Rabenauge. Sabine D. Jacob

Rabenauge - Sabine D. Jacob


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Rabenvögel ebenfalls zu dieser Unterordnung gehören. Man stelle sich das vor! Lächerlich, dieses Gekrächze auf eine Stufe mit dem Tirilieren einer Nachtigall stellen zu wollen. Nein, mein Faible gilt den kleineren Singvögeln wie den Amseln, Meisen, Rotkehlchen und so weiter.« Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. Er holte mit den Armen aus, als er fortfuhr: »Es ist schön, sie im Winter zu füttern und im Frühling morgens von ihnen geweckt zu werden. Ihr buntes Gefieder, das sich einem erst durch das Fernglas erschließt, diese vollkommenen Momente, wenn sich ein Zaunkönig länger als ein paar Sekunden zeigt. Es war immer mein Wunsch, diese Augenblicke festzuhalten. Kurz und gut: Die kleinen Piepmätze bereichern mein Leben. Zelmas Hobby, ihre Zuneigung zu den Rabenvögeln, stand dazu in völligem Kontrast. Argwöhnisch beobachtete ich, wie die Krähen, Dohlen und Raben nur darauf warteten, an das Gelege eines kleinen Vogels zu gelangen, um alles, die Eier oder die Brut, zu verschlingen. Ein kleiner Grünfink, gerade als er am Futterhäuschen saß, zack, wurde er selber zum Frühstück. Gegriffen von drei krallenbewehrten Zehen wurde er in mundgerechte Happen zerrissen. Auf diese Weise verschwand auch das letzte bunte Federbündel aus meinem Garten. Was blieb, war das Gehackte, das Zelma nun, statt auf die Heizung, vor das offene Küchenfenster stellte. Zu mir sagte sie nur, dass ich mich jetzt nicht mehr über den Gestank beschweren könne. Das war natürlich Blödsinn. Es stank nach wie vor abscheulich, und der Geruch waberte in der heißen Mittagssonne durch alle Zimmer.« Nolan lehnte sich zurück und rieb sich müde über die Augen. »Aber du kanntest sie. Man konnte ihr nichts abschlagen. Immer war da die Angst, dass sie das tun würde, was sie ja schließlich dann auch tat.« Er machte abermals eine kurze Pause, bevor er sich straffte und fortfuhr: »Die Raben hatten also nun die Möglichkeit, sich ihre Zwischenmahlzeiten vom Fensterbrett zu holen. Ad libitum, wie man sagt. Manchmal legte Zelma noch ein gekochtes Ei dazu. ›Sie haben es gern. Schau, wie ihre Federn glänzen‹, sagte sie, wenn ich ihr diese eigenartige Marotte vorhielt. Zelma zähmte auf diese Weise übrigens einen weiteren Raben, der offensichtlich die Partnerin des Anführers war. Sie hatte einen Spalt in der oberen Schnabelhälfte, höchstwahrscheinlich eine alte Verletzung. Wer weiß, vielleicht wäre sie ohne Zelmas Fütterung verhungert. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Die Vögel saßen jetzt ständig am Küchenfenster, und jedes Mal, wenn ich diesen Raum betrat, brachen sie in ärgerliches Gekrächze aus. Ich fühlte mich wie ein Störenfried in meinem eigenen Haus und begann deshalb, die Küche zu meiden. Für die Bediensteten schob ich es auf den Gestank. Insgeheim fürchtete ich mich. Mit ihren stechenden Augen verdeutlichten mir die schwarzen Biester, dass sie nicht meine Freunde waren. Sie duckten sich angriffslustig und hieben mit den Schnäbeln nach mir. Sie blieben aber auf der Fensterbank. An Zelmas Geburtstag musste ich in die Küche. Carolyn, das Hausmädchen, das Zelma schon von Kindesbeinen an betreut hatte, hatte mir mitgeteilt, dass der Abfluss verstopft sei. Schon an der Tür schlug mir der widerliche, altbekannte Geruch nach Verwesung entgegen, verstärkt durch den Gestank, den das verstopfte Abflussrohr und das im Spülstein dümpelnde Schmutzwasser mit sich brachten. Auf der Oberfläche schwammen neben Fettaugen die Reste unseres Mittagessens: kleine Blumenkohlröschen und ein paar matschige Pommes. Wie konnte Carolyn nur mit diesem Gestank um sich herum arbeiten? Als ich sie das fragte, erklärte sie mir – und jetzt kommt das Ding aus dem Tollhaus –, dass sie seit einer Operation ohne Riechvermögen sei. Ha, ha!« Amüsiert schlug sich Nolan mit der freien Hand auf ein Knie. Nach einem Schluck Sherry erzählte er: »Als ich mich über die Spüle beugte, sah ich einen schwarzen Schatten auf mich zustürzen. Das Rabenweibchen mit dem verletzten Schnabel hieb ihre Krallen in meine Kopfhaut und mit dem verkrüppelten Schnabel nach meiner Schläfe. Dann färbte sich auch schon alles Rot. Ich schlug mit der Hand nach ihr, sie traf mich an der Stirn. Ich fegte sie vom Kopf, sie nahm ein Stück meines Skalps mit. Hier, diese kahle Stelle stammt von dem Angriff. Da wächst kein Haar mehr. Plötzlich flammte in mir eine unbändige Wut auf. Das war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich weiß noch, dass ich die Autoschlüssel vom Haken riss, ein Geschirrhandtuch auf die Wunde presste, zu Haynes fuhr und Rattengift kaufte. Ein für alle Mal wollte ich dem Ganzen ein Ende bereiten. Zu Hause ging ich direkt in die Küche, nahm den Teller mit dem Gehackten, eine Gabel und beides mit ins Schlafzimmer. Die Vorhänge zog ich zu. Ich weiß, es klingt absurd, aber ich wollte nicht, dass die Krähen mich beobachteten. Erst jetzt arbeitete ich die blauen Körner in ihren Snack ein, und ich empfand eine mörderische Freude dabei. Der Gestank interessierte mich in diesem Moment nicht. Ich wusste ja, dass ich ihn das letzte Mal ertragen musste. Danach stellte ich das Hackfleisch wieder auf seinen Platz und verzog mich nach oben. Mit dem Fernglas konnte ich beobachten, wie der Rabe mit dem grauen Flügel zum Küchenfenster flog. Er verschwand kurz aus meinem Blickfeld. Dann sah ich ihn wieder, als er zu seinem Weibchen – dem Raben mit dem Schnabelriss – flog und sie fütterte. Anscheinend konnte sie nicht mehr allein fressen. Ich lachte mich innerlich kaputt! Der Vogel nahm mir die Arbeit ab und brachte seine Partnerin um.« Jeremy runzelte zwar die Stirn, aber Nolan fuhr einfach fort: »Als ich am nächsten Morgen das Haus verließ, sah ich den Raben mit dem gespaltenen Schnabel. Mit hängenden Flügeln stand er auf dem Pflaster in der Nähe meines Autos. Er schwankte. Seine Augen blickten trüb und glanzlos. Ab und an, wenn er umzufallen drohte, hob er einen Flügel und machte ein paar unsichere Schritte. Als er mich sah, raffte er sich auf, krächzte heiser und hieb mit seinem Schnabel in meine Richtung. Dabei verlor er das Gleichgewicht. Ich trat einen Schritt näher und stupste ihn mit der Schuhspitze. Erneut krächzte er mich an, dann schoss ich ihn weg, dass die Federn stoben. Noch einmal versuchte er, hochzukommen, aber es misslang. Es war urkomisch. Fast musste ich grinsen. Dann riss etwas Scharfes plötzlich meine Wange auf. Der Rabe mit dem grauen Flügel attackierte mich. Hier, die Narbe ist immer noch als helle Stelle erkennbar. Wie ein Schmiss aus einer schlagenden Verbindung, oder? Ich verjagte das Vieh und drückte ein Taschentuch darauf, das sich sofort mit Blut vollsog. Da entdeckte ich Zelma hinter dem oberen Flurfenster. Sie hatte alles mit angesehen. Anstatt herunterzukommen und mir beizustehen, schaute sie mich – mich! – voller Abscheu an. Es war der Tag nach ihrem Geburtstag, den wir wegen ihrer Depressionen nicht gefeiert hatten. Abends dann, nun ja, fand ich ihre Kleidung.«

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      »Du siehst müde aus. Und sicher bist du hungrig.« Erwartungsvoll sah Nolan Jeremy an.

      »Nein danke, mir ist speiübel. Auf keinen Fall kann ich etwas essen. Kann es sein, dass man den Verwesungsgeruch immer noch wahrnehmen kann? Auf jeden Fall stinkt es nach den Vögeln. Im Bunker damals hat es auch so gerochen. Dort saßen brütende Dohlen im Luftabzug, erinnerst du dich? Damals mochte ich den Geruch gern. Er sagte mir: Hey, du bist in Trinale, es ist Sommer, du hast Ferien. Jetzt kommt es mir vor, als hinge der Gestank bereits in meiner Kleidung.« Angewidert verzog Jeremy das Gesicht und erhob sich aus dem Sessel. »Es ist unglaublich! Wenn ich nicht mit eigenen Augen sehen würde, dass die Vögel sich hier zu Hunderten versammeln, ich würde es nicht für möglich halten. Ob sie noch da sind?« Er ging zum Fenster und spähte durch das Astloch. Da es mittlerweile dämmerte, konnte er kaum etwas erkennen.

      »Natürlich sind sie noch da, Jey! Und sie werden bleiben.«

      »Wie meinst du das: Sie werden bleiben? Irgendwann werden sie doch verschwinden! Ich meine: Worauf warten sie? Was wollen sie?«

      »Hast du es noch nicht verstanden? Sie wollen mich! Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut, dass du hierhergekommen bist. Jetzt steckst du auch ganz schön tief drin.«

      Jeremy spürte, wie seine Ungläubigkeit langsam eine Panik heraufbeschwor. Wo hatte er sich da hineinmanövriert? Er konnte nicht fassen, in welch prekärer Situation sie sich befanden. Daher hoffte er, dass er gleich aufwachen würde oder dass Nolan mit einem lauten »Reingelegt!« in schallendes Gelächter ausbrach, wie er es als Kind gern getan hatte.

      Nichts davon geschah.

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