wollte.

      Ich hatte noch nie ein Mädchen entjungfert und ich hatte es auch nicht vor, klar, es mochte ein tolles Geschenk von einem Mädchen an einen Jungen sein, eine große Ehre, aber die gebührte mir nicht. Mädchen sollten ihr erstes Mal mit einem Jungen haben, der sie wirklich und aufrichtig liebte, der die Beziehung nicht auf das rein Körperliche reduzierte. Das Mädchen sollte dem Jungen wichtig sein. Und sie sollte ihm vertrauen können.

      Zu dieser Sorte Mann gehörte ich leider nicht. Mein erstes Mal war schrecklich gewesen, nicht etwa, weil meine Partnerin, die zwei Jahre älter gewesen war und wesentlich mehr Erfahrung gehabt hatte, schlecht gewesen war, sondern weil ich mir wie der größte Esel auf Erden vorgekommen war ‒ unbeholfen, linkisch, fast tollpatschig, schüchtern und unsicher. Die Erste, mit der ich geschlafen hatte, hatte mir allerhand Tricks beigebracht, hatte mir Kusstipps gegeben und mir geduldig erklärt, wie und wo man ein Mädchen anfassen musste, um es zu befriedigen, und wie man es anstellte, dass ihr der Sex gefiel und man selbst auch Spaß hatte. In vielerlei Hinsicht war sie mir eine gute Lehrerin gewesen, sie hatte mir nicht nur gezeigt, was den Mädchen gefiel, sondern auch, was mir gefiel. Dennoch war es eher eine unschöne Erfahrung für mich gewesen. Ich war mit einem Mal unglaublich froh, dass ich rechtzeitig abgebrochen hatte, bevor das hier hatte ausufern können. Ich hätte mir selbst nie verziehen, wenn ich diesem Mädchen die Unschuld genommen hätte, ohne es überhaupt zu wissen. Außerdem fiel mir in diesem Moment siedend heiß ein, dass ich gar keine Kondome dabeihatte. Gott, wie konnte man nur so verantwortungslos sein?

      „Hey“, Jana stellte sich dicht vor mich und schlug mir leicht auf die Brust, „du hast dein Hemd falsch geknöpft.“

      „Oh.“ Verdutzt guckte ich hinab auf ihre Finger, die gerade flink mein Hemd wieder öffneten. Zumindest die wenigen Knöpfe, die noch dran waren. „Stimmt.“

      „Ich mach das für dich“, sagte sie lächelnd, „dann räumen wir den Saustall hier auf und vergessen das Ganze. Okay?“

      Erleichtert nickte ich, umfasste ihr Gesicht sanft mit den Händen. „Du bist ein tolles Mädchen, Jana“, sagte ich und meinte es auch so. „Und du hast den coolsten Freund dieser Welt verdient.“ Ich senkte den Kopf und küsste sie, ein kleiner, süßer Abschiedskuss. Just in diesem Moment flog die Zimmertür auf.

      Im Nachhinein konnte ich mich nicht mehr klar daran erinnern, was überhaupt geschehen war, es ging alles so furchtbar schnell. Im ersten Moment küsste ich noch Jana, im nächsten flog krachend die Tür auf und plötzlich war das Zimmer erfüllt von Stimmen, die aufgeregt kreischten, wütend durcheinanderschrien und hysterisch zeterten.

      Ein großer, kräftig gebauter Mann mit schwarzem Schnauzer packte mich und riss mich von Jana weg, die erschrocken aufkreischte. „Du Dreckskerl, lass deine Griffel von meiner Tochter!“, brüllte er mich an und besprühte mein Gesicht dabei mit kleinen Spucketröpfchen.

      „Papa, bitte“, rief Jana erschrocken, „wir haben nichts gemacht.“

      „Nichts gemacht ... sein Hemd steht offen, deine Haare sind zerwühlt, dein Lippenstift ist verschmiert. Habt ihr etwa ...“ Er packte mich am Kragen, schüttelte mich. „Hast du etwa mit meiner Tochter gevögelt, du kleiner Bastard? Hm?“, brüllte er mich an.

      Eindeutig ein Choleriker, meinem Vater nicht unähnlich.

      „Papa, lass ihn los!“, schrie Jana weinend.

      „Unglaublich, eine Unverschämtheit! So viel Dreistigkeit muss man erst mal besitzen“, kreischte Lydia, diese blöde alte Wachtel, in den höchsten Tönen. „Am Hochzeitstag meiner Laura! In der Hochzeitssuite! Wissen Sie, wie viel wir dafür hinblättern, für diese eine Nacht, Sie Mistkerl?“

      Ich sah Laura, die schwer atmend und in Tränen aufgelöst an Marvins Brust lehnte. Ich sah meinen besten Freund, der mich mit unverhohlenem Abscheu ansah, nichts als Verachtung lag in seinem Blick.

      Alle brüllten durcheinander, waren entsetzt über mein Verhalten und das verwüstete Zimmer. Janas Vater beschimpfte mich, dann sauste seine Faust auf mich nieder. Jana schrie auf, als der Schlag mich mit voller Wucht im Gesicht traf. Ich fiel nicht zu Boden, taumelte nur rückwärts. Ich schmeckte Blut. Der altbekannte Zorn flammte in mir auf, diese unbändige Wut, das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Ich wollte auf meinen Peiniger losgehen, der ebenfalls aussah, als wäre er auf eine Schlägerei aus, doch Marvin, Holger und einige andere Männer, die sich im Raum befanden, gingen sofort dazwischen.

      „Beruhige dich, Lennart, komm runter!“, rief eine Frau mit hektischen roten Flecken im Gesicht, vermutlich Janas Mutter. Die Männer bugsierten ihn aus dem Zimmer, die Frau zerrte die weinende Jana hinter sich her. „Schatz, alles wird gut, wir reden darüber. Habt ihr verhütet? Hat er dich gezwungen? Hat er was gemacht, was du nicht wolltest? Gott, solange du nur nicht schwanger bist ...“

      Sobald ihre Stimmen auf dem Gang verhallt waren, herrschte eisiges Schweigen. Die Männer ließen mich los und ich presste meine Hand auf die blutende Nase. Laura trat an mich heran, Tränen der Wut und Scham glitzerten in ihren Augen. „Laura“, setzte ich an, meine Lippe war ebenfalls aufgeplatzt und blutig, „es tut mir leid, ehrlich. Ich hab nicht nachgedacht.“

      Sie holte aus und scheuerte mir eine, mein Wangenknochen pulsierte noch vom ersten Schlag, dieser zweite machte es nicht besser.

      „Du mieses, egoistisches Arschloch!“, schrie sie mich an, dann wirbelte sie herum und rannte schluchzend aus dem Zimmer.

      „Laura, Liebling, warte!“ Lydia fuchtelte mit ihrem Wurstfinger vor meiner Nase herum und schrie: „Das wird Sie noch teuer zu stehen kommen!“ Dann sauste sie ihrer Tochter nach.

      Marvin sah mich an, fassungslos, zutiefst enttäuscht. Ich hätte gerne was gesagt, wie leid es mir tat, dass ich seine Hochzeit ruiniert hatte. Dass ich ein Vollidiot wäre und alles tun würde, um das wiedergutzumachen. Doch in diesem Moment wurde mir klar, dass nichts, was ich sagte oder tat, irgendwas an dieser Sache besser machen konnte. Ich hatte es verbockt.

      Schließlich wandte Marvin sich ab. Er sagte zu einem der Männer, die mich festgehalten hatten, offenbar ein Page: „Können Sie dafür sorgen, dass das Bett neu bezogen wird? Und die Rosenblätter verschwinden, bitte? Ja?“

      „Natürlich.“ Der Page nickte betreten. „Ich kümmere mich darum, Herr Lieblich.“

      „Danke“, sagte der kraftlos, und ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er aus dem Zimmer.

      Ich wollte ihm nach, machte einen wackligen Schritt nach vorn. „Marvin ...“ Meine Stimme klang seltsam hohl und fremd.

      In der Tür stieß er mit Edda zusammen, die mittlerweile wohl auch schon von der Katastrophe gehört hatte und ihn bestürzt ansah. „Marvin ... ich ...“

      „Ist okay, Ed“, murmelte er und schob sich an ihr vorbei. Und weg war er.

      Ich ließ den Kopf hängen. Blut tropfte auf den Boden, auf meine blank polierten Schuhe, auf die teure schwarze Hose. Ich schmeckte es auch im Mund, diesen ekligen, metallenen Geschmack. Ich musste


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