Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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      Nico lächelte sanft. „Klar, kein Ding. Hatte ich eh nicht vor. Tschüss.“

      „Tschüss.“ Ich sah ihm nach, unschlüssig, was ich von ihm halten sollte.

      Edda währenddessen brach lachend zusammen, krümmte sich und hielt sich den Bauch. Immer mehr Leute sahen zu uns rüber.

      Entnervt ging ich zu ihr. „Kannst du mir vielleicht mal erklären, was los ist? Warum lachst du jetzt so blöd? Was sollte das alles?“

      „Ich ... oh Gott ... Chris, er wird die Bilder nicht veröffentlichen. Wahrscheinlich macht er eher eine Tapete aus den Fotos von dir und hängt sie in sein Schlafzimmer.“ Sie bekam kaum noch Luft, Tränen rannen ihr übers Gesicht.

      „Ed?“ Sie saß in der Hocke am Boden und krümmte sich, ich kniete vor ihr nieder. „Was ist denn in dich gefahren? Er hat dich total angemacht, okay, aber dass dich das so aus der Bahn wirft ...“

      Ed kippte fast hintenüber. „MICH angemacht?“ Sie keuchte vor Lachen. „Oh, Chris, du hast wirklich keine Menschenkenntnis.“

      „Offenbar nicht“, sagte ich unwirsch, „sonst hätte ich früher gemerkt, dass du einen totalen Knall hast.“

      „Und du hättest ... gemerkt, dass ... dass Nico ... stockschwul ist und ... voll auf dich abfährt ... Ich kann nicht mehr!“ Ed gab sich ihrem Lachanfall hin und rollte hin und her, mir wich alle Farbe aus dem Gesicht.

      „W...was?“, entfuhr es mir. Ich war mehr als entsetzt. Nein, das konnte nicht wahr sein!

      Ich hatte nichts gegen Schwule. Absolut nicht. Jeder hatte das Recht zu lieben, wen er wollte. Es war absolut okay, es gab keinen Unterschied zwischen homo- und heterosexueller Liebe. Aber dass ein Schwuler auf mich stand und mich anmachte, ohne dass ich es checkte, das schockte mich bis ins Mark. „Oh Gott, ich mach mir gleich in die Hose ... ich muss aufs Klo.“ Edda rappelte sich taumelnd auf und sauste mit zusammengekniffenen Beinen davon.

      Kopfschüttelnd sah ich ihr nach. „Das ist ein Witz, aber ohne Pointe“, murmelte ich fassungslos.

      „Hey, Chris.“ Layla, mit einer Schale Obstsalat in den Händen, führte mich zu ihrem Tisch hinüber, an dem auch der Rest der Bande, das Brautpaar sowie eine Menge Leute in unserem Alter saßen, die ich nicht kannte.

      Ich quetschte mich zwischen Amanda und Layla und versuchte, den unterschiedlichen Gesprächsthemen zu folgen. Layla und Max flirteten miteinander und waren wohl dabei, ihre Romanze aus der Schulzeit wieder aufzuwärmen. Zwei Typen in meinem Alter, beide in schwarzen Anzügen und mit roter Krawatte, der eine mit raspelkurzem blondem, der andere mit braunem Haar, geierten nach den anwesenden Mädchen und überlegten sich Strategien, wie sie sich eine klarmachen konnten. Eine Vierergruppe Mädchen lästerte über eine dicke ehemalige Klassenkameradin, die wohl auch auf der Feier gesichtet und noch fetter geworden war. Ein Mädchen und ein Junge, eindeutig ein Liebespaar, flüsterten miteinander, hielten dabei Händchen und erweckten den Eindruck, als würden sie auch gerne bald heiraten. Laura und Marvin schwelgten im siebten Himmel, fütterten sich gegenseitig mit Hochzeitstorte und sahen ekelhaft verliebt aus.

      „Ed ist ein süßes Mäuschen“, meinte Amanda plötzlich.

      Ich zuckte leicht zusammen, blinzelte und fragte: „Hm?“

      „Na, Edda. Deine beste Freundin. Sie ist süß“, wiederholte Amanda langsam, als wäre ich schwer von Begriff, und sah mich eindringlich an. „Komisch, dass du nichts mit ihr gehabt hast.“

      „Ach, Am“, ich verdrehte die Augen, „auch wenn mein Ruf was anderes vermuten lässt, aber ich steig nicht mit jeder ins Bett. Und Ed ist mir irgendwie zu dünn und knochig, wenn du verstehst, was ich meine. Ich hätte Angst, sie zu zerbrechen oder so.“

      Ich zuckte die Achseln. „Ich steh einfach nicht auf sie. Wir sind beste Freunde und das will ich echt nicht kaputt machen, indem ich auf Biegen und Brechen versuche, mit ihr zu vögeln.“

      Amanda sah mich nachdenklich an, nickte schließlich. „Gute Einstellung, Chrissiboy. So, ich werde mir dann noch mal ein Stück Hochzeitstorte holen, willst du auch?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke, ich bin randvoll.“

      Amanda zuckte die Achseln, hielt sich an mir fest, während sie ungeschickt ein Bein über die Bank schwang und sich ächzend auf die andere Seite hievte. Die lästernde Viererclique taxierte sie mit bohrenden Blicken, dann steckten sie ihre Köpfe zusammen und tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Demonstrativ drehte ich ihnen den Rücken zu, ich hasste solche Weiber.

      Später dann fand der Vater-Tochter-Tanz statt. Die Gästeschar stand im Halbkreis um sie herum und guckte zu. Holger, anfangs zittrig und nervös, war ein hervorragender Tänzer und auch Laura machte wirklich eine gute Figur, wie sie da an seiner Brust scheinbar schwerelos über den Boden schwebte. Marvin stand mit verklärtem Gesichtsausdruck neben mir und ich konnte die Liebe zu ihr in seinen Augen sehen.

      Zu meiner Linken stand Edda und schniefte gerührt. Ein Blitzlichtgewitter aus zig Kameras ging auf die beiden nieder. Ich fragte mich, wo Nico abgeblieben war, hoffte aber, dass er nicht zu uns rüberkam.

      Holger und Laura tanzten zu dem Lied Butterfly Kisses von Bob Carlisle, einem Lied, das von der intensiven Bindung zwischen Vater und Tochter und ihrer innigen Beziehung zueinander handelte. Ich dachte an meinen eigenen Vater und schluckte. Ich hatte ihn nie geliebt. Hatte nie ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt.

      Mein Blick fiel auf Edda, die die Lippen zusammengekniffen hatte und sichtlich mit den Tränen rang. Wahrscheinlich dachte sie an ihren Vater und daran, dass sich ihre Eltern womöglich bald trennen würden. Ich wusste, dass sie zu beiden ein enges Verhältnis hatte, dass die drei einst ein eingespieltes Team gewesen waren und immer aufeinander zählen konnten.

      Einerseits war ich neidisch darauf, so etwas nie gehabt zu haben. Andererseits wollte ich nicht wissen, wie weh es tat, wenn man das verlor.

      Ich legte einen Arm um sie und zog sie zu mir heran. Dankbar kuschelte sie sich an mich und barg ihr Gesicht an meiner Brust. Ich streichelte ihr übers Haar und dachte, dass ich später mal in Ruhe mit ihr reden musste. Ich musste ihr einfach klarmachen, dass sie sich die ganze Sache nicht so sehr zu Herzen nehmen durfte. Klar, es ging um ihr Elternhaus, ihre Familie brach auseinander. Aber es war nicht ihr Leben. Ob die beiden sich trennten oder nicht, war letztendlich nicht ihre Entscheidung. Sie war erwachsen, würde ihren eigenen Weg gehen. Sie musste aufhören, sich immer für alles und jeden verantwortlich zu fühlen.

      Nachdem der Vater-Tochter-Tanz zu Ende war und Lydia erst ihre Tochter, dann ihren Mann schluchzend umarmt hatte, wurden ein paar fröhliche, flippige Songs gespielt und immer mehr Pärchen fanden sich zusammen und hüpften ausgelassen auf der Tanzfläche herum. Lydia und Holger schwangen ebenfalls die Hüften, fühlten sich sichtlich jugendlich und sahen absolut albern aus. Allerdings interessierte das niemanden hier, die Hauptsache war, dass man Spaß hatte. Ich ergriff kurz entschlossen Eddas Hand und zog sie mit mir auf die Tanzfläche. Tanzen war gut gegen Depressionen.

      Edda lag der Rhythmus im Blut, wie mir recht schnell auffiel. Sie war ein wahrer kleiner Wirbelwind, drehte vergnügt Pirouetten, wirbelte unter meinem Arm hindurch, sprang herum und drehte sich im Kreis. Ihre Augen funkelten leidenschaftlich und ein Strahlen stahl sich nach und nach auf ihr Gesicht, das der Sonne Konkurrenz machte. Ich war froh darüber, sie auf andere Gedanken gebracht zu haben.

      Irgendwann verlor ich sie in der dichten Masse aus sich aneinanderreibenden Körpern aus den Augen, dafür packte ein schmales, ziemlich klein geratenes, brünettes Mädchen mit zwei geflochtenen Zöpfen meine Hand und drehte sich geschickt in meine Arme.

      „Hi“, brüllte sie mir über den Lärm der Musik hinweg ins Ohr. „Ich bin Pia.“

      „Chris“, schrie ich zurück, „freut mich.“

      Sie grinste und tippte mir leicht auf die Brust. „Ich weiß, wer du bist. Du modelst doch, oder? Hast du nicht diese Kampagne gegen Pelze gedreht?“


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