Glück in Salzburg. Hannelore Mezei
gereizt hat, man kommt viel rum …
Das Beisl in der Servitengasse ist bummvoll, doch die Wirtin schenkt ihm ein Lächeln und ein Ottakringer Helles ein, das er an der Theke trinkt. Es herrscht gute Stimmung, eine fröhliche Geräuschkulisse, vorwiegend im Wiener Slang, und Martin prostet sich selber zu und beglückwünscht sich, dass er nicht mehr willkürlich von einem Bundesland ins andere versetzt wird, sondern wieder in seiner Heimatstadt arbeiten darf. Andererseits wär die Briefkastenadresse in Salzburg doch ein guter Grund, endlich den Fassl heimzusuchen, den wird er von zu Hause anrufen und fragen, ob er bei ihm unterkommen kann. Weil, wie selbst der Kulturtrottel weiß, die Festspiele angefangen haben, und das ist die Zeit, in der es kein einziges freies Bett mehr gibt in Salzburg und Umgebung. Die Mozartstadt im Jedermann-Rausch. Fassl aber wohnt in Maxglan, einem Bezirk, in den sich Touristen fast nie verirren.
***
Er ruft den Franz an, bevor er zum Maturatreffen fährt, vor Wochen schon hat er sein Kommen zugesagt und bereut es jetzt, weil er gar keine Lust hat, auf einen Haufen Sechsundvierzigjähriger in der Midlifekrise zu treffen. Fassl ist sofort am Telefon und freut sich riesig über den Blitzbesuch. Na sicher könne er bei ihm wohnen, er habe ein sehr bequemes Ausziehbett im Wohnzimmer, an Hotels oder Pensionen brauche er gar nicht erst zu denken. Er erwarte Martin, sie könnten ja in sein Stammbeisl gehen, gleich ums Eck von der Mühlbachgasse. Geiles Gulasch gäb es dort und …
Martin beendet das Gespräch mit einem »Ich freu mich – und bis morgen dann«, steht eine Weile unentschlossen vor dem Kleiderschrank und wählt schließlich Jeans, ein weißes Hemd und ein schwarzes Jackett. Überlegt, ob er das Auto nehmen soll, und entscheidet sich dafür. Er wird halt nur ein Glas trinken und sich früh verabschieden. Und sollte es wider Erwarten lustig werden, lässt er den Wagen eben stehen. Besoffen fahren – das waren Jugendsünden, über die ist er schon lange hinweg.
Martin verabschiedet sich von dem wunderbaren Parkplatz in der Straße direkt neben der Siedlung und fährt in Richtung 7. Bezirk zum Hotel am Brillantengrund, wo Rüdiger Stein das Maturatreffen organisiert hat. Typisch Rüdiger, denkt Martin, während er im Samstagabendverkehr Runden dreht, weil er natürlich keinen Platz findet um die Zeit. Das Parkhaus ist besetzt, und er verflucht seine Entscheidung für das Auto. Das Handy klingelt, und am Display taucht Romanas Nummer auf. Martin drückt sie weg. Keine Zeit jetzt, Wörthersee-Klatsch zu hören und Neuigkeiten über Alex, den Hund. Während der Nebensaison war nicht viel los am See, und Romana fadisierte sich, was zu vermehrten Anrufen führte. Er flucht, als ihm ein Porschefahrer einen freien Platz vor der Nase wegschnappt, weil er einfach schneller war als das alte Käfer-Cabrio.
Die Wut sofort in ein Lächeln verwandeln, sagt Martins Therapeutin. Diese Wut, die ihn beinah seinen Job gekostet hat. Jetzt grinst er grimassenhaft, sieht sich im Rückspiegel an und muss darüber lachen … Und dann sieht er einen freien Platz fast vor dem Hotel und parkt ein. Dieses Glücksgefühl … Es ist verschwunden, sobald er ausgestiegen ist, aber immerhin …
Um die fünfundzwanzig Ehemalige sind gekommen und stehen im Gastraum mit Sekt- oder Weingläsern herum. Jede und jeder trägt ein Namensschild, falls am Äußeren nicht mehr zu erkennen. Martin hat seines in die Jacketttasche gesteckt. Vielleicht will er gar nicht identifiziert werden. Die Schule empfand er als Vorstufe zum Gefängnis, und ein paar seiner Lehrer beherrschten die Folter des Geistes. Sein bester Freund, vielleicht sein einziger in der Schulzeit, starb bei einem Motorradunfall, als er achtzehn war.
Eine hübsche Kellnerin hält ihm ein Tablett vor die Nase, er nimmt ein Glas Weißwein, schaut sich um und erkennt ein paar Gesichter. Komisch, dass einige Leute graziös altern und andere einfach nur schiach werden. Vor achtundzwanzig Jahren haben sie nach bestandener Matura leichten Herzens voneinander Abschied genommen und sind in die Welt gezogen. So viele Pläne gab es und kaum Zweifel daran, dass das Leben für jeden ein Quantum Glück bereithält. Martin lächelt einer hübschen Brünetten zu, an deren Namen er sich nur vage erinnert, Marion oder Maria oder Marianne, so was in der Art, und beim Maturaball haben sie in irgendeiner Ecke rumgebusselt, aber die Geschichte nicht zu Ende gebracht. Kondomvergesslichkeit. Und jetzt kommt ein kleiner Mann mit Nickelbrille und Pferdeschwanz auf ihn zugestürzt …
»Mensch Martin, schön, dass du mal wieder dabei bist. Gut schaust du aus, die Ehefrau wollte nicht mit …?«
»Geschieden«, sagt Martin und lässt die kurze Umarmung über sich ergehen, ohne sie zu erwidern. Er hat Rüdiger schon in der Schule nicht besonders leiden können. Der war immer schon ein Angeber und Gschaftlhuber, mischte sich in alles ein und verpetzte Mitschüler im Zweifelsfall bei den Lehrern.
»So ein Kommissar ist halt dauernd auf Verbrecherjagd, damit unsereins gut schlafen kann«, sagt Rüdiger mit einem Augenzwinkern.
Er trägt einen weißen Leinenanzug, kunstvoll zerknittert, und ein schwarzes Hemd, das zwei Knöpfe zu weit offen ist. Martin findet, dass Rüdiger bescheuert aussieht. »Chefinspektor, nicht Kommissar. Und was machst du so? Schon den Pulitzerpreis gewonnen?«
Das gequälte Lächeln seines Gegenübers erfreut Martins Herz. »Noch nicht, mein Lieber, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Nein, ich habe mir meine journalistische Freiheit bewahrt, indem ich eben nicht für eine Publikation arbeite, sondern als Freier für alle Medien – Presse, Standard, News, auch ein paar wichtige deutsche Publikationen sind dabei. Ich kann wirklich nicht klagen, man rennt mir die Tür ein.«
»Das freut mich«, lügt Martin und möchte gerne weitergehen zu der Brünetten, die wirklich gut küsste – falls ihm nicht seine Erinnerung einen Streich spielt. Als er sich in Bewegung setzt, hält Rüdiger ihn am Arm fest. »Du, ich bin da an einer Story dran, die könnte dich auch interessieren.«
Nein, denkt Martin, doch der Druck auf seinen Arm hat sich verstärkt. Rüdigers rundes Gesicht glüht vor Aufregung: »Ich habe einen Insider-Tipp von ganz oben bekommen – Quelle darf ich natürlich nicht verraten –, dass es Leute gibt, die bei uns Medikamente aufkaufen und in Länder exportieren, in denen die Preise sehr viel höher liegen. Mit gewaltigen Gewinnspannen.«
Martin schüttelt den Griff ab. »Interessant. Aber meines Wissens ist das nicht strafbar. Bloß geschäftstüchtig.«
Rüdigers Gesicht offenbart keinerlei Selbstzweifel. »Na, vielleicht doch, wenn dadurch die Medikamente in Österreich knapp werden, verstehst du … Wusstest du, dass in Österreich bei mehreren Hundert Medikamenten Engpässe herrschen? Darunter auch lebenswichtige Pharmazeutika! Vielleicht ist das kein Verbrechen, aber zumindest ein Riesenskandal. Und ich werde ihn aufdecken! De omni re scibili et quibusdam aliis.«
Der Rüdiger und sein großes Latinum! »Na, dann wünsch ich dir viel Glück dabei«, sagt Martin und entzieht ihm seinen Arm, um in einer blitzschnellen Kehrtwende das Weite zu suchen.
»Der Martin war immer schon so was von uncharmant«, wird Rüdiger zu seiner nächsten Gesprächspartnerin sagen. Sie wird ihm zustimmen, aber nur, weil sie in der Maturaklasse in Martin verliebt war und keinen Stich bei ihm kriegte. »Ein Zornpinkel war er auch«, wird über ihn getratscht. Sowohl bei Mitschülern wie auch bei Lehrern konnte er ganz schön ausfallend werden, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Und es gab diverse Raufereien auf dem Schulhof, von denen er manche gewann und andere verlor, weil er auch vor Mutproben mit Stärkeren nicht zurückschreckte. »Eigensinnig war er«, setzt Rüdiger nach, und eine der Frauen widerspricht mit dem Satz, er sei halt anders gewesen, irgendwie »besonders«. Ob Martin Glück »besonders« war oder immer noch ist, darüber wird kurz diskutiert, bis ein anderes Thema in den Vordergrund rückt.
Martin spürt Blicke im Rücken und hört gelegentliches Flüstern, das er aber nicht auf sich bezieht. Schließlich gibt es unter den ehemaligen Mitschülern Ärzte, Banker, sogar einen halbwegs berühmten Schauspieler. Da hat ein Kriminaler wenig Chancen, Aufmerksamkeit zu erregen. Er steht neben der Brünetten, die Marion heißt und sich an den Maturaballkuss erinnern kann. Marion ist Zahnärztin, ziemlich frisch geschieden, mit einer Tochter, die inzwischen in der Praxis mitarbeitet. Sie ist groß und ein wenig ausladend und trägt ein gepunktetes Kleid mit gewagtem Ausschnitt. Ihm gefällt, wie sie aussieht, und er mag ihr Lachen, das ihn an Lily erinnert. Sie reden über Politik und Essen und empfehlenswerte Lokale und stellen fest, dass