Glück in Salzburg. Hannelore Mezei

Glück in Salzburg - Hannelore Mezei


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Und da drüben …«

      »Und hier der berühmte Hugo Flock, der Milliardär vom Wörthersee, mit seiner charmanten Begleitung«, ergänzt Hugo und dreht Romana zu sich. Ja, dass das jetzt so he­rum ist, daran hat sie noch gar nicht gedacht. Dass nicht sie die Leute anschauen muss, sondern die anderen auf Flock und seine Begleiterin starren. Daran muss sie sich erst gewöhnen. Meine Güte, er hat ihr doch wirklich einen Antrag gemacht! Wenn auch mit einem Hustenzuckerl. Was sollʼs? Romana Petuschnigg, zukünftige Flock, ist sicher der glücklichste Mensch in diesem ganzen Festspiel-Luxusauflauf.

      Hugo Flock freut sich, dass Romana so begeisterungsfähig ist. Ihm gibt das alles kaum noch was. Grundsätzlich mag er die Festspiele schon, höchste Theater- und Musikqualität auf einem Platz. Gern geht er in die Konzerte, manchmal auch in die Oper. Aber der Jedermann? Das Stück vom Sterben des reichen Mannes? Reich ist er selber, und sterben wird er auch. Wohl eher früher als später. Darauf muss man nicht auch noch so penetrant hingewiesen werden. Dazu all die betuchten Festspielgäste, die sich vom Hofmannsthal die Leviten lesen lassen und dafür auch noch ein Vermögen zahlen. »Ehre sei Gott in der Höhe der Preise«, hat schon Karl Kraus über den Jedermann als Salzburger Kassenmagnet gesagt. Aber auch, dass das Stück ein »aberwitziger Dreck« sei. Schon komisch, dass ein kosmopolitischer jüdischer Autor wie Hofmannsthal ein so bigottes katholisches Volksstück geschrieben hat. Und worum gehtʼs? Geld, Sex, Glaube, Tod. Immer das Gleiche seit neunundneunzig Jahren, und nach zehn Aufführungen, die er schon erlitten hat, wird er die wohl auch noch überstehen. Wer weiß, vielleicht wird es diesmal amüsanter. Die Inszenierung soll ja moderner sein. Partycharakter statt Mysterienspiel. Na ja, er wird eh einschlafen …

      Sie sitzen Mitte rechts, dritte Reihe. Gott sei Dank ein Gangsitz für Romana und ihr Unglückskleid, denkt Flock. Kaum haben alle Zuschauer Platz genommen, kommt die Ansage, dass der »Tod« plötzlich erkrankt sei und kurzfristig der Schauspieler Paul Neumann für ihn einspringe.

      »Ist das nicht der Liebhaber von deiner Iris?«, zischt ihm Romana zu.

      Ja, das wird er wohl sein. Was für eine Ironie! Mit ihm als so viel älterem Ehemann war seine junge Frau dem Tod nur nahe, mit dem Neumann hat sie sich gleich den Tod selber ausgesucht, denkt Flock.

      Der Vorhang hebt sich, und da sieht er ihn auch schon, den Neumann-Tod, wie er in düsterem Grau und High Heels über die Bühne stöckelt, »Jeeedermann!!« rufend. Flock hat keine Lust, dem Spiel vom eigenen Untergang zuzuschauen. Flüsternd: »Ich mach jetzt ein Nickerchen, Romana. Weck mich, wenn die Buhlschaft auftritt!«

      Romana starrt auf Paul Neumann alias Tod. Den hat sie zuletzt am Stadttheater Klagenfurt gesehen – wie kommt der nach Salzburg? Hat es keinen anderen Ersatz gegeben? Oder hatte da die Noch-Ehefrau vom großen Salzburg-Förderer die Hand im Spiel? Womöglich hat sie dem Peter Lohmeyer was ins Essen gemischt, damit er krank wird und ihr Gschamsterer einspringen darf?! Andererseits müsste Romana ihm dankbar sein. Ohne Paul Neumann würde ihr Hugo nicht in Scheidung leben und hätte ihr heute keinen Heiratsantrag gemacht. Romana nimmt sich vor, dem Tod ausgiebig zu applaudieren.

      Ah, jetzt tritt Tobias Moretti auf und streitet sich mit seinem Nachbarn, weil dem die milde Gabe des Jedermann zu wenig ist. Also, da übertreibt der Hofmannsthal schon. Warum soll man als Reicher dem Armen gleich die Hälfte geben? Tja, sie beginnt schon reich zu denken. »Ich find den unverschämt!«, wendet sie sich nach rechts zu Hugo.

      »Psst«, kommt es von der Reihe dahinter. »Man versteht eh so schlecht.«

      Flock schaut nur kurz auf und nickt wieder ein.

      »Was ficht dich an, bist du mir krank?«, fragt die Buhlschaft den armen Moretti.

      »Wieso hast mich nicht geweckt?«, meldet sich jetzt Flock von nebenan. »Ich wollte sie mir doch im durchsichtigen Hosenanzug anschauen.« Hat sie ganz vergessen in der Aufregung. Ja, der erste Auftritt der Buhlschaft in diesem Outfit, das war schon was. Inzwischen trägt sie für die Tischgesellschaft ein rotes Kleid. Auch nicht unsexy. Hugo betrachtet eine Weile das Geschehen auf der Bühne und rutscht dann wieder in seinen Sitz und schließt die Augen.

      Romana ist fasziniert von den berühmten Schauspielern und beachtet ihren Hugo erst wieder, als er ausgerechnet in der Szene mit der großartigen Mavie Hörbiger einen lauten Schnarcher von sich gibt. Sie schubst ihn mit dem Ellbogen, worauf er sie unwillig anblinzelt und gleich wieder einnickt.

      Was ist denn das?, denkt Romana eine halbe Stunde später. Die Bühne kippt langsam nach vorn, und die Gläser auf dem Tisch wackeln bedenklich. Die Bühne neigt sich immer steiler, und jetzt rutschen auch schon die Darsteller dem Publikum entgegen. Und als der Tod den Jedermann abholt, bewegt sich der ganze Tisch abwärts, um dann in tausend Teile zu zerspringen. Ein Spektakel, das einem Angst machen könnte. In dem Moment ist sie froh, dass sie nicht in der ersten Reihe sitzen.

      Im tosenden Applaus stupst sie Hugo an. Na, der hat vielleicht einen gesunden Schlaf! Bei dem Lärm … Wenigstens mitklatschen könnte er, aus Höflichkeit. »Hugo, komm, aufwachen, es ist aus.«

      Da rutscht Hugo Flock von seinem Sitz auf den Boden, wo er regungslos liegen bleibt. Romanas gellende Schreie gehen im Applaus unter.

      Kapitel 2

      Als ob die Toten nicht warten könnten! Für Thomas Kranzler ist jeder Kunde, der kurz vor seiner Mittagspause anruft, ein Ungustl. Es ist vier Minuten vor zwölf, und das Telefon klingelt. Er starrt es an, doch es lässt sich nicht hypnotisieren. Läutet und läutet, bis er seufzend den Hörer abnimmt: »Zum ewigen Frieden. Sie haben genau drei Minuten, dann ist hier Schluss.«

      »Glück«, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung.

      »Der Glück von ›Leib und Leben‹? Der seinem Chef einen rechten Haken verpasst hat und danach in die Provinz verbannt worden ist?«

      Martin schaut auf seine Uhr. Er hat noch zwei Minuten. Doch der Doktor ist nicht nur ein Witzbold, sondern auch ein guter Pathologe, und prinzipiell mögen sie einander. Also hat er eine kleine Chance, dass Kranzler nicht einhängt. »Genau der, und ich hab meine Strafe verbüßt und bin wieder in Wien. In Amt und Würden. Freut mich, wenn wir uns wieder zwanglos über Leichen treffen. Weshalb ich anrufe: Die beiden Muskelmänner, die abbankelten … hattest du die schon unterm Messer?«

      Die Uhr zeigt zwölf. Kranzler seufzt und greift mit der Linken nach einer Zigarette. Er raucht nicht mehr, doch es beruhigt ihn, wenn er sie in der Hand hält. »Nur weil du es bist, und dafür schuldest du mir ein Bier. Mindestens. Ich hab den Obduktionsbericht noch nicht geschrieben, aber die Substanz untersucht, an der sie letztlich gestorben sind – der eine an Nierenversagen, der andere an Herzkasperl. Beides sind mögliche Nebenwirkungen von anabolen Steroiden, du weißt schon, das Zeug, von dem man Muckis kriegt. Und davon hatten die beiden reichlich, richtige Sixpacks und Oberarme wie Rambo zu seinen besten Zeiten.«

      »Und das hat dich auf die Idee gebracht?«

      Kranzler sieht hinunter zu seinem Sixpack, der eher einem Bierfassl gleicht. Aber immerhin lebendig. »Na sicher, die beiden waren noch keine dreißig, da stirbt man nicht so ohne Weiteres. Außerdem ist dieses Scheißzeug weitverbreitet, nicht nur in der Viehzucht, sondern auch in Sport und Spiel. Es gibt ganze Cocktails von Steroiden, und manche sind schwer bis gar nicht nachzuweisen, siehe Spitzensport. In den vorliegenden Fällen war es aber Testosteron Enanthat, eher was Simples und relativ leicht zu finden. Man misst das Verhältnis verschiedener Kohlenstoffmoleküle und kann dadurch körpereigene von körperfremden Steroiden unterscheiden. Überdosis – bei beiden. Entweder waren die so blöd, viel zu viel einzuwerfen, oder die Tabletten waren zu hoch dosiert. Die Frage lässt sich final erst beantworten, wenn du das Zeug findest.«

      »Ich krieg bestimmt einen Durchsuchungsbeschluss«, sagt Martin, »sobald du mir den Obduktionsbericht mailst. So schnell wie möglich.«

      »Das kostet noch ein Bier. Mindestens.« Kranzler ist aufgestanden. »Ich muss jetzt los zu meinem Essen. Und wenn du einen Tipp willst: Der Scheiß kommt überwiegend aus China oder Indien, und verscherbelt wird er via Schwarzmarkt oder Darknet. Aber was red ich, das ist ja dein Problem. Glückwunsch übrigens, dass du wieder in Gnade gefallen bist.


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