Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
auf das Tragen von Pelzen zu verzichten.
„Weißt du“, schrie sie mir ins Ohr, „ich kaufe, seit ich dich auf dem Plakat gesehen hab, keine Pelze mehr. Und ich esse auch kein Fleisch mehr, ich bin Vegetarierin geworden.“
Ich hob überrascht eine Braue. „Echt jetzt?“, fragte ich nach.
Sie nickte eifrig. „Ja. Du hast mich total überzeugt. Es ist echt schlimm, was den armen Tieren angetan wird. Ich hab mich auch über Massentierhaltung und so informiert, echt krass. Du hast mir die Augen geöffnet, ich hab das Interview in Mittelpunkt Mensch gelesen, wo du gesagt hast, dass du gegen Massentierhaltung bist. Echt, das hat mich voll überzeugt. Das ist so krass, wie die mit den Tieren umgehen. Die halten Hühner in Legebatterien und lassen sie wochenlang in ihrem eigenen Dreck sitzen, ohne mal auszumisten, die armen Viecher können sich kaum bewegen. Und die Schweine werden gemästet und gemästet, bis sie fast platzen, dabei werden sie regelrecht zusammengepfercht. Da dachte ich mir, nee, echt nicht, das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Meine Ma kauft, seit ich mit ihr geredet hab, nur noch Biofleisch, aber ich krieg keinen Bissen davon mehr runter, seit ich gesehen hab, wie die die Hühner umbringen. Die werden mit den Füßen in die Metallbügel einer Förderkette eingehakt, dann geht’s mit dem Kopf nach unten ab in Richtung Elektrowasser. Du musst dir vorstellen, die leben dabei noch! Was denkst du, was die für ’ne Panik haben? Dann tauchen sie mit dem Kopf in das Elektrowasser und werden betäubt, danach hängen sie so scheintot rum, während sie geradewegs auf ihr sicheres Ende zusteuern ‒ Halsschnittautomaten, wo ihnen die Kehle durchgeschnitten wird. Ekelhaft, oder? Oft sind sie durch das Elektrowasser gar nicht richtig betäubt und kriegen richtig mit, wie ihnen die Kehle durchgeschnitten wird. Voll krank und pervers! Ich meine, warum lässt man die Tiere nicht einfach in Freiheit aufwachsen, füttert und säubert sie gut und bietet ihnen ein anständiges Leben, und wenn man unbedingt ’nen Braten will, schleicht man sich an sie ran und schlägt ihnen den Kopf ab, ganz schnell und schmerzlos. Ich check nicht, warum man die kopfüber aufhängen muss, wenn sie bei vollem Bewusstsein sind. Und rein in dieses Scheißwasser, das nicht mal richtig betäubt. Die armen Tiere haben Todesangst, das klingt für mich, als hätte irgendein sadistischer Psychopath seinen kranken Fantasien freien Lauf gelassen. Unfassbar, dass so was erlaubt ist, dabei macht Deutschland doch sonst um alles so ein Geschiss. In keinem Land gibt’s so viel Papierkram wie hier und so viele Straßenschilder. Ich mein, überall wollen sie für Recht und Ordnung sorgen und bei so einer Schweinerei schauen sie tatenlos zu? Tierquälerei ist das! Ich weigere mich, so was zu essen. Ich will nicht genüsslich ein Tier verspeisen, das diese eiskalten Mörder kaltblütig um die Ecke gebracht haben. Wie siehst du das? Du bist doch bestimmt auch Vegetarier, oder?“
„Äh ... ich ...“ Mir war ganz anders. So intensiv hatte ich mich mit dem Thema gar nicht auseinandergesetzt. Ich hatte beschlossen, nach der Antipelzkampagne gleich noch mein Statement gegen Massentierhaltung und Tierversuche abzugeben, einfach deshalb, weil es Themen waren, die sehr oft totgeschwiegen und ignoriert wurden. Keiner wollte zugeben, dass er Hähnchen aus Bodenhaltung als Sonntagsbraten aß oder dass sein wasserfester Eyeliner im Test einem armen Kaninchen zum Verhängnis geworden war. Außerdem mochte ich Tiere. Zwar hatte ich nie Haustiere gehabt (mein Alter hätte nie etwas erlaubt, das mich glücklich machte, wie ein Hund als Kumpel es gekonnt hätte), doch mit Marvins Katze Muschi verstand ich mich beispielsweise bestens. Sie sprang mir jeden Morgen beim Frühstück auf den Schoß und kam regelmäßig zu mir ins Zimmer zum Schmusen. Als Vierjähriger hatte ich Besuche mit meiner Mutter in Tierparks geliebt, wo ich Ziegen und Schafe streicheln und füttern und ein paar Stunden lang das Leben eines normalen Kindes führen konnte. Die Tiere mit ihrer Zuneigung und zutraulichen Art zeigten mir, dass es eine Welt außerhalb der Gewalt gab, die ich zu Hause erlebte.
Natürlich wusste ich, wie vermutlich die meisten Menschen, im Allgemeinen Bescheid über Massentierhaltung. Dass die Tiere nicht artgerecht gehalten und versorgt wurden. Dass sie ihr Leben lang litten. Aber von den grausamen Tötungsarten hatte ich nichts gewusst. Diese Pia hingegen hatte das getan, was man eigentlich tun sollte, sie hatte sich ausreichend informiert und vertrat ihren Standpunkt nun entschlossen. Sie war eine echte Bereicherung für diese Welt.
„Ich bin direkt dem Tierschutzverein beigetreten“, verkündete sie außerdem, während sie ihre Arme um meinen Hals legte und mich zu einem schnellen Hip-Hop-Song im Kreis herumwirbelte, dass mir fast Hören und Sehen verging.
Ich hatte die Sache mit den Elektrobädern noch nicht ganz verdaut. Ab jetzt war ich auch Vegetarier ...
„Das alles verdanke ich dir, weil du das Thema angesprochen hast, hab ich mich darüber informiert und mich verändert. Ich glaub, du kannst ganz viele Menschen da draußen erreichen, Chris. Finde ich toll, dass du dich für so was einsetzt.“
Mir wurde warm ums Herz. Diese Pia war ein tolles Mädchen. Sie hatte mich ermuntert, meine Popularität weiterhin zu nutzen, um bestimmte Werte und Ansichten zu vertreten und auf herrschende Missstände aufmerksam zu machen. Mir wurde plötzlich klar, dass es nicht nur darum gehen sollte, es mit Duschgelwerbung bis ganz nach oben zu schaffen, sondern an erster Stelle darum, mit seinem Namen für eine gute Sache zu stehen oder für etwas, das einem wichtig war. Unzählige Möglichkeiten spielten sich in meinem Kopf ab, ich könnte mich für Kinderrechte in der Dritten Welt starkmachen oder gegen Hungersnöte dort vorgehen, für mehr Frauenrechte kämpfen, gegen Mobbing ...
Plötzlich hörten wir, wie jemand nach Pia rief, ein hübsches Mädchen mit goldblondem Haar im rosa Kleidchen, das ihr zuwinkte.
Pia löste sich, wenn auch widerstrebend, von mir. „Also, Chris, war schön, dich kennenzulernen. So persönlich, mein ich.“ Sie zwinkerte mir zu. „Du bist mein Idol, weißt du. Mein großes Vorbild. Ich werde mich für das einsetzen, was auch dir wichtig ist.“
„Danke“, sagte ich mit belegter Stimme und war richtig gerührt. Deshalb ließ ich auch diesen total kitschigen Spruch vom Stapel: „Du machst die Welt zu einem besseren Ort, Pia. Schön, dass es dich gibt.“
Sie strahlte, bevor sie zu ihrer Freundin rannte. Schön, wenn man einem Mädchen so leicht ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte.
„Na, du alter Charmebolzen?“ Wie aus dem Nichts tauchte Edda vor mir auf und legte mir die Arme um den Hals. „Die hat dich ja ganz schön zugequatscht, was? Hat mich gewundert, dass sie dich nicht gleich noch abgeknutscht hat, so begeistert, wie sie von dir war.“
„Ach, Ed, wir haben nicht geflirtet“, sagte ich abwehrend. Sie sollte nicht denken, dass es bei mir immer nur darum ging. „Wir hatten ein richtig gutes Gespräch über Tierversuche und so. Stell dir vor, durch mich ist sie Vegetarierin geworden und dem Tierschutzverein beigetreten.“
„Ach.“ Edda wirkte erstaunt. „Das ist ja toll.“
„Ja, oder?“ Ich lächelte. „Genau das wollte ich erreichen, ein Umdenken.“
Edda legte den Kopf in den Nacken, betrachtete mich sekundenlang lächelnd und verkündete plötzlich: „Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du ein ganz toller Mensch bist, Waldoff? Gar nicht so oberflächlich und mies, wie ich immer dachte.“
Diese lieben Worte verschlugen mir tatsächlich die Sprache ‒ etwas, das tatsächlich nicht oft vorkam. Ich zog Edda in eine feste Umarmung und murmelte „Danke“ in ihr Haar. Wenn mein Alter mich jetzt so sehen könnte ...
Die Musik änderte sich mit einem Mal, der poppige Liebessong klang aus und ein neues, ruhigeres Lied erklang.
Ed blinzelte. „Kennst du den Song?“, fragte sie lächelnd, während sie verlegen dastand und nicht genau wusste, was sie tun sollte.
Ich lauschte kurz mit gerunzelter Stirn und lächelte, als es mir einfiel. „I’ll Stand By You“, verkündete ich. Es war mal der Lieblingssong meiner Mutter gewesen.
„The Pretenders“, flüsterte Edda. „Das ist das Lied meiner Eltern. Also, ihr Liebeslied.“ Tränen schimmerten in ihren Augen, die sie verzweifelt zurückzudrängen versuchte.
Entschlossen zog ich sie eng an mich, legte eine Hand an ihren Hinterkopf. „Dann