Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
Pflicht rief. Ed würde allein klarkommen müssen. Aber sie brauchte meine Hilfe ohnehin nicht, wie sie vorhin großspurig behauptet hatte.
So kam es, dass ich kurze Zeit später mit Marvin, Laura und Saskia für die Fotos posierte, mich jedes Mal, wenn der Fotograf abdrückte, anders hinstellte und einen anderen Gesichtsausdruck aufsetzte. Ich hatte mir das bei den zahlreichen Fotoshootings, die ich schon hinter mir hatte, angeeignet.
„Sie machen das großartig, junger Mann. Sagen Sie mal ...“ Der Fotograf ließ die Kamera sinken, sah mich prüfend an. „Sind Sie nicht Christopher Waldoff? Joachim Bernsteins neuester Schützling?“
Geschmeichelt verneigte ich mich. „Der bin ich“, sagte ich grinsend.
„Wahnsinn.“ Der Fotograf huschte zu mir herüber, um mir die Hand zu schütteln. „Sie haben viel Potenzial, Junge. Echt. Aber Jo hatte schon immer einen guten Blick für so was. Er hat die Spreu vom Weizen getrennt, schon damals, als er noch Juror bei der Modelshow war.“
Ich war verblüfft. „Joachim war mal Juror in einer Fernsehshow?“, hakte ich nach.
„Ja, ja. Wussten Sie das nicht?“ Der Fotograf schaute überrascht. „Da haben wir uns kennengelernt. Ich hab die Models fotografiert, die er in seiner Sendung hatte. Hübsche Dinger waren das, Donnerwetter. Mit der einen oder anderen hatte er auch eine Affäre.“
„Joachim hatte Affären mit Models?“ Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Dieser alte Moralapostel ... soweit ich wusste, war er seit acht Jahren verheiratet. Ich musste mich unbedingt mal informieren, wann er in dieser Show mitgemacht hatte.
Aber nicht jetzt. Denn wie mir wieder einfiel, war das hier die Hochzeit meines besten Freundes. Nicht der geeignete Zeitpunkt, um mit dem Fotografen zu quatschen.
Lydia ging natürlich bereits entschieden dazwischen: „Also bitte, bei aller Berühmtheit, das geht zu weit. Wir bezahlen Sie hier fürs Fotografieren, guter Mann, nicht dafür, dass Sie mit diesem ... diesem ... selbstverliebten Schönling ein Schwätzchen halten!“
„Mama“, rief Laura peinlich berührt und sah den Fotografen entschuldigend an. An mich verschwendete sie weder Blicke noch Worte. „Entschuldigen Sie, Herr Lichtenstein, meine Mutter ist nur etwas aufgeregt.“
„Oh, keineswegs“, keifte Lydia. Konnte der nicht mal jemand den Mund zukleben? Das war ja nicht auszuhalten, dieses dauerhafte Gezeter!
„Im Gegenteil, Frau Hofer, äh, Verzeihung, Frau Lieblich ... ich muss mich entschuldigen.“ Der Fotograf klopfte Laura jovial auf die Schulter. „Ich hab mich zu einem Schwätzchen hinreißen lassen. Dabei bin ich doch beruflich hier. Herr Waldoff“, er nickte mir zu, „stellen Sie sich wieder in Position. Frau Hofer, Herr Hofer, Sie sollten als stolze Brauteltern auch mit aufs Foto. Na los, Aufstellung!“
Das fehlte noch, ein Foto von mir zusammen mit dieser Schreckschraube.
Fünf Minuten später, nachdem ich auch noch mit Saskia und Marvin einzeln posiert hatte, war ich endlich entlassen. Ich wollte mich auf den Weg zum Buffet machen, denn mein Magen knurrte und ich hatte unglaublich großen Hunger, als der Fotograf nach vorn hechtete und mich am Jackett festhielt.
„Entschuldigung, Herr Waldoff, Christopher, eine Sekunde noch.“ Er kramte in seiner Hemdtasche herum und steckte mir seine Visitenkarte zu. „Ich mache manchmal Fotoprojekte zu ganz verschiedenen Themen, das wird immer groß angekündigt. Im Internet, Fernsehen, Radio ... Wenn Sie mal Lust auf eine Zusammenarbeit hätten oder ich was für Sie tun kann, kontaktieren Sie mich einfach.“ Er lächelte mich gewinnend an.
Ich nickte. „Gerne, das mach ich. Und ... äh ... Sie können mich duzen.“ Ich reichte ihm die Hand. „Ich bin Chris.“
Der Fotograf grinste. „Freut mich, ich bin Nico.“
„Herr Lichtenstein!“, kreischte Lydia in diesem Moment. „Kommen Sie endlich! Sie haben zu tun!“
Nico zuckte leicht zusammen, rollte mit den Augen. „Eine grauenhafte Person.“ Kurz darauf weiteten sich seine Augen und er sah mich erschrocken an. „Du ... äh ... du bist doch nicht mit ihr verwandt, verschwägert oder sonst was, oder?“
„Oh nein!“ Abwehrend hob ich die Hände. „Um Gottes willen! Das ist mir zum Glück erspart geblieben.“
Nico grinste. „Glück gehabt, ich dachte schon, ich wäre ins Fettnäpfchen getreten. Puh! Aber den Bräutigam kennst du näher?“
„Er ist mein bester Freund“, erklärte ich.
„Ach was! Haha, ich sag’s immer wieder, die Welt ist ein Nest.“ Nico lachte. „Also, ich werd dann mal wieder, bevor der Drache noch Feuer spuckt. Viel Spaß dir weiterhin!“
„Danke, dir auch.“ Ich hob die Hand zum Abschied, verstaute die Visitenkarte in der Hosentasche und stapfte hinüber zum Buffet.
Auf halbem Weg gesellte sich Edda zu mir. „Na?“, fragte sie.
„Na?“, erwiderte ich. „Alles gut?“
„Ja. War gerade auf der Toilette und hab mir die Autoschmiere aus dem Gesicht gewaschen. Danke auch fürs Bescheidsagen.“ Sie sah mich vorwurfsvoll an, ich zuckte die Achseln.
„Das sah süß aus, fand ich. Passte gut zu deinen roten Haaren.“
„Haha!“ Sie boxte mir fest gegen den Oberarm. „Layla war so nett, es mir mitzuteilen, gleich nachdem sie mich darüber ausgefragt hat, ob wir zusammen sind, ich mit dir ins Bett gehe, auf dich stehe, in dich verliebt bin, war, sein werde und so weiter.“ Sie klang genervt, ich grinste breit.
„Und? Was hast du geantwortet?“, neckte ich sie.
Sie schnaubte. „Nein, nein und hundertmal nein!“, verkündete sie laut. „Eher friert die Hölle zu, als dass ich mit dir in die Kiste steige. Im Übrigen schienen Amanda und Layla mit diesen Antworten nicht zufrieden zu sein. Und diese eine, die Freundin von Lukas, hat mich angesehen, als würde sie mir kein Wort glauben und mich am liebsten erwürgen. Was ist denn mit ihr, hattest du etwa mal was mit der?“
Also bildete ich es mir doch nicht ein ‒ die eifersüchtigen Blicke, das Erröten, wenn ich sie ansah, das war alles wirklich passiert. Vermutlich hatte Sophia nach wie vor eine Schwäche für mich. Der arme Luke! Und die arme Edda, die darunter leiden musste. Ich legte einen Arm um sie. „Sie war mal verliebt in mich, hatte aber nie eine Chance. Jetzt ist sie mit meinem Kumpel Luke zusammen und der Keks ist gegessen. Wie sieht’s aus, hast du Hunger?“
Edda sah nicht überzeugt aus, ließ sich aber von der Frage ablenken und nickte eifrig. „Wie ein Bär, ich verhungere gleich“, verkündete sie.
„Das kann ich natürlich nicht zulassen. Komm, ab ans Buffet!“
Der Caterer war nur weiterzuempfehlen. Selten hatte ich so gut gegessen. Die klassische Hochzeitssuppe mit Eierstich, Nudeln und frischen Kräutern schmeckte hervorragend und verwöhnte den Gaumen. Als Hauptspeise gab es Schweinelendchen mit Champignons in Rahmsoße, dazu frische Spätzle, Kartoffelkroketten und eine große Auswahl an Gemüse. Als Beilagen wurde Forellenfilet mit Honig-Dill- oder Sahne-Meerrettich-Soße serviert, alternativ konnten die Gäste sich zwischen Melonenspalten mit mildem Parmaschinken, Hähnchenschenkeln mit Früchten oder Salaten entscheiden. Wer dann noch Platz im Magen hatte, konnte Mousse au Chocolat, Obstsalat, Rote Grütze oder gemischtes Eis mit Sahne genießen.
Edda und ich futterten uns durchs Buffet und es machte einen Riesenspaß, mit einem Mädchen mit gutem Appetit zusammen zu essen, das nicht auf Kalorien achtete und wie ein Huhn im Salat rumpickte, sondern die guten Seiten des Lebens zu schätzen wusste. Meine weiblichen Modelkolleginnen hielten sich beim Essen größtenteils sehr zurück, aßen winzige Häppchen, von denen ich mich niemals ernähren könnte, ohne an Mangelerscheinungen zu leiden. Ed war da zum Glück ganz anders. Wir luden beide unsere Teller randvoll, schnabulierten, setzten professionelle Feinschmeckermienen auf und kommentierten das Essen: „Hauchzarte Lenden vom Schwein, serviert in cremiger