Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
das, Laura!“, zischte Marvin wütend und packte seine Braut überraschend fest am Arm. „Was soll das jetzt?“
„Ist doch wahr“, fuhr Laura ihn an. „Man sollte zumindest zu seinen Gefühlen stehen. Nur weil Luke zu blöd ist, um es zu bemerken, muss ich ja nicht die Klappe halten, oder?“
„Nur weil ich zu blöd bin, um was zu merken?“, fragte Luke scharf, der natürlich genau in diesem Moment zurückkommen musste. Perfektes Timing.
Marvin trat Laura auf den Fuß, damit sie die Klappe hielt. Die sah gemein lächelnd Sophia an, die wiederum dastand wie vom Donner gerührt, mit einem Mal leichenblass und zittrig wie ein Häufchen Elend, mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen.
Lukes Blick wanderte zwischen uns vieren hin und her, flackerte wie bei einem in die Enge getriebenen Tier. „Wovon sprecht ihr, verdammt? Was hab ich nicht gemerkt?“ Er sah seine Freundin an. „Sophia?“
„Ich ... ich ...“ Sie sah so verzweifelt aus, dass ich es nicht mehr aushielt.
„Nichts, Luke, gar nichts. Das ist alles nur ein Missverständnis. Laura hat da was missverstanden“, versuchte ich, meinen und Sophias Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Ich wünschte, Edda wäre hier. Sie könnte mit ihrer ruhigen, diplomatischen Art eine Deeskalation bewirken. Allerdings war von ihr weit und breit nichts zu sehen. Während sie sich wegen ihrer Eltern die Augen aus dem Kopf heulte, flog uns hier alles um die Ohren.
„Ach ja?“ Lukes Augen wurden schmal. „Und was hat sie missverstanden, Chris, hm? Was?“
Oh, oh. Er sah wütend aus. Was, wenn er tief drinnen immer schon gewusst hatte, dass Sophia was für mich empfand? Ein Mann wusste so was doch ... oder?
„Luke, ehrlich, es ist nichts“, sprang Marvin nun für uns in die Bresche und schob die protestierende Laura entschieden von sich. „Wirklich, Kumpel, alles gut. Wie gesagt, Laura hat da was falsch verstanden. Kommt, Leute, lasst uns feiern, ist schließlich unsere Hochzeit.“
„Seltsam, mir steht der Sinn gerade gar nicht nach feiern“, knurrte Luke ungehalten.
„Mir auch nicht“, blaffte Laura Marvin an. „Ist ja schön, dass du versuchst, mich ins Abseits zu drängen und meine Meinung als verblödetes Geschwätz hinzustellen. Toll, wie du zu mir ‒ deiner Frau ‒ hältst, Marvin, wirklich ein Wahnsinn.“
„Laura, bitte.“ Marvin hob in einer kapitulierenden Geste die Hände. „Nicht jetzt, okay? Du hast schon genug Chaos angerichtet.“
„Ich hab nur die Wahrheit gesagt“, schrie sie ihn an. Die Gespräche um uns herum verstummten, alle starrten uns an.
Die Eskalation stand kurz bevor. Mein Fluchtinstinkt setzte ein. Es wurde Zeit, mich aus dem Staub zu machen.
„Welche Wahrheit, Sophia?“ Luke sah ihr fest in die Augen. „Deine letzte Chance. Wenn du mir jetzt nicht sagst, was hier los ist, kannst du allein nach Regensburg gehen.“
Na toll. Super. Es zerbrach also gerade eine Beziehung direkt vor unseren Augen, und alles nur wegen dieser saublöden Schnalle Laura. Ich konnte nicht fassen, dass mein bester Freund der in die Falle gegangen war. Er hatte quasi vor wenigen Stunden die rechte Hand des Teufels geheiratet, ohne es zu bemerken.
„Okay, Leute, vielleicht beruhigen wir uns alle mal wieder ein bisschen“, versuchte Marvin, die Wogen zu glätten.
„Ich will mich nicht beruhigen, sondern wissen, was zur Hölle hier abgeht!“, zischte Luke wütend. „Sophia?“
Die Angesprochene hatte sich inzwischen wieder so weit gefangen, dass sie nicht mehr den Tränen nahe war. Stattdessen wirkte sie merkwürdig teilnahmslos, fast so, als hätte sie ihre Gefühle kurzzeitig abgeschaltet, um das hier zu überstehen.
Sie sah mich kurz an, konzentrierte sich dann auf Lukas. „Ich liebe dich, Luke“, verkündete sie fest. „Und wenn du nicht mit mir nach Regensburg kommen willst, fände ich das sehr schade. Aber ich hab dir nichts zu sagen. Ich habe nichts Unrechtes getan.“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und stolperte davon, so schnell ihre Beine sie trugen.
„Sophia! So leicht kommst du mir nicht davon. Komm zurück! Warte!“ Luke warf uns allen einen vernichtenden Blick zu und raste hinter ihr her wie ein wütender Stier. Ich hoffte, dass er sie in der Menge nicht so schnell fand.
Marvin sah Laura enttäuscht und fassungslos an. „Ich kann nicht glauben, dass du das echt getan hast“, verkündete er mit bebender Stimme. „Sophia und Luke sind enge Freunde von mir, wie konntest du sie nur so in die Scheiße reiten?“
„Was ... Marvin, ich ...“ Lauras Stimme wurde schrill wie die ihrer Mutter wenige Stunden zuvor. Anklagend zeigte sie mit dem Finger auf mich. „Ich kann nicht fassen, dass wir seinetwegen jetzt streiten. Das war die ganze Zeit seine Absicht, er will dich gegen mich aufbringen.“
Marvin fasste sie an beiden Oberarmen, schüttelte sie. „Was sagst du denn da? Laura, das hast ganz allein du verbockt.“
„Marvin, warum schüttelst du meine Tochter wie einen unartigen Hund?“, fuhr Lydia dazwischen und packte ihn am Arm. „Was ist denn hier los?“
„Mama, es ist so schrecklich. Marvin will die Wahrheit einfach nicht sehen“, schluchzte Laura theatralisch.
Ich kam mir vor wie im falschen Film. „Das wird mir hier echt zu blöd, ich verschwinde“, sagte ich laut. „Von diesem Sirenengeheul krieg ich Kopfweh.“
Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und schaufelte mir einen Weg durch die Menge. So was Dämliches! Wie konnte man nur so sein? So ein intrigantes Miststück!
Am liebsten würde ich von hier verschwinden, aber das ging nicht ohne Edda. Die war seit Stunden auf dem Klo. Mittlerweile vielleicht auch schon nicht mehr. Gott allein wusste, wo sie sich herumtrieb.
„So eine Scheiße!“, fluchte ich.
Kurz darauf fiel mir noch etwas ein und wie vom Donner gerührt blieb ich stehen. Max und Layla. Ich hatte die beiden völlig vergessen und natürlich längst aus den Augen verloren. Amanda hatte mich darum gebeten, auf sie aufzupassen. Keine Ahnung, warum. Eigentlich war es mir schnuppe und ging mich nichts an. Wenn sie es inzwischen miteinander trieben, war es nicht mein Problem. Oder doch?
Fluchend machte ich mich auf die Suche nach ihnen und hoffte, dabei nicht ausgerechnet Luke und Sophia in die Arme zu laufen. Der Hotelgarten war groß. Ich nahm den Brunnen als Startpunkt und lief alle vier Wege ab. In den Büschen regte sich oftmals etwas, viele Paare hatten sich zum Schäferstündchen dorthin verdrückt. Oftmals erklang ein erschrockenes Aufkreischen, wenn mein Gesicht inmitten des schützenden Blätterbaldachins erschien und ich auf die nackten, ineinander verschlungenen, in heftiger Ekstase zuckenden Leiber sah.
„Leute, nehmt euch ein Zimmer“, sagte ich jedes Mal ungerührt und schob das schützende Blätterdach zurück an Ort und Stelle.
Layla und Max blieben unauffindbar. Keine Ahnung, ob das nun ein gutes oder ein schlechtes Omen war. Für mich jedenfalls war der Tag gelaufen.
Nachdem ich die erfolglose Suche aufgegeben hatte, sank ich erschöpft auf eine Bank etwas abseits des Weges und zog eine Zigarettenpackung aus der Innentasche meines Sakkos. In der Schachtel befand sich das Feuerzeug. Ich steckte mir eine Kippe in den Mund und zündete sie an. Mit geschlossenen Augen paffte ich genüsslich vor mich hin, spürte, wie ich ruhiger wurde und mich entspannte.
Sobald ich die Kippe zu Ende geraucht hatte, würde ich Edda suchen. Dann würden wir von hier verschwinden und erst mal warten, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Ob Sophia es schaffen konnte, Lukas davon zu überzeugen, dass wir von etwas völlig Harmlosem geredet hatten, das eigentlich keinerlei Bedeutung hatte? Nun da wir alle so ein Tamtam darum gemacht hatten, bestimmt nicht mehr.
Die Zigarette war schon fast zu Ende geraucht, da erschien ein fremdes Mädchen bei mir und setzte sich neben mich.