Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
die Paare auf Tuchfühlung, kuschelten sich aneinander und wiegten sich eng umschlungen zu dem Lied, das von unendlicher Treue, Liebe und ja, auch Freundschaft sprach. Ich fand, dass es zu Edda und mir passte.
Oh, why you look so sad?
Tears are in your eyes,
come on and come to me now.
Don’t be ashamed to cry,
let me see you through,
’cause I’ve seen the dark side too.
When the night falls on you,
you don’t know what to do.
Nothing you confess,
could make me love you less.
Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass es tatsächlich stimmte ‒ egal, was Edda mir jemals über sich gestehen, beichten würde, falls es da denn überhaupt etwas gab, es würde nichts an meinen Gefühlen für sie ändern. Ich würde sie deshalb nicht weniger lieben, als ich es jetzt tat. Rein freundschaftlich natürlich. Aber aus tiefstem Herzen freundschaftlich. Noch nie hatte mir ein Mädchen so viel bedeutet, wie sie mir bedeutete. Sie war neben Marvin der wohl wichtigste Mensch für mich geworden und ich wusste gar nicht mehr, wie mein Leben ohne sie gewesen war. Traurig vermutlich. Langweilig und leer.
Fast vier Minuten dauerte das Lied, und als die letzten Töne verklangen, fühlte ich mich seltsam benommen und beklommen zugleich. Es fühlte sich so gut an, Edda im Arm zu halten, so fest an mich gepresst, dass es mir falsch vorkam, sie nun einfach von mir zu schieben. Nach wie vor hatte ich eine Hand auf ihrem Hinterkopf, die andere lag locker auf ihrer Hüfte und ich verspürte den Drang, sie noch enger an mich zu drücken. In meinem Magen war ein merkwürdiger Aufruhr und merkwürdigerweise verspürte ich das kaum zu unterdrückende Bedürfnis, Edda zu küssen. Um sie zu trösten, ihr zu zeigen, wie viel sie mir bedeutete, wie wichtig sie mir war, wie sehr ich sie mochte. Aber das würde niemals gut gehen. Was, wenn sie sich in mich verliebte und eine Beziehung mit mir anfangen wollte? Dann würde alles in die Brüche gehen. Bisher hatte jedes Mädchen, mit dem ich zu tun gehabt hatte, mehr als Freundschaft von mir gewollt (bei Amanda und Layla war ich mir sicher, dass eine engere Freundschaft nicht funktionieren würde) und ein Kuss hatte immer gleich zum nächsten Schritt geführt. Nicht selten hatte es nach dem Sex dann Tränen gegeben, weil die Mädchen nicht akzeptieren konnten, dass ich sie nicht im Ganzen wollte, sondern nur meinen Spaß.
Nein, ich ließ es lieber bleiben. Ich wollte Edda nicht verletzen. Ich wollte sie nicht verlieren.
Max hatte da wohl weniger Hemmungen. Über Eddas Kopf hinweg hatte ich freie Sicht auf ihn und Layla, die bis eben auch eng umschlungen zu dem Song getanzt hatten. Nun neigte sie sanft den Kopf nach hinten. Ich sah Max’ zärtlichen Blick, ehe er seine Lippen auf Laylas presste und die alte Jugendliebe wieder aufleben ließ. Ob es mit den beiden funktionieren würde? Ich wusste es nicht. Ich wusste auch nicht, ob es mit Marvin und Laura funktionieren würde, aber momentan schienen sie rundum glücklich zu sein, denn sie standen so dicht aneinandergepresst da, dass kein Blatt mehr zwischen sie gepasst hätte, hatten die Augen geschlossen und knutschten, als gäbe es kein Morgen.
Edda währenddessen zog schniefend die Nase hoch und löste sich nur langsam und zaghaft von meiner Brust.
„Ed?“ Ich senkte den Kopf zu ihr herab. „Alles in Ordnung mit dir?“
„Ich ... mein Gott, ja, entschuldige.“ Sie schniefte und schluchzte und versuchte, sich wieder in den Griff zu kriegen. „Wie peinlich. Geht gleich wieder. Ich ... oh Mann, ich glaub, ich hab einen Fleck auf dein Hemd gemacht. Tut mir leid, Chris.“
„Hey.“ Sanft hob ich ihr Kinn mit einem Finger an, mit dem Daumen der anderen Hand wischte ich ihr die Tränen weg. „Ist doch alles gut“, sagte ich sanft. „Der Fleck ist doch scheißegal, es ist nur ein blödes Hemd. Und es muss dir nicht peinlich sein, vor mir zu weinen, du Idiotin. Ich glaub, es hat noch kein Kerl so viele heulende Mädchen gesehen wie ich ... du brauchst dich also nicht zu genieren.“
Sie lachte unter Tränen und klapste mir leicht auf den Arm. „Wie gut, dass du ganz und gar nicht eingebildet bist, du Blödmann.“
Ich zuckte gespielt locker die Achseln, obwohl ich mich befangen und unsicher fühlte, da ich nicht so recht wusste, wie ich ihren Tränenfluss stoppen sollte. Mit meinem kleinen Witz hatte ich sie wohl ein klein wenig aufgemuntert, aber sie sah doch ziemlich niedergeschlagen aus. Die Sache mit ihren Eltern machte sie wohl ziemlich fertig.
Vielleicht sollte ich noch mal Nico holen, nachdem sie sich vorhin so köstlich darüber amüsiert hatte, dass er sich für mich interessierte und ich es nicht raffte.
„Hey, Leute. Gott, ich kann euch sagen, von diesem ganzen Getanze kommt man völlig aus der Puste. Aber dieses Lied eben, das war richtig schön. I’ll Stand By You. Ich hab mit einem Typen getanzt, Markus heißt er, ist wohl ein entfernter Cousin von Laura oder so. Der ist richtig süß und auch allein hier, weil seine Freundin letzte Woche Schluss gemacht hat ... Versteh ich nicht, wie man so ein Sahneschnittchen verlassen kann.“ Amanda stand mit knallrotem Kopf, zerstörter Frisur und funkelnden Augen sowie einem Glas Champagner in der Hand vor uns und plapperte wie ein Wasserfall.
Edda wischte sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht, doch offenbar war Nachschub schon unterwegs. Hilflos musste ich zusehen, wie noch mehr Tränen kullerten.
Auch Amanda war inzwischen aufgefallen, dass Edda nicht gerade in bester Verfassung war, und sah erschrocken von mir zu ihr. „Ach, du liebe Güte, was ist denn los, Süße? Habt ihr euch gestritten?“ Sie sah mich prüfend an.
Edda schluchzte zittrig. „Nein ... es ist ... tut mir leid, ich geh wohl besser mal rasch zur Toilette. Bin gleich zurück.“
„Ed“, rief ich ihr nach.
„Mir geht’s gut, Chris“, log sie und begann zu rennen. Wenige Sekunden später war sie im Gedränge verschwunden.
Amanda und ich blieben zurück. „Ach du liebes Lieschen“, sagte sie betroffen, „hab ich was Falsches gesagt?“
„Nein“, beruhigte ich sie, „es geht um ihre Eltern. Die wollen sich wohl scheiden lassen und das nimmt Edda ziemlich mit, wie du ja gesehen hast. Der Song, der gerade lief, ist ... war das Liebeslied ihrer Eltern.“
„Oh je.“ Amanda seufzte voller Mitgefühl. „Die Arme! Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zwölf war, es war die Hölle für mich. Mein ganzes Leben ist über mir zusammengebrochen.“
„Hm.“ Nachdenklich sah ich sie an. Vermutlich war ich bei der ganzen Elterngeschichte der falsche Ansprechpartner. „Könntest du vielleicht mal nach ihr sehen? Ob sie zurechtkommt und so? Ich mein, du weißt wahrscheinlich besser als ich, was sie gerade durchmacht.“
Amanda biss sich kurz auf die Lippe, nickte dann aber und reichte mir ihr Champagnerglas. „Okay. Ich kümmere mich um sie, wenn du im Gegenzug ein Auge auf Layla hast. Sie macht mit Max rum, aber ich weiß nicht so genau, ob es klug wäre, wenn sie gleich mit ihm, du weißt schon ... wenn sie gleich aufs Ganze geht.“
„Aha“, sagte ich verständnislos, „ist doch ihr Leben.“ Als ich Amandas Miene sah, lenkte ich schnell ein. „Gut, okay, schön. Sollte es nötig sein, werde ich mich zwischen sie werfen wie ein Berserker.“
Amanda grinste. „Super. Aber lass dich ja nicht zu einem flotten Dreier überreden, ja?“ Sie zwinkerte mir zu.
„Unsinn. Wenn, dann mach ich’s mit zwei Mädchen“, entgegnete ich ernsthaft. Amanda holte tief Luft, beschloss dann aber wohl, dass dieser Spruch keine Antwort wert war, und machte sich auf den Weg zu den Toiletten.
Froh darüber, Edda in guten Händen zu wissen, leerte ich Amandas Champagnerglas, stellte es auf einen der kleinen Beistelltische und mischte mich wieder unters Volk. Ich tanzte mit ein paar Mädchen, redete, flirtete und ließ mich anschmachten, holte mir ein Glas Champagner und noch ein zweites in dem Wissen, dass ich heute nicht mehr fahren musste. Irgendwann